Buchpräsentation: Über die "Stadt der Frauen" von Christine de Pizan.

Einblicke in das lang vergessene Schreiben und Denken einer Frau des Mittelalters gibt Monika Leisch-Kiesl mit ihrer neuen Publikation "Die Dame Vernunft und das Schreiben von Geschichte. Christine de Pizans 'Livré de la cité des dames'". Am 7. Dezember 2021 erläuterte die Autorin bei einer Online-Buchpräsentation aus dem Lesesaal der Universitätsbibliothek der KU Linz gemeinsam mit Absolventin Raphaela Hemetsberger verschiedene Zugänge zu Christine de Pizan und warum die um 1430 gestorbene Schriftstellerin immer noch aktuell ist. Zum Entstehungsprozess der Publikation kamen auch Buchgestalterin Sibylle Ryser und Drucktechniker Mario Egarter zu Wort.

Wiederentdeckung einer Autorin

"Warum wissen wir von all dem nichts?", diese Frage begleitete wie ein Grundton die von rund 60 Personen verfolgte Online-Buchpräsentation: Denn so sehr sich die Forschung zu Christine de Pizan in den letzten Jahrzehnten auch intensiviert haben mag, war die um 1400 in Frankreich wirkende Dichterin und Philosophin für viele Jahrhunderte nahezu vergessen. Und auch trotz einer in Frankreich u.a. staatlich unterstützten Rückbesinnung auf Christine de Pizan – als große Autorin französischer Sprache – gelten ihre Werke vielfach immer noch als Geheimtipp; ja selbst in facheinschlägigen Wissenschaftsfeldern ist sie nicht durchwegs bekannt, wird als Randerscheinung oder bestenfalls als 'Ausnahme' wahrgenommen.

Wie so oft konnten und können nur individuelle Kennerschaft und persönliches Interesse, der Kontakt mit Personen, die in ihren Fächern auch andere Wege gehen, eine fehlende institutionelle Verortung im Mainstream der Literatur- und Philosophiegeschichte ausgleichen: Dies bestätigte sowohl Monika Leisch-Kiesls Erinnerung, wie sie in den 1980er Jahren zu Christine de Pizan kam (namentlich durch den Austausch mit Elisabeth Gössmann), als auch der Rückblick Raphaela Hemetsbergers: Fragestellungen der Genderforschung, Feministische Philosophie, schreibende Frauen im Mittelalter – von all dem habe sie vor dem Studium der Kunstwissenschaft und Philosophie an der KU Linz nichts gehört; es seien erst die selbstverständliche Präsenz von Genderfragen am Fachbereich Kunstwissenschaft, Lehrveranstaltungen zur Philosophiegeschichte von Aloisia Moser und insbesondere ein Seminar von Monika Leisch-Kiesl zu "Künstlerinnen-Büchern von Christine de Pizan bis Irena Lagator Pejović" (im Wintersemester 2019/20) gewesen, die ihr den Zugang zu einem bislang verborgenen Thema – und ihr noch unbekannten Protagonistinnen quer durch die Jahrhunderte – eröffnet habe.

Ein ambitioniertes Buchprojekt

Im Dialog von Autorin Monika Leisch-Kiesl und Raphaela Hemetsberger, die als Erstleserin des deutschen Textes der zweisprachigen Publikation (dt./engl.) fungierte, wurden Inhalte und Motive des "Livré de la cité des dames" vorgestellt: Von wem lässt Christine de Pizan die "Stadt der Frauen" bevölkert sein? Kommt Lilith vor? Wie gestaltet sie Eva, wie Maria? Was lässt sich zu den Miniaturen in der Handschrift sagen? Und mit welchem Gestus und welchem Selbstbewusstsein tritt Christine de Pizan als Autorin auf? Skizziert wurden überdies, auch in der anschließenden Diskussion, Wege der Rezeption ihres Werkes.

Indem Buchgestalterin Sibylle Ryser (Basel) und Drucktechniker Mario Egarter (Samson Druck, St. Margarethen/Salzburg) den Gestaltungs- und Umsetzungsprozess der Publikation erläuterten, erhielt die Veranstaltung eine zusätzliche Dimension. Man wurde auf grafische Überlegungen und Entscheidungen aufmerksam, auf Lösungen formaler Probleme, die wie der Inhalt Fundament einer gelungenen Publikation sind.

Schließlich zeigte Bibliotheksdirektor Ingo Glückler anhand einer Handschrift des späten 15. Jahrhunderts, dass das klassische Sprichwort "Habent sua fata libelli" – Bücher haben ihre Schicksale – nicht nur auf Inhalte zu beziehen ist, sondern bei einer Handschrift als konkreter physischer Einzelerscheinung, als 'Individuum' wirklich ganz buchstäblich zutrifft.

Das Buch, mit dem ein weiter Leser*innenkreis eingeladen wird, sich mit Werk und Wirken Christine de Pizans auseinanderzusetzen, das zugleich aber auch den aktuellen Stand der Forschung verarbeitet und erschließt, ist im Herbst 2021 als Band 9 der Reihe "Literatur – Wissen – Poetik" im Olms Verlag erschienen (weitere Informationen zur Publikation finden Sie hier).

Medien

Ein Video der Buchpräsentation ist am YouTube-Kanal der KU Linz verfügbar.

Für Radio FRO wurde von Pamela Neuwirth ein Feature gestaltet, das Elemente der Buchpräsentation mit einem Interview mit Autorin Monika Leisch-Kiesl verbindet. Der Beitrag wurde am 10. Februar 2022 gesendet und kann im Cultural Broadcasting Archive nachgehört werden.

9.12.2021/RK