RingVL: Von der globalen zur alter-globalistischen Kunstgeschichte.
Haben sich die beiden ersten Global Art History-Ringvorlesungen 2015/16 und 2017/18 mit der Entkolonialisierung kunsthistorischer Perspektiven befasst, Konzepte, Anliegen und Probleme einer "Globalen Kunstgeschichte" vorgestellt und in Positionen postkolonialer Kritik eingeführt, so hat die Reihe im Wintersemester 2019/20 den Begriff des "Europäischen Kanons" problematisiert. Leitend war dabei der Befund, dass es kein ‚eines‘, homogenes Europa gibt und daher das eurozentrische Paradigma selbst von innen heraus zu dekonstruieren ist. Den Ausgangspunkt bildete Piotr Piotrowskis Vorschlag einer "alter-globalistischen Kunstgeschichte". Dieser Ansatz widersetzt sich nicht nur den dominanten Kanonbildungen und Meistererzählungen der Mainstream- oder Universalkunstgeschichte, sondern unterzieht auch die wirtschaftlichen, zivilisatorischen und kulturellen Globalisierungsprozesse einer radikalen Kritik. Vor diesem Hintergrund stellten die eingeladenen Vortragenden ihre Ergebnisse zur Diskussion.
Die Vorträge gaben Einblick in aktuelle theoretische und methodische Fragen, insbesondere lieferten sie aber materialreiche Kunstgeschichten mittel- und osteuropäischer Länder seit 1945, wie sie im Rahmen der ‚westlichen‘ und herkömmlichen Kunstgeschichtsschreibung noch weitgehend unbekannt – oder unsichtbar – sind. Eingebettet war das in eine komplementäre Doppelfrage: Wie stellt sich die globale Perspektive in der Kunstgeschichte aus regionaler Sicht dar – und wie ist die Positionierung regionaler Kunstgeschichten im globalen Kontext zu denken?
Präsentiert wurden von den Vortragenden historische und aktuell sich neu entwickelnde Konzepte und Themen im Zusammenhang mit dem Projekt des Schreibens von Kunstgeschichte in Mittel- und Osteuropa: das horizontale Paradigma in der Kunstgeschichte; die räumliche Verschiebung in der Kunstgeschichte (Monika Leisch-Kiesl und Karolina Majewska Güde); die Globalisierung mittel- und osteuropäischer Kunstgeschichte (Beáta Hock); die Beziehung zwischen mittel- und osteuropäischen Kunstgeschichten und Kunstgeschichten anderer semi-peripherer Gebiete wie Südamerika (Katarzyna Cytlak); das Verhältnis der mittel- und osteuropäischen Länder zur Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg (Bojana Piškur); neue methodologische Konzepte wie die "Kunstgeschichte des Ortes" (Pavlína Morganová); Ansätze zur Neuschreibung der Kunstgeschichte ehemals sozialistischer Staaten. Und zwar jenseits einer ausschließenden Dichotomie von offiziellen und nichtoffiziellen Kunstszenen (Kathleen Reinhardt); schließlich: die Verflechtung lokaler und globaler Fragen in einer konkreten zeitgenössischen künstlerischen Praxis (Irena Lagator Pejović). Das Vortragsprogramm gab dabei auch vielfältige Einblicke in Strukturen, Bedingungen und Problemlagen der regionalen kunsthistorischen Forschungen: Schlüsselpublikationen und Grundlagentexte kamen ebenso zur Sprache wie Forschungseinrichtungen, Museen und Netzwerke sowie Konferenzen und Ausstellungen, bei denen mittel- und osteuropäische Kunstgeschichten der jüngsten Vergangenheit im Zentrum standen und stehen.
Eine Ringvorlesung des Fachbereichs Kunstwissenschaft / Institut für Geschichte und Theorie der Kunst . Konzept und Organisation: Karolina Majewska-Güde und Monika Leisch-Kiesl .
Weitere Informationen finden Sie unter Global Art History [3] , wo neben ausführlichen Berichten Videos der Einzelvorträge (über LISA / Gerda Henkel Stiftung) sukzessive zur Verfügung gestellt werden.
11.02.2020/km-g, kd