Sommerakademie zur Rolle von Christ:innen in säkularer Gesellschaft.
Mit Rolle und Position der Kirchen in einer zunehmend säkularen Welt setzten sich renommierte Vortragende gemeinsam mit rund 250 Besucher:innen im Rahmen der 24. Ökumenische Sommerakademie vom 12. bis 14. Juli 2023 im Stift Kremsmünster auseinander.
Ergebnisse der Sozialforschung und rechtliche Rahmungen
Nach der Eröffnung am Mittwoch, dem 12. Juli 2023 (den Bericht finden Sie hier) begann am späteren Nachmittag der erste Teil der Sommerakademie, in dem die gesellschaftlichen Entwicklungen aus der Sicht der Sozialforschung sowie der Wandel der rechtlichen Rahmenbedingungen dargestellt wurden.
In seinem Vortrag skizzierte der Kommunikationswissenschafter und Meinungsforscher Thomas Petersen (Institut für Demoskopie Allensbach) die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte. Nehme auch die Selbstdeklaration als "katholisch", "evangelisch", "christlich" oder "religiös" sowie die formale Zugehörigkeit zu den Kirchen stark ab, so erweise sich die Wertschätzung christlicher (Kultur-)Traditionen als stabiler. Zu beobachten seien eine "Aushöhlung der Kernelemente christlicher Lehren" und das Verschwinden der Kirchen und religiösen Riten aus dem Alltag. Peterson beschrieb dies als Teil eines "3-Stufen-Prozesses", bei dem auf den allgemeinen Glaubensverlust der Austritt aus den Kirchen folge, man aber dennoch, wie Umfrage-Ergebnisse belegen, weiter an der christlichen Kulturtradition festhalte. Das Christentum wandle sich so zu einem Element kultureller Identität; institutionell gesehen könne man vom Zusammenschmelzen auf "den harten Kern" sprechen. Petersen appellierte an die christlichen Kirchen, sich der jetzigen Situation und einer absehbaren schwierigen Zukunft zu stellen, denn: "Menschen werden nicht einfach von allein wieder gläubig". Aus der Sicht der Markt- und Meinungsforschung regte er an, das eigene einzigartige Angebot bewusst zu platzieren – und nicht als Konkurrenz aufzutreten etwa zur ökologischen Bewegung.
Im Anschluss erläuterte Rechtswissenschafter Universitätsprofessor Herbert Kalb (Johannes Kepler Universität Linz), wie sich die rechtliche Position der Kirchen verändert habe. Dem klassischen Staatskirchenrecht lag eine etatistische Sichtweise des Verhältnisses von "Staat" und "Kirche" zugrunde, wohingegen seine Neufassung als Religionsrecht eine Individualperspektive vertrete; gekennzeichnet sei es u.a. durch das "Kooperationsverhältnis" von Religionen und Staat: Religionen werden als Teil der gesellschaftlichen Öffentlichkeit begriffen. Kalb problematisierte dabei die teilweise Instrumentalisierung des Religionsrechts als "Integrations- und Sicherheitsrecht" und machte dies an den Diskussionen um den „politischen Islam“ fest, die in Anlassgesetzgebungen münden. Hier stelle die korrigierende Judikatur des Verfassungsgerichtshofes einen entscheidenden Stabilisierungsfaktor dar, etwa, wenn beim "Kopftuchverbot" festgehalten werde, seine ausschließliche Fixierung auf Personen der islamischen Gemeinschaften sei unvereinbar mit der Religionsfreiheit. Die Schwierigkeit, "Religion" rechtlich und begrifflich zu fassen, auch und gerade in Differenz zu "Weltanschauung", beleuchtete Kalb anhand der Anträge auf Eintragung als Bekenntnisgemeinschaft der "Kirche der Pastafari" und der "Atheistischen Religionsgemeinschaft". Dabei stoße man, wie Kalb anschaulich darlegte, mit den herkömmlichen Definitionen an Grenzen und müsse neue, praxistaugliche Kriterien entwickeln.
Wie heute als Kirche und Christ:in "Salz der Erde" sein?
Am zweiten Tag der Sommerakademie stand die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die christlichen Kirchen dem Anspruch, "Salz der Erde" zu sein, noch gerecht werden können.
In einer feinsinnigen und subtilen biblisch fundierten Interpretation der titelgebenden Stelle aus der Bergpredigt – "Ihr seid das Salz der Erde" (Mt 5,13) – arbeitete die Bibelwissenschafterin und Direktorin des Österreichischen Bibelwerks Elisabeth Birnbaum heraus, was diese Botschaft zugleich als Auftrag, Zuspruch und Verantwortung bedeutet. Dabei überführte sie die Metaphorik der biblischen Sprache ins Heute und lotete aus, wie diese für ein modernes, gesellschaftlich relevantes Christentum fruchtbar gemacht werden kann. Aus dem Verhältnis von Christentum und Welt, das im Wort Jesu zum Ausdruck kommt, entfaltete Birnbaum ein bewussteres Selbstverständnis für die Kirche bzw. für Christ:innen: Als Salz sei man Teil der Erde und nicht etwas von ihr Geschiedenes – und als ein solcher integraler Bestandteil der Welt wirke man potenziell für die ganze Menschheit: indem man würzt und wandelt, auch, indem man "durstig macht für Gott". Ebenso für sich selbst aber, hob Birnbaum mit Nachdruck hervor, müsse die Kirche immer wieder aufs Neue "Salz" sein und sich gerade auch selbstkritische Fragen stellen: Was verliert die Welt, wenn das Salz seinen Geschmack verliert und weggeworfen wird? Und fürchtet man das, weil man aufhören könnte, Salz zu sein, das "würzt, wirkt und wandelt", oder fürchtet man vielleicht nur den Verlust von Macht und Einfluss: das Ende einer Kirche als Selbstzweck.
Der orthodoxe Theologe und Professor für Ökumenische Theologie Rade Kisić (Universität Belgrad) schilderte das Verhältnis von Serbischer Orthodoxer Kirche und Staat in Serbien und gab so Einblicke in Geschichte und Gegenwart eines Landes, das Österreich zwar in mehrfacher Weise sehr nahe, über das hierzulande aber dennoch wenig bekannt ist. Aus den Entwicklungen seit dem Spätmittelalter erklärte Kisić den bis heute fortwirkenden wichtigen Beitrag der Kirche zur nationalen Identität und die enge Verflechtung von Staat und Kirche, die vom 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg reichte. Einen massiven Einschnitt stellte die Kommunistische Ära dar. Deren Anfangsphase bis Mitte der 1950er Jahre sei für die Serbische Orthodoxe Kirche eine "Zeit des Terrors" gewesen. Vor diesen historischen Hintergründen beschrieb Kisić die spezifische Form der Säkularisierung in Serbien, die er als "Atheisierung" kennzeichnete. Wenngleich diese mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes auch eine Unterbrechung erfahren habe, so sei die konkrete Bestimmung des Verhältnisses der Kirche zum Staat bzw. ihrer Rolle innerhalb der serbischen Gesellschaft nach wie vor im Fluss. Dass die Kirche in Serbien hier von der Diaspora in Europa und Nordamerika lernen könne, da diese über große Erfahrungen im Dialog mit postmodernen, säkularisierten Gesellschaften verfüge, davon zeigte sich Kisić überzeugt.
"Nicht ohne die Anderen" war der programmatische Titel des Vortrags der Theologin Isabella Bruckner (Päpstliches Athenäum Sant’Anselmo in Rom), der nach Möglichkeiten und Bedingungen multireligiöser Feiern fragte. Ausgehend von der auch in postsäkularen Gesellschaften zu verzeichnenden Wirkung von Religion und Ritus entwickelte sie Dimensionen von Gebet – als Bewusstsein dessen, "was fehlt" – und führte in einer anspruchsvollen Analyse in Theorien über Symbolisierung und rituelle Formen ein. Dabei unterstrich sie die "geistig-generative Kraft" körperlicher Gesten und die im Ritual sich vollziehende positive Veräußerlichung der Innerlichkeit. Wie aber findet man zu allgemein geteilten Riten und Symbolen, ohne die eigene Tradition aufzugeben? Und wie geht man mit der Tatsache um, dass die Kirche(n) nicht mehr die Gesamtheit von Leben und Gesellschaft repräsentieren? Am konkreten Beispiel dreier multireligiöser Gedenkfeiern – eine davon das von Bruckner mitkonzipierte und organisierte Corona-Gedenken am Maindeck des AEC in Linz (19. September 2021) – zeigte sie sowohl praktische Probleme dieser Feiern als auch deren Lösungen. Das Hereinnehmen der und Lernen von Anderen sei ein der Katholizität innewohnendes "Entgrenzungsprinzip" (Isabella Guanzini) und in diesem Sinne könne man die Arbeit an gemeinsamen Sprachen und ästhetisch-rituellen Formen für multireligiöse Feiern als ein Anfangen der "offenen Stadt" verstehen, wie sie im Bild vom Himmlischen Jerusalem aufscheine.
Vom Zusammenwirken mit Anderen handelte auch der Beitrag von Gerti Rohrmoser, Direktorin der Evangelischen Frauenarbeit in Österreich, über "Allianzen zwischen kirchlichen und säkularen Initiativen". Anstatt sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen und in wehmütigen Blicken auf die Vergangenheit zu verharren, gelte es, so Rohrmoser pragmatisch, die Hürden in den eigenen Institutionen – und auch in den eigenen Köpfen – zu überwinden und sich bewusst zu machen: Sich für ein gutes Leben einzusetzen, ist kein christliches Privileg! Daher sei es wichtig, dass weltanschaulich durchaus sehr unterschiedliche Gruppierungen und Institutionen zusammenarbeiten und ihre Ressourcen und Kompetenzen bündeln, um das Ziel eines Lebens in Fülle für alle Menschen zu erreichen. Denn auch wenn die Evangelische Frauenarbeit eine feministische Politik betreibe, sei diese, wie Rohrmoser betonte, eine Politik für alle – nur eben aus der Perspektive der Frauen. In den Schlaglichtern auf die Felder des Engagements wurde dies deutlich: Vom „Österreichischen Frauenring“ über die "Armutskonferenz" bis zu "Fair sorgen" und "Fair Trade" reichen die Aktivitäten, bei denen es vielfach auch um Sichtbarmachung und Bewusstseinsbildung geht. Es handle sich hier um Themen und Fragen, die man als Kirche und als Christ:in nicht einfach akzeptierend zur Kenntnis nehmen könne, auch wenn man wisse, dass die eigene Wirkmächtigkeit als "Salz der Erde" beschränkt sei.
Der zweite Veranstaltungstag wurde mit einer von Heinz Niederleitner (Kirchenzeitung der Diözese Linz) moderierten Podiumsdiskussion der Referent:innen Elisabeth Birnbaum, Rade Kisić, Isabella Bruckner und Gerti Rohrmoser beschlossen. Dabei wurde insbesondere die Frage aufgeworfen, wie man Menschen neu und/oder wieder erreichen könne: Indem man z.B. ein hoch verdichtetes symbolisches Geschehen wie die Liturgie zugänglicher machte? Konsens riefen hier Antworten von Isabella Bruckner und Elisabeth Birnbaum hervor: Vielleicht sollte man nicht immer zuerst fragen: "Wie bringe ich es den anderen bei?", sondern das eigene "Suchen und Fragen bezeugen" und so als "Salz der Erde" wirken.
Christentum und Ökumene in Europa: heute und morgen
Am Freitag, dem 14. Juli endete die Sommerakademie mit einer Podiumsdiskussion zum Thema "Christentum und Europa" – womit explizit mehr gemeint war, als nur die EU – mit Bischof Andrej Ćilerdžić (Serbische Orthodoxe Kirche Österreich-Schweiz-Italien), dem emeritieren EU-Kommissar und Präsidenten des Europäischen Forums Alpbach Franz Fischler, dem ehemaligen Präsidenten der Evangelischen Generalsynode A. und H.B. Peter Krömer und Ladislav Német, Erzbischof von Belgrad und Vizepräsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE).
Am Beginn der Diskussion standen Statements der Podiumsteilnehmer: Franz Fischler zeigte in einem Durchgang durch die Geschichte der EU, wie sich diese aus der fast ausschließlichen Fixierung auf wirtschaftliche Integration zur Suche nach einer europäischen Identität, ja einer europäischen Seele entwickelte, zu der Christ:innen mit ihrem auch ganz persönlichen Handeln einen wichtigen Beitrag leisten können. Erzbischof Ladislav Német stellte die Arbeit und die Initiativen der CCEE in Bezug auf Ökumene und interreligiöse Dialoge vor und rückte dabei drei Themen ins Zentrum: das stete Festhalten am Dialog in Europa und darüber hinaus, die Frage der Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft wie auch in den Kirchen sowie das gemeinsame Eintreten dafür, dass unsere Welt eine bewohnbare Erde bleibe. Auf Kehrseiten der rechtlich garantierten Gleichbehandlung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht machte Peter Krömer aufmerksam: Diese greife zum Teil in die innersten Bereiche der kirchlichen Institutionen ein und erschwere das Wirken als "Salz der Welt". Mit Beispielen aus der Praxis belegte er seine Wahrnehmung, dass man bei „Christentum und Europa“ nicht mehr von einem friktionsfreien Verhältnis sprechen könne. Bischof Andrej Ćilerdžić schließlich umriss das gewandelte Verhältnis des Projekts der Ökumene zu Säkularisierung und Modernisierung und erinnerte daran, dass deren (west)europäische Formen nicht umstandslos als globales Phänomen zu betrachten seien. Nicht zuletzt im ökumenischen Dialog zeige sich, dass die Kirchen ihre Verantwortung innerhalb der Zivilgesellschaft annehmen – und mit christlichen Impulsen bewusst für ein besseres Zusammenleben wirken.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden Formen und Möglichkeiten, "Salz der Erde" zu sein, in konkreter und kritischer Auseinandersetzung mit den Vorträgen, Gesprächen und Diskussionen der dreitägigen Ökumenischen Sommerakademie noch einmal reflektiert und weiter vertieft.
Den Abschluss bildet der schon traditionelle Ökumenische Gottesdienst mit Superintendentialkuratorin Renate Bauinger, Superintendent Gerold Lehner, dem Abt des Stiftes Kremsmünster Ambros Ebhart, Bischof Manfred Scheuer, Erzbischof Ladislav Német und Bischof Andrej Ćilerdžić - aufgrund von Renovierungsarbeiten in der Stiftskirche diesmal in der Akademischen Kapelle des Stifts Kremsmünster.
Die Ökumenische Sommerakademie ist eine Veranstaltung der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz, des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, des Evangelischen Bildungswerks Oberösterreich, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, des Stiftes Kremsmünster, der Religionsabteilung des ORF und des Landes Oberösterreich. Der ORF Oberösterreich und die Oberösterreichischen Nachrichten sind Medienpartner.
Der Tagungsband der 23. Ökumenischen Sommerakademie "Gesellschaft ohne Vertrauen. Risse im Fundament des Zusammenlebens", herausgegeben von Severin Lederhilger, ist im Verlag Friedrich erschienen und auch bereits im Buchhandel erhältlich. (ISBN 978-3-7917-3453-8)
14.07.2023/RK/HE