Was ist der Mensch? Antworten der mittelalterlichen Theologie.

"Was ist der Mensch?" – In Zeiten wie diesen nach Antworten der mittelalterlichen Theologie auf diese Frage zu suchen, ist zum einen darin begründet, dass die Bearbeitung des Themas seit geraumer Zeit eine Forschungslücke darstellt. Zum anderen ist diese Suche auch zeitaktuell bedingt. Krieg und Terror, zusammenbrechende politische Systeme, soziale Benachteiligung, religiöse Verfolgung, die sich abzeichnende Klimakatastrophe wie überhaupt Globalisierung, Ökonomisierung und Digitalisierung machen es notwendig, gesellschaftliches Zusammenleben zu überdenken und die Frage nach dem Menschen, wer und was er ist, neu zu stellen.
In Kurzvorträgen erläuterten Expertinnen und Experten sowie junge Forscherinnen und Forscher aus der Theologie, der Philosophie und der Geschichtswissenschaft, wie die Autorinnen und Autoren im Mittelalter das biblisch-christliche sowie das altkirchliche Erbe und die antiken philosophischen Strömungen aufgegriffen, wie sie sie zusammengedacht, um- und neugedeutet haben. In den inhaltsreichen Diskussionsrunden und in einem Workshop wurden die Erkenntnisse vertieft und erweitert.
Der Mensch als Ebenbild Gottes und damit als Leib- und Geistwesen kam dabei ebenso zur Sprache wie der Mensch als Vernunftwesen in Unterscheidung zum Tier bzw. von nicht-rationalen Wesen unterschied. Herausgestellt wurde, dass der Mensch im Denken, Fühlen und Handeln nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz einsetzen sollte. Er war herausgefordert, seinen freien Willen so zu bändigen und den inneren Menschen derartig zu formen, dass er Sünde bzw. Fehlverhalten vermeiden und ein tugendhaft Leben führen konnte. Dazu musste der Mensch nährreichen von unfruchtbaren Boden unterscheiden, um seine Wurzeln nur dort einzupflanzen, wo sie reiche Früchte in Form von guten Gedanken und Taten tragen konnten. Bei diesem Streben konnte der Mensch seine Gottebenbildlichkeit niemals verlieren. Im Gegenteil wurde mit dieser bereits im frühen Mittelalter die Würde des Menschen und damit der Schutz menschlichen Lebens begründet, selbst für Personen, die sich gemeinschaftsschädigend verhielten, auch wenn sie nicht explizit dem christlichen, sondern dem jüdischen oder heidnischen Glauben angehörten. Die Gottähnlichkeit jedoch konnte der Mensch durch Sünde und Fehlverhalten verlieren. Ob er sie ganz oder wenigstens teilweise zurückzugewinnen vermochte, hing mit dem Verständnis des Personkerns des Menschen zusammen: Wurde der Mensch in der Tradition des Augustinus als ein mit Erbsünde belastetes Mängelwesen verstanden, das diesem Zustand kaum entrinnen konnte, oder wurde er – im Anklang an Origenes – als ein zur Sünde neigendes Geschöpf gedeutet, das grundsätzlich zur Besserung fähig war?
Die Frage nach dem Menschen – so das Ergebnis der Tagung – spielte im Mittelalter eine bedeutende Rolle, auch wenn sie nicht ausdrücklich in eigenen Abhandlungen zur Sprache kam. Je nach Autor und Kontext wurde sie jedoch durchaus unterschiedlich beantwortet, so dass für das Mittelalter genauso wie für die biblischen Zeiten und die altkirchlichen sowie neuzeitlichen Jahrhunderte nicht von einem einzigen christlichen Menschenbild gesprochen werden kann, sondern unterschiedliche Menschenbilder entworfen wurden, freilich unter Beibehaltung von Grundkonstanten.
Mittelalter und Moderne kamen am Ende der Tagung auch in lokalkultureller Hinsicht in den Blick. In Gruppen besuchten die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer den neu gestalteten Mariendom und die Martinskirche bzw. das Ars Electronica Center.
27.06.2019/Ines Weber/sm

Interessante Kurzvorträge bei der Jahrestagung IGTM.

In den inhaltsreichen Diskussionsrunden und in einem Workshop wurden die Erkenntnisse vertieft und erweitert

Diskussion von ExpertInnen vor dem Hintergrund theologischer Fragestellungen.

Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für Theologische Mediävistik (IGTM).