Initiative SOLWODI: Sexkauf als Tabu-Thema unserer Zeit.

Am 18. Oktober 2024 fand die 11. Veranstaltung der Initiative "Aktiv gegen Menschenhandel - aktiv für Menschenwürde" statt. In den Räumlichkeiten des Mitveranstalters, der Katholischen Privat-Universität Linz, konnte Sr. Maria Schlackl, Salvatorianerin und Initiatorin der von SOLWODI (Solidarity with women in distress) getragenen Initiative "Aktiv gegen Menschenhandel – aktiv für Menschenwürde", am "Europäischen Tag gegen Menschenhandel" rund 170 Gäste, darunter Vertreter:innen aus Politik, Religion und Medien, begrüßen.

Noch immer sind Millionen von Menschen weltweit Opfer von Menschenhandel. Um auf diese grausame Realität aufmerksam zu machen und ein Zeichen gegen diese moderne Form der Sklaverei zu setzen, lautete das Motto des Abends: "Sexkauf fördert Frauenhandel".

Sr. Maria Schlackl: "Menschenhandel ist ein Verbrechen - wir dürfen nicht wegschauen."

Die Salvatorianerin kam gleich in ihrem Begrüßungsstatement auf die zerstörerischen Auswirkungen des Sexkaufs auf die Würde von Frauen zu sprechen: Menschenhandel, insbesondere der Frauen- und Mädchenhandel zum Zweck des sexuellen Missbrauchs und der Ausbeutung, ist eine der tiefsten Wunden unserer Zeit. Diese Problematik ist global und lokal präsent, sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart. Der Kauf von Sex fördert den Frauenhandel, während die stummen Schreie der Betroffenen ungehört verhallen. Täter und Profiteure können oft unbehelligt agieren.

Schlackl legte mit ihren Fragen den Finger auf die Wunden: Ist unsere Gesetzgebung täterfreundlich? Warum gibt es trotz legalisierter Prostitutionsgesetze Frauen, die vor Angst im Untergrund leben müssen? Ist Frauenhandel mit Menschenwürde vereinbar? Und braucht unsere Gesellschaft wirklich Bordelle? In einer übersexualisierten Gesellschaft drohen Intimität und Liebe, auf der Strecke zu bleiben. Diese Fragen müssen von der rechtlichen auf die menschenrechtliche Ebene gehoben werden, um ein Umdenken und einen Aufbruch aus diesem kriminellen Geschäftsfeld zu ermöglichen.

Bewusstseinsbildung und Prävention sind Schlüsselaspekte

Die SOLWODI-Initiative – Aktiv gegen Menschenhandel, aktiv für Menschenwürde – hat in den ersten zehn Jahren seit ihrer Gründung Aufklärungsarbeit geleistet. Seit 2012 gibt es in Wien ein Schutzhaus und eine Beratungsstelle für Frauen. Bewusstseinsbildung und Prävention sind Schlüsselaspekte der Arbeit von SOLWODI. Es ist wichtig, das Leid, das durch Menschenhandel verursacht wird, ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Nur so können Initiativen in der Politik und Zivilgesellschaft erwachen und aktiv werden. Dies geschieht durch Vorträge in Vereinen, Clubs und Pfarren sowie Workshops an Schulen.

Jedes Jahr gab es Veranstaltungen zu unterschiedlichen Schwerpunkten, und die Zusammenarbeit mit Kunst und Wissenschaft sowie mit engagierten Personen und Gruppen wird als besonders wertvoll angesehen. Die SOLWODI-Initiative Linz feierte zehn Jahre Engagement für Menschenwürde. „Ein Kind mit 10 Jahren ist in der Regel aufgeweckt – entdeckt, fragt, provoziert, freut sich am Leben und will wachsen und die Umgebung herausfordern – ja das wollen wir auch!“, betonte Sr. Maria Schlackl. Und sie sprach Dankesworte für jene, die sich Zeit nehmen, sich mit dem Thema Menschenwürde auseinanderzusetzen. „Wer weiß, welche Inspiration Sie heute davontragen werden“, so das Fazit der Salvatorianerin

Plakatserie und Ausstellung machten auf die Problematik aufmerksam

In den letzten Wochen war in Linz eine auffällige Plakatserie präsent, die unter der Headline „Sexkauf tötet Frauenwürde“ sowohl auf das Thema als auch auf die bevorstehende Veranstaltung hinwies. Gestaltet wurde das Plakat von der in Wien ansässigen Künstlerin Vivian Kabar, die sich seit langer Zeit in ihrer kunstvollen Arbeit dem Kampf gegen Gewalt an Frauen und Kindern widmet. Schon früh begann sie, Kinder und Jugendliche in ihren Werken darzustellen. Der Titel des Plakatgemäldes „Bondage“ fasste ihre Intention prägnant zusammen: „Das Bild soll das Gefühl des geistigen Eingesperrtseins darstellen – die Erfahrung, wenn man sich durch äußere manipulative Handlungen nicht wehren kann, wenn man in seinem eigenen Geist gefangen ist.“

Begleitet wurde die Plakatserie von einer Ausstellung unter der Leitung von Ilaria Hoppe vom Institut für Kunst in gegenwärtigen Kontexten und Medien an der Universität Linz. Mit einer Gruppe Studierender setzte sie sich im vergangenen Semester intensiv mit verschiedenen Aspekten von Menschenhandel, Sklaverei und deren künstlerischen Darstellung auseinander. „Einerseits wollten wir die Opfer nicht unnötig in den Vordergrund rücken“, erläuterte Hoppe den kreativen Schaffensprozess. „Andererseits betrifft dieses Problem uns alle, da es direkt vor unserer Tür geschieht. Wir können es nicht ignorieren oder so tun, als wäre es weit entfernt. Diese Erkenntnis haben wir auch im Seminar vertieft.“

Sandra Norak: "Zwangsprostitution ist Seelenmord."

Hauptrednerin des Abends war die engagierte Aktivistin und Juristin Sandra Norak. Für einen Zeitraum von sechs Jahren war Norak in der Prostitution tätig, sowohl im Escort-Service als auch in diversen Bordellen. Ihre familiären Verhältnisse waren äußerst schwierig. Im Alter von 17 Jahren begegnete sie online einem älteren Mann, einen Zuhälter, der ihr vorgaukelte, die große Liebe ihres Lebens zu sein, und ihr ein besseres Leben in Aussicht stellte. Von ihrem sozialen Umfeld isoliert, emotional abhängig und ohne jegliches Bewusstsein für ihre Opferrolle, willigte sie ein, für diesen Mann in einem sogenannten Flatrate-Bordell zu arbeiten. „Er erzählte mir, er hätte immense Schulden bei bestimmten Leuten, die ihm Schreckliches antun würden, wenn er sie nicht begleichen könnte. Nur ich könnte ihn retten.“

Loverboy-Masche

Diese Vorgehensweise ist als die sogenannte „Loverboy-Masche“ bekannt geworden. „Er brachte mich in ein Flatrate-Bordell, wo ich innerhalb von vier Wochen 400 bis 500 Sexkunden bedienen musste“, berichtet Norak mit bedrückender Ehrlichkeit. „Unabhängig davon, ob ein Mensch vermeintlich freiwillig mitmacht oder nicht, das ändert nichts an den Gefühlen, nichts daran, dass man gerade von einem fremden Menschen berührt und penetriert und somit zu einem Objekt degradiert wird.“ Man verliert irgendwann die Fähigkeit, sich selbst als fühlendes Wesen wahrzunehmen. Es ist eine Art Zerstörung der eigenen Identität – ein Grund, warum viele in der Prostitution verharren. „Man hat sie dort oder auch schon zuvor durch Gewalt gebrochen; man hat ihnen ihre Würde, ihre Seele, ihr Menschsein geraubt.“

Zwang wird als "Freiwilligkeit" verkauft

Von diesem Zustand profitieren Zuhälter, Menschenhändler und Sexkäufer, denn in einem solchen Zustand wehrt man sich nicht mehr. „Ich habe oft gesehen, wie Frauen, betäubt durch Alkohol oder andere Drogen, um das zu ertragen, reglos auf dem Bett lagen und die schlimmsten, unmenschlichsten Dinge durch die Sexkäufer über sich ergehen ließen.“ In diesem Zustand kann man auch nicht einfach in ein normales Leben zurückkehren, als wäre nichts geschehen. Denn man trägt diese Überzeugung, nichts wert zu sein und den Verlust von Würde und Seele in sich, man ist psychisch in dieser Welt gefangen. All das sind Faktoren, die die Frauen in der Prostitution halten, was dann oft als „Freiwilligkeit“ verkauft wird.

Ein "normaler" Job

Als ihr „Loverboy“ sie das erste Mal in ein Bordell mitnahm, wusste sie nicht, was sie tun sollte und in welcher gefährlichen Situation sie sich befand. „Mein Zuhälter meinte, es sei ja alles ganz normal und ein Job wie jeder andere“, erinnert sich Norak. „Und das sagt unsere Gesellschaft im Prinzip ja auch: Prostitution ist ein Job wie jeder andere.“ Die Legalität der Prostitution in Deutschland und Österreich erleichtert es Menschenhändlern, die Normalität und Freiwilligkeit der Prostitution zu suggerieren, was die Strafverfolgung erheblich erschwert. Die zur Prostitution gezwungenen Frauen sagen meist nicht gegen ihre Täter aus, da sie Angst haben oder nicht glauben, dass ihnen nach einer Aussage tatsächlich Hilfe und Schutz geboten würde, um wirklich der Prostitution zu entkommen.

Es war erst nach einem langwierigen und schwierigen Prozess, dass es Norak gelang, ihrem Zuhälter und auch der Prostitution zu entfliehen. Nach ihrer Aussage erhielt die Polizei zu diesem Zeitpunkt einen anonymen Tipp, und die Beamten holten sie aus der Wohnung ihres Zuhälters. Jedoch beschreibt sie, dass sie so hoffnungslos und manipuliert war, dass sie keine Zeugenaussage gegen ihren Zuhälter machte und letztlich zu ihm zurückkehrte.

Kampf gegen Verharmlosung

Heute ist Norak eine engagierte Juristin – das ist kein Zufall: Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem den Frauen, die zu einem Großteil aus Osteuropa kommen und hier in Deutschland in der Prostitution leben, zu helfen, da sie oft keine eigene Stimme haben. Schließlich hat sie aus eigener Erfahrung miterlebt, wie viele von ihnen an ihrem Schicksal zerbrochen sind. Norak will, dass die Öffentlichkeit besser über die die tatsächliche Situation im Prostitutionsmilieu informiert wird und gegen die anhaltende Verharmlosung dieses ernsten Themas ankämpft. Die Aktivistin hält auch Vorträge an Schulen, um Jugendliche über die Gefahr von Loverboys aufzuklären.

Seelenmord

Ihre Zeit als Prostituierte bezeichnet Norak als „Seelenmord“. Sie beschreibt, dass sie nach ihrem Ausstieg an einer schwerwiegenden posttraumatischen Belastungsstörung litt. Ihr Körper fühlte sich taub an, sie hatte häufig Schwindelgefühle, stotterte, und es fiel ihr schwer, klar und strukturiert zu denken. Diese Symptome seien Anzeichen von Dissoziation, welche häufig bei Opfern von schwerem Trauma auftreten. Norak berichtete ebenfalls darüber, dass sie nach ihrem Ausstieg unter schweren Flashbacks und Panikattacken litt.

Zudem kritisiert Norak die gesellschaftliche Stigmatisierung der Opfer von Prostitution und deren ungleiche Behandlung im Vergleich zu Freiern. Abschließend fordert sie mehr Aufklärung und Sensibilisierung, insbesondere für Kinder und Jugendliche, sowie staatliche Maßnahmen zur Reduzierung der Nachfrage nach Prostitution. Die Juristin kritisiert die Normalisierung der Prostitution durch legale Rahmenbedingungen und fordert eine stärkere Anerkennung der damit verbundenen Risiken und Schädigungen.

Nordisches Modell

Norak engagiert sich mit Nachdruck dafür, dass sowohl in Deutschland als auch in Österreich das nordische Modell zur Regulierung der Prostitution eingeführt wird. Bei diesem Ansatz wird der Erwerb von sexuellen Diensten strafrechtlich verfolgt, während die Ausübung der Prostitution legalisiert bleibt, um den Betroffenen den Zugang zu Unterstützung und Ressourcen zu erleichtern. Darüber hinaus werden Unterstützungsangebote für den Ausstieg aus der Prostitution bereitgestellt und die Öffentlichkeit wird detailliert über die Schattenseiten und Risiken der Prostitution informiert und sensibilisiert.

Text: Robert Sonnleitner / Fotos: Hermine Eder