Sommerakademie: Schwierige Suche nach Konfliktlösungsstrategien.

Die 25. Ökumenische Sommerakademie im Stift Kremsmünster widmete sich drei Tage lang dem Thema "Frieden stiften". Das abschließende Podium am 12. Juli 2024 bestritten der katholische Militärbischof Werner Freistetter, der armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan und der evangelische Superintendent Gerold Lehner.

Patentrezepte zur Beendigung von Kriegen und militärischen Konflikten gibt es nicht. Das darf jedoch keine Ausrede sein, sich nicht für Frieden und Gewaltfreiheit einzusetzen. Das war der Tenor zum Abschluss der 25. Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster. Die Tagung, die am Freitag endete, stand heuer unter dem Thema "Frieden stiften". Das abschließende Podium bestritten der katholische Militärbischof Werner Freistetter, der armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan und der evangelische Superintendent Gerold Lehner.

Bischof Freistetter sprach von einer Rückkehr in vergangenen Zeiten der Machtpolitik. Diese habe man vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Etablierung internationaler Organisationen in Schranken weisen wollen. Nun kehre die aggressive Machtpolitik verstärkt zurück.

Freistetter räumte ein, dass er angesichts der Frage "Wie sollen wir mit einem gewalttätigen Aggressor umgehen?" keine Antwort habe. Deutlich sei aber, dass sich Konflikte wie jener in der Ukraine oder im Heiligen Land nur international lösen ließen.

Die wahre Größe eines Staates liege zudem nicht in der Zahl oder Größe der beherrschten Territorien, sondern in der Etablierung von Demokratie, Menschenrechten, sozialer und wirtschaftlicher Gesundheit, zeigte sich der Bischof überzeugt. Dies sei der richtige Gegenentwurf zu Diktaturen bzw. Diktatoren oder auch Politikern, die für eine "illiberale Demokratie" eintreten, "die keine Demokratie ist".

"Gott steht auf der Seite von Gerechtigkeit und Frieden", so Freistetter weiter. Diese Überzeugung bringe auch die Aufgaben mit sich, im Bemühen um Frieden nicht nachzulassen, auch wenn diesen Bemühungen zumindest vorläufig wenig Erfolg beschieden ist. Der Bischof erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die missglückten Versuche von Papst Franziskus, beim Moskauer Patriarchen Kyrill um Frieden zu werben. Doch auch, wenn die faktischen Möglichkeiten der Kirche beschränkt sind, gelte es, den Menschen in der Ukraine nahe zu sein, mit materieller Hilfe und menschlicher Nähe wie auch im Gebet.

Der österreichische Militärbischof berichtete in seinen Ausführungen zudem über seine Erfahrungen als Mitglied der Delegation des Heiligen Stuhls bei der OSZE. Den politisch Verantwortlichen im Westen sei wohl viel zu wenig bewusst gewesen, wie sehr der Zerfall der Sowjetunion in Russland Verbitterung zurückgelassen habe, die sich nun im neuerlichen Streben nach imperialer Macht manifestiere. Auch ihm selbst sei dies erst im Laufe der Zeit durch viele diplomatische Begegnungen deutlich geworden.

Ökumene als Friedensprojekt

Superintendent Lehner sprach von der "Ökumenischen Bewegung als Friedensprojekt". Das sei etwa bei der Gründung des Weltkirchenrates 1948 in Amsterdam deutlich geworden, als man nach den Gräuel des Zweiten Weltkriegs das Bemühen und die Verpflichtung zum Frieden betonte. Aber auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg hätten maßgebliche Persönlichkeiten der Ökumene diese als Gegenbewegung zu den wachsenden Nationalismen und zum Militarismus verstanden. Der Nationalismus sei inzwischen aber wieder am Zunehmen, warnte Lehner.

Der oberösterreichische Superintendent erinnerte zudem an Martin Luther Kings Weg des gewaltlosen Widerstands, der "nichts für Feiglinge" sei, sowie an Dietrich Bonhoeffers Überlegungen zum Tyrannenmord. Bonhoeffer, der am Widerstand gegen den Nationalsozialismus und am Attentatsversuch auf Adolf Hitler 1944 beteiligt war, war sich dessen bewusst, dass er damit das 5. Gebot - "Du sollst nicht töten" - überschritt. Doch angesichts der konkreten Situation sei Bonhoeffer überzeugt gewesen, dass er auf jeden Fall schuldig sei, ob er nun aktiv gegen den Nationalsozialismus Widerstand leiste oder nicht. In jedem Fall bedürfe er der Gnade Gottes.

Solidarität mit Armenien

Bischof Petrosyan ging in seinen Ausführungen auf die Vertreibung der mehr als 100.000 Armenier aus Berg-Karabach durch Aserbaidschan ein. Dabei habe sich gezeigt, dass das Schicksal des armenischen Volkes für die Weltgemeinschaft keine Rolle spiele, so das bittere Resümee des Bischofs.

Berg-Karabach sei eine der zentralen Regionen des armenischen Christentums. Das christliche Erbe der Region sei nun auf das höchste bedroht bzw. dem Untergang geweiht. Ähnlich jenem in der Enklave Nachitschewan.

Am 19. September 2023 hatte Aserbaidschan die armenische Enklave Berg-Karabach mit überlegenen militärischen Mitteln angegriffen. Schon nach einem Tag war der Krieg entschieden. Dem Angriff vorausgegangen war eine rund neun Monate dauernde Totalblockade Berg-Karabachs durch Aserbaidschan. Mehr als 100.000 Armenier mussten schließlich im September 2023 über Nacht ihre Heimat verlassen. Bischof Petrosyan sprach wörtlich von "Christenverfolgung".

In der betroffenen Kaukasus-Region würden seit vielen Jahrhunderten die christliche und muslimische Welt aufeinandertreffen, mit oft auch gewalttätigen Auseinandersetzungen. Der aktuelle Konflikt sei aber alles andere als ein religiöser Konflikt, betonte der Bischof. Die Armenische Kirche habe sich immer wieder deutlich dagegen ausgesprochen, den Konflikt religiös aufzuladen; auch im Dialog mit islamischen Kräften.

Die Armenische Kirche bemühe sich um humanitäre und seelsorgliche Hilfe für die Geflüchteten. Zugleich versuche man, die internationale Gemeinschaft zu einem stärkeren Engagement in der Kaukasusregion zu bewegen. Diesen Einsatz erhoffe er sich auch von den Schwesterkirchen im Westen, so Bischof Petrosyan. Sehr positiv hob er in diesem Zusammenhang die jüngsten Solidaritätsbesuche der Bischöfe Wilhelm Krautwaschl und Hermann Glettler in Armenien hervor. Das armenische Volk habe diese Solidarität bitter nötig.

Der Bischof erläuterte die enge Verknüpfung zwischen religiöser und nationaler armenischer Identität. Das Christentum sei ein unverzichtbarer Teil der eigenen nationalen Identität. Selbiges gelte allerdings auch für die muslimischen Aserbaidschaner.

Religiöse Identitäten und Konflikte

Der Passauer Politikwissenschafter Oliver Hidalgo betonte in seinem Vortrag, dass keine der großen Weltreligionen davor gefeit sei, "dass in ihrem Namen Kriege begonnen und Terroranschläge verübt werden". Alle Religionen hätten umgekehrt aber auch schon dazu beigetragen, "die Gewalt der Waffen zu beenden". Religionen und religiöse Identitäten seien insofern nicht direkt für politische Konflikte verantwortlich zu machen, sie seien aber nicht selten in der Lage, bereits existierende politische, ethnische, kulturelle oder sozioökonomische Konflikte "zu strukturieren, zu perpetuieren oder gar zu verstärken", so Hidalgo.

Religiöse Identitäten seien besonders gefährdet für holzschnittartig Freund-Feind-Schemata und die Überhöhung der eigenen Position, sagte der Politologe. Dazu brauche es freilich keine Gläubigkeit im eigentlichen religiösen Sinn. Hidalgo spannte einen weiten Bogen aktueller Konflikte vom Ukraine-Krieg und Südosteuropa und den Nahen Osten bis zu Spannungen innerhalb der Europäischen Union. Religion spiele jedenfalls in Konflikten eine entscheidende Rolle, auch wenn Konflikte nicht als Religionskriege missgedeutet werden dürften.

Die Linzer Sozialethikerin Katja Winkler schlug in die gleiche Kerbe wie Hidalgo. Religionen könnten bei Konflikten sowohl Brandstifter wie Friedensstifter sein. Winkler ging in ihrem Vortrag vor allem auf das Friedenspotenzial der Religionen mit dem Schwerpunkt auf der christlichen Friedensethik ein, markant formuliert in der Friedensenzyklika "Pacem in Terris" (1963) von Papst Johannes XXIII. Darin wird auf die Anerkennung der Menschenrechte, Verwirklichung von Demokratie sowie ein gewisses Maß an sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit gedrängt.

Im Rahmen des Konzepts des gerechten Friedens hat auch eine Kriteriologie legitimer militärischer Gewaltanwendung ihren Platz. Winkler zitiert hier aus dem aktuellen Friedenswort der Deutschen Bischofskonferenz: Gewalt ist „grundsätzlich nur in der Form von Gegengewalt rechtfertigbar […], d.h. in Situationen der Notwehr, Nothilfe oder zum Schutz wehrloser Opfer schwerster und systematischer Menschenrechtsverletzungen".

Versöhnung ist möglich

Die evangelische Pfarrerin Alexandra Battenberg brachte in ihrem Vortrag bei der Ökumenischen Sommerakademie Beispiele konkreter Versöhnungsarbeit der Kirchen. So etwa im englischen Coventry, das im November 1940 bei einem Angriff der deutschen Luftwaffe dem Erdboden gleichgemacht wurde, mit hunderten Toten und viel mehr Verletzten und Obdachlosen. Während der Großteil der Menschen auf Rache sann, ging der damalige Dompropst Richard Howard einen anderen Weg. Er nutzte den landesweiten BBC-Weihnachtsgottesdienst, der aus der zerstörten mittelalterlichen Kathedrale von Coventry übertragen wurde, um zu Vergebung und Versöhnung aufzurufen. Auch mit dem Feind. Alle Menschen hätten Gottes Vergebung nötig.

Das ebenfalls im Weltkrieg schwer zerstörte Dresden wurde zur Partnerstadt von Coventry und es entstanden viele freundschaftliche Begegnungen und Beziehungen zwischen den ehemals verfeindeten Nationen. Auf der Grundlage der bedingungslosen Liebe Gottes sei Vergebung und Versöhnung mit dem Feind möglich. "Wenn man weiß, dass der Folterer nicht auf ewig über sein Opfer triumphiert, dann ist man frei, die Menschlichkeit des anderen neu zu entdecken und Gottes Liebe in ihm nachzuahmen", so Battenberg

Die evangelische Pfarrerin Eva Harasta, die in leitender Position im Lutherischen Weltbund (LWB) tätig ist, ging in ihrem Vortrag in Kremsmünster u.a. auf die Bemühungen des LWB ein, sich im Ukraine-Krieg für Verständigung einzusetzen. Harasta verwies zudem auch auf den Schöpfungsbezug des Friedens. Die Konkurrenz um knapper werden Ressourcen schüre die Kriegsgefahr: "Kriege werden um Wasser geführt werden". Die evangelische Theologin sprach vom "gerechten Frieden", der globale Gerechtigkeit bedinge. Gewalt sei nur als Mittel der Verteidigung oder in Notwehr, ebenso unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu legitimieren, zeigte sich auch Harasta überzeugt.

Eingefrorene Konflikte und TikTok-Kriege

Im Auftaktvortrag am Mittwoch spannte der Journalist Christian Wehrschütz einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart: Von Heraklit bis Kant und Clausewitz zeichnete er nach, welche Elemente Krieg und Frieden bis heute bestimmen. Breiten Raum nahm dabei die Rolle der Propaganda ein, die in Zeiten von "TikTok-Krieg" und "Deep Fake" eine neue Dynamik entfalte und gerade auch Journalisten vor Herausforderungen in der Berichterstattung stellt. Am Beispiel des Kosovokrieges (1998/99) zeigte Wehrschütz die Problematik "eingefrorener Konflikte" auf, die keinen tragfähigen Frieden bringen können; zugleich deutete sich hier schon das Versagen der europäischen Politik an, auch im Blick auf die damalige russische Einflussnahme am Balkan. Im gegenwärtigen Ukraine-Krieg spitze sich dies noch einmal zu, indem sich Europa nicht auf eine klare politische Strategie einigen könne. Über dem Minimalkonsens, die Ukraine finanziell zu unterstützen, werde verabsäumt, alternative, insbesondere auch diplomatische Strategien zur Konfliktbeilegung zu entwickeln. Die dramatische demografische und wirtschaftliche Situation in der Ukraine mache diese "Abwesenheit von Politik" noch weniger verständlich, so Wehrschütz.

Im Anschluss wies der Wiener Historiker Hannes Leidinger in seinen Ausführungen unter dem Titel "Der lange Weg zum Frieden" darauf hin, dass Gewaltverzicht in der historischen Langzeitperspektive eine Ausnahme oder taktische Atempause war. Zugleich gebe es aber quer durch die Menschheitsgeschichte die Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung. In diesen Kontext stellte Leidinger Initiativen zur immer umfassenderen Regelung des Krieges wie sie etwa in der Etablierung eines diplomatischen Gesandtschaftswesens im Gefolge des Wiener Kongresses, in der Genfer Konvention, der Haager Landkriegsordnung, aber auch in der Idee des Völkerbunds und nach 1945 in den Vereinten Nationen sichtbar werden. Die Auseinandersetzung mit Friedensprozessen mache bei aller nüchternen und realistischen Betrachtung bewusst, dass auch die Kirchen entscheidend mitwirken könnten. (Siehe Bericht  "Start der 25. Ökumenischen Sommerakademie: Frieden stiften.")

Abgeschlossen wurde die Sommerakademie mit einem ökumenischen Gebet um Frieden, an dem neben den Vortragenden u.a. auch der Linzer Bischof Manfred Scheuer und die evangelische Oberkirchenrätin Ingrid Bachler teilnahmen.

Die 25. Sommerakademie - das Jubiläum wurde Donnerstagabend im Rahmen eines Festakts im Stift Kremsmünster gefeiert - war zugleich auch die letzte dieser Art. Der frühere ORF-Intendant Helmut Obermayr hielt als Moderator und Mitbegründer der Sommerakademie in seinen Dankesworten am Freitag nochmals fest, dass das Format so nicht weitergeführt wird. Es gebe aber Überlegungen, die Sommerakademie in anderer Art und Weise fortzusetzen, und sich wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen zu widmen, bei denen die Kirchen gefordert sind. Man werde darüber zu gegebener Zeit informieren.

Die Ökumenische Sommerakademie war eine Veranstaltungsreihe der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz, des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), des Evangelischen Bildungswerks Oberösterreich, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, des Stiftes Kremsmünster, der Religionsabteilung des ORF und des Landes Oberösterreich.

12.7.2024 / Quelle: kathpress