Heft 1/2021: Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien scheinen plötzlich allgegenwärtig. Liegt das nur an einer gesteigerten Aufmerksamkeit oder hat das Phänomen tatsächlich zugenommen? Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen Glauben, alternativen Fakten und Esoterik? Wie sind die Erklärungsmodelle gebaut und warum funktioniert dieses Denken so gut, dass der Dialog mit Anhänger/inne/n nur schwer aufrechtzuerhalten ist? Und schließlich: Glauben nicht auch wir selbst längst schon an Teile von Verschwörungsnarrativen? Aus der Perspektive von Kunst und Kirche geht das aktuelle Heft diesen und weiteren Fragen nach – und will mit Aufklärung und Abgrenzung, mit gegenseitigem Verständnis und Empathie auch ganz bewusst einer Spaltung von Gesellschaften entgegenwirken.

Vorwort

Es mag ungewöhnlich erscheinen, Verschwörungstheorien eine Ausgabe von kunst und kirche zu widmen, da sie scheinbar weder mit dem einen noch dem anderen zu tun haben. Doch prägen sie derzeit so stark Öffentlichkeit und Gesellschaft, dass es lohnenswert ist, auch aus dieser Perspektive vertieft nachzufragen und zu informieren.

Ausgangspunkt für diese Ausgabe war der Studientag an der Katholischen Privat-Universität Linz, der im November 2020 Wissenschaftler/innen und Künstler/innen in einer Online-Veranstaltung zusammenbrachte, um Strukturen, Bilder und Mechanismen von Verschwörungstheorien zu beleuchten. Als die Vorbereitungen dazu begannen, konnte niemand wissen, dass das Thema im wahrsten Sinne des Wortes ‚virulent‘ werden würde. Heute scheint es, als würden solche ‚Welterklärungen‘ im Zusammenhang mit Corona geradezu explosionsartig zunehmen – und nicht zuletzt aufgrund potenzieller Gewaltbereitschaft mancher Protagonist/ innen eine auch für das demokratische System und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedenkliche, wenn nicht sogar bedrohliche Dynamik entfalten. Im Internet und auf Demonstrationen werden Verschwörungstheorien nicht nur rasend schnell verbreitet, sondern auch als ‚Wahrheit‘ angenommen.

Doch wie wirkmächtig sind sie und haben sie tatsächlich zugenommen? Welcher Stereotype bedienen sie sich und wie kann der Dialog mit ihren Anhänger/innen gelingen? Sind wir selbst davor gefeit oder glauben längst an Teile von Verschwörungsnarrativen? Wo verläuft die Grenze zwischen Glauben, alternativen Fakten und Esoterik? Gerade diese nicht zu leugnenden und fließenden Übergänge zwischen Wahrheit und Fiktion machen das Thema der Verschwörungstheorien äußerst relevant für Kunst und Kirche.

Neben präventiver Aufklärung und Abgrenzung, erscheinen Empathie und Verständnis äußerst wichtig, um der Spaltung von Gesellschaften entgegenzuwirken. Schließlich geht es auch darum, andere Meinungen auszuhalten, sich unbequemen, ja vielleicht absurden Fragen zu stellen und diese zu beantworten, um überhaupt miteinander im Gespräch bleiben zu können. Da Verschwörungstheorien oft auf Social Media oder in Internetforen diskutiert werden, muss allerdings sogar die Frage des Umgangs mit der aufgeheizten Gesprächskultur und ihren Folgen Teil der Erörterung des Phänomens sein. Neben glimpflich verlaufenen Eskalationen von online lancierten Zusammenhängen, wie beim ‚Pizzagate‘, zeigen die Anschläge von Christchurch oder Halle, dass selbst ein Umschlag in tödliche Gewalt möglich ist. Verschwörungstheorien führen das Potential der Radikalisierung mit sich, das katastrophale Folgen haben kann.

Ilaria Hoppe, Maximilian Lehner und Winfried Schwab (Heftredaktion)

Mit Beiträgen, Berichten, Bildessays und Rezensionen von Sebastjan Brank, Michael Butter, Andreas Anton, Stefan Dumont, Harald Düspohl, Thomas Erne, Karin Ferrari, Ilaria Hoppe, Daniel Hüttler (Shoggoth11), Falk Jaeger, Maximilian Lehner, Zsolt Miklósvölgyi, Márió Z. Nemes, Niklaus Oberholzer, Alan Schink, Bettina Schürkamp, Winfried Schwab und Jan Skudlarek.

Inhaltsverzeichnis auf kunstundkirche.com

Ausgangspunkt des Heftes war der Dies Academicus "Verschwörungstheorien. 'Chemtrail, Corona und Klimawandel … das kann doch kein Zufall sein!'" am 19. November 2020 an der KU Linz. Ein Bericht zur Veranstaltung sowie Links zu Videos der Vorträge finden sich hier