Heft 3/2021: Das Christusbild – in der Kunst der Gegenwart

Ist die Lebendigkeit der Spiritualität über all den innovativen und erfolgreichen Organisationsreformen in den Kirchen aus dem Blick geraten? Könnte aber letztlich nicht nur diese dem Relevanzverlust des Christentums entgegenwirken? Im aktuellen Heft von "kunst und kirche" wird mit dem Christusbild in der Kunst der Gegenwart dem identitätsstiftenden Zentrum des Christentums nachgespürt: Welche kritischen Fragen werden in diesen Bildern an das Christentum gestellt - und welche Potenziale freigelegt? Welche Ausdrucksformen und künstlerischen Strategien finden Künstler*innen bei der Darstellung des leidenden Christus? Und scheint nicht gerade in diesen Bildern auch die Zukunftsfähigkeit des Christentums auf?

Vorwort

Das organisatorische Niveau der christlichen Kirchen im 21. Jahrhundert ist beeindruckend. Dennoch ist es offensichtlich, dass die kirchliche Verwaltungs- und Finanzreform den Relevanz- und Machtverlust des Christentums in einer von digitaler Technik und globaler Wirtschaft geprägten Pluralitätsgesellschaft kaum aufzuhalten vermag. Wie sieht es demgegenüber mit dem Niveau der spirituellen Innovationen der Kirchen aus? Müsste nicht auch das identitätsstiftende Zentrum in das Blickfeld kirchlicher Reformen rücken, das die Veränderungen der religiösen Lebendigkeit in ihrem Kern zu fassen vermag – in einem verwandelten Bild von Christus?

Die Kunst war seit jeher ein besonders vitaler Spiegel der Christusbilder im Wandel der Zeiten und könnte, so die Grundidee dieses Heftes von kunst und kirche, auch für die Gegenwart einen ebenso kritischen wie innovativen Blick auf das Christentum und seine Zukunft werfen. Die 1980 von Horst Schwebel aufgeworfene Frage nach dem Christusbild in der Gegenwartskunst wäre im Horizont der tiefgreifenden Veränderungen neu zu stellen. Sind es die großen Fragen und Krisen der Zeit, in denen sich das Bild Christi heute neu einbrennt, oder ist es vielmehr gerade die Unbestimmtheit einer Leerstelle, die das heilsgeschichtliche Bild des leidenden Gottessohnes angemessen zur Darstellung bringt?

Unter den versammelten Beiträgen, die sich als erste Probebohrungen zu diesem Fragehorizont verstehen lassen, bildet die Abhandlung von Dietrich Korsch die zentrale Problemexposition, die dem theologischen Erbe des Christusbildes und der nicht zur Ruhe kommenden Krisenkonfiguration seiner Verpflichtungskraft in Kunst und Religion nachgeht. Horst Schwebel ruft die „produktive Irritation“ des „Christusimpulses“ im Werk von Joseph Beuys in Erinnerung; ein ebenso weiträumiges wie tiefgreifendes Panorama exemplarischer Christusbilder in der Gegenwartskunst bietet der Beitrag von Johannes Rauchenberger. Die Spannung zwischen „gegenständlichem“ und sich-entziehendem Christusbild in Kunst und Frömmigkeit der Gegenwart lotet Johann Hinrich Claussen aus, einen Rückblick auf die christologischen Erkundungen und organischen Skulpturen Thomas Lehnerers bietet der Beitrag von Claudia Gärtner. Gegenwärtige Beispiele der Arbeit am Christusbild skizzieren die Beiträge von Christina Bickel über die literarische Anverwandlung von Michael Triegels Werken durch den Autor Michael Lentz, von Sergey Harutoonian über das ostkirchliche Ikonenerbe bei Nikola Sarić, sowie von Jörg Probst über Christuscollagen in der digitalen Welt. Weitere Erkundungen zum Thema erarbeitet in diesem Jahr der 2. Evangelische Bildertag (11. Februar 2022) in Marburg und der Kalender des Kirchbauinstituts für das Jahr 2022 mit 12 Beispielen für Christusdarstellungen in der Gegenwartskunst.

Thomas Erne, Peter Schütz, Claudia Breinl (Heftredaktion)

Mit Beiträgen, Gesprächen, Berichten und Rezensionen von Reinhard Lambert Auer, Tizian Baldinger, Christina Bickel, Johann Hinrich Claussen, Johanna Di Blasi, Celica Fitz, Claudia Gärtner, Markus Geißendörfer, Sergey Harutoonian, Lorena Heini, Franziska Heiß, Dorothea von Kiedrowski, Dietrich Korsch, Martina Kumlehn, Jörg Probst, Katharina Scholl, Horst Schwebel, Wolfgang Jean Stock, Johannes Rauchenberger, Yonka Werner und Alexia Zeller.

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