Reihe Zeit zu Denken: Gastvortrag von Werner Schmitt.

Welche Erkenntnis bietet der antike Mythos, der unter den Namen von Homer und Hesiod überliefert ist? Dieser durchaus provokativen Frage ging Dr. Werner Schmitt in einem Vortrag am 17. Juni 2019 im Rahmen der Vortragsreihe "Zeit zu Denken" nach.

Provokativ ist die Fragestellung allemal, setzt sie doch voraus, dass der Mythos nicht ein bloß irrationales Narrativ einer zu überwindenden, vergleichsweise "kindlichen" Bewusstseinsstufe darstellt, wie die Religionskritik seit der Antike eingewendet hatte. Vielmehr gelte es, so Schmitt, zu begreifen, dass der vielzitierte Schritt "vom Mythos zum Logos" (Wilhelm Nestle) im Denken nicht nur keinen schlanken Gegensatz bedeuten kann, sondern dass der Mythos geradezu eine Weise der Selbsterfassung des Logos darstellt, die einer reduktionistischen Fassung des Logos (im Sinne eines Denkens, das sich unter die Herrschaft formaler Logik gestellt hat) in ihrer Erschließungskraft sogar überlegen ist – vorausgesetzt, man vermag den logischen Gehalt der mythischen Erzählungen zu erschließen.

Genau dies führte Schmitt vor. Der Mythos – so Schmitt im Anschluss an seine philosophischen Gewährsmänner G.W.F. Hegel und Bruno Liebrucks – bietet eine höchst differenzierte und auf seine Weise ebenso höchst reflektierte Weise der Erkenntnis dessen, was der Mensch ist, nämlich Bewusstsein (bzw. mit Liebrucks: "Bewusst-Sein"). Die göttlichen Gestalten sind als Bewusstseinsgestalten zu verstehen, in denen sich der menschliche Weltumgang – bestimmte Subjekt-Subjekt-Objekt-Verhältnisse – spiegeln. Dabei entwickelte Schmitt im Besonderen an ausgewählten Textpassagen eine nähere Deutung der Auseinandersetzung zwischen den Titanen und Zeus bzw. Olympiern um aufzuzeigen, dass es hier letztlich um eine Revolution des Bewusstseins geht: Die "Neue Ordnung", für deren Etablierung Zeus steht, ist der Gedanke einer Macht, die sich ohne Gewalt, sondern durch die Einsicht vermittelt. Das ist ein Gedanke, der noch heute an Aktualität nichts eingebüßt hat.

Text: Max Gottschlich. Fotos: Martin Zillner.

 

Dr. Werner Schmitt lehrte Philosophie in Frankfurt am Main und befasst sich seit einigen Jahren mit der philosophischen Interpretation des griechischen Mythos. Er war der letzte Assistent von Bruno Liebrucks. 

 

Zur Vortragsreihe:

"Zeit zu Denken. Philosophische Vorträge" nennt sich die von Ass.-Prof. DDr. Max Gottschlich organisierte Reihe am Institut für Praktische Philosophie/Ethik der KU Linz. Abseits der auf uns einstürmenden schnellen Antworten und Handlungsanweisungen soll dem Denken Raum gegeben werden. Erst über diesen Umweg wird es möglich, unsere Zeit "in Gedanken zu erfassen" (Hegel).

08.07.2019/sm

Von li: Ass.-Prof. Dr. Max Gottschlich (KU Linz), Dr. Werner Schmitt (Nürnberg).

Von li: Ass.-Prof. Dr. Max Gottschlich (KU Linz), Dr. Werner Schmitt (Nürnberg).

Vortrag von Dr. Werner Schmitt im Rahmen der Reihe "Zeit zu Denken".

Vortrag von Dr. Werner Schmitt im Rahmen der Reihe "Zeit zu Denken".