„Ressource Volkstracht“

Über die Instrumentalisierung der Volkstracht im sozialistischen Rumänien handelte Ulrike Ettinger bei der Vortragsreiche STOFFWECHSEL.

Am vorletzten Abend der Vortragsreihe STOFFWECHSEL. Mode zwischen Globalisierung und Transkulturalität am 27. Mai 2015 wurde Studierenden und Besucher/inne/n von der aus Rumänien stammenden Berliner Künstlerin und Theoretikerin Ulrike Ettinger ein spannender Vortrag geboten.

Unter dem Titel „Ressource ‚Volkstracht‘ im sozialistischen Rumänien“ zeichnete die Referentin die kulturpolitische und ökonomische Verwertung von Volkstrachten im Rumänien der 1960er bis 1980er Jahre nach. Dabei bettete sie Ergebnisse ihres an der Bauhaus Universität Weimar laufenden Promotionsprojekts in den kulturhistorischen Diskurs über Tracht(en), deren Geschichte und mannigfache Verwendung.

Trotz der Komplexität des Themas – die Verwertung von ‚Volkstracht‘ und die Veränderung des Verständnisses von ‚Volkstracht‘ wie ‚Volkskultur‘ im rumänischen Sozialismus durchlief mehrere Phasen und wirkt in bestimmten Kontexten bis heute nach – gelang es Ulrike Ettinger u.a. mit der Präsentation von Veranstaltungsvideos, Zeitungsartikeln und Fotografien sowie durch die Auswertung von Literatur, Werbe- und Propagandamaterial aus der untersuchten Zeit ein anschauliches Bild dieser spezifischen Erscheinung rumänischer Kultur zu zeichnen. Neben der theoretischen Reflexion eröffnete Ettinger auch andere Zugänge zum Thema: Sie zeigte eigene künstlerische Arbeiten, die den Fragenkomplex umkreisen und diesem weitere Dimensionen abgewinnen.

Während des Ceaușescu-Regimes (1965–1989), so das Ergebnis von Ettingers bisherigen Untersuchungen, war ‚Volkskunst‘ auf ideologischer als auch ökonomischer Ebene vielfach in die staatspolitische Agenda eingebunden. Auf massiv geförderten Festivals wurde eine bestimmte, aus der ländlich-bäuerlichen Kultur entnommene Art der ‚Volkskunst‘ und ‚Volkskultur‘ zelebriert und stellte so einen wichtigen Faktor bei der Ausbildung und Propagierung nationaler Identität dar. Auch im Alltagsleben dienten Versatzstücke bäuerlicher Kultur zur (Re-)Präsentation des Nationalen. In diesem Sinne spricht Ettinger von der „Ressource ‚Volkstracht‘“: Diese wird zum verwertbaren Rohstoff für Neu- und Umcodierungen, wird zur ‚Ressource‘ bei der Ausformung eines bestimmten ideologisch aufgeladenen Selbstbildes – und damit zu einer Erscheinung, die man nur mehr unter Anführungszeichen als ‚Volkstracht‘ bezeichnen kann. Diese ‚Volkstracht‘ wird bei Massenveranstaltungen geradewegs zur Uniform, zur gleichmachenden Verkleidung, gleichzeitig aber auch zur bloßen Requisite der Unterhaltungskultur.

Zur ideologischen gesellte sich eine umfassende ökonomische Verwertung: Eine ansehnliche Handarbeitsindustrie produzierte die nötigen großen Stückzahlen für die staatlich gebotenen Inszenierungen, darüber hinaus aber auch Trachtenbekleidung bzw. Trachtenteile (etwa Blusen) in abgewandelter und ‚modernisierter‘ Form sowohl für den rumänischen als auch den internationalen Markt.

Zu konstatieren ist bei diesen Entwicklungen eine eigentümliche Spannung: Einerseits wurden so in einem bestimmten Rahmen alte Handwerkstechniken bewahrt, bäuerliche Artefakte gesammelt und altes Wissen vermittelt; andererseits aber stand dies stets unter politischen und ideologischen Prämissen – zu fragen ist dabei, inwiefern solcherart stilisierte und künstliche geschaffene (wie produzierte) „nationale Kostüme“ überhaupt noch etwas mit ‚urtümlicher‘ bäuerlicher Kleidung oder den zur Herstellung nötigen ‚urtümlichen‘ Handwerkstechniken gemein haben können.

Denn diese Gegenläufigkeit zeigt sich auch in den Produktionsverhältnissen: Der zunehmende Wandel von Handarbeit zur (industriellen) Massenproduktion, die Einführung neuer und anderer Stoffe – auch aus dem Ausland – und die Anpassung an Erfordernisse des auch internationalen Marktes spiegelte wohl mehr ökonomische Interessen als die von der staatlichen Kulturpolitik verordnete Lesart der ‚Volkstracht‘ und ihrer Verwendung als Ausdruck der „schöpferischen Kraft des Volkes“.

In der an den Vortrag anschließenden lebhaften Diskussion wurde eine Brücke geschlagen zu aktuellen Entwicklungen der Tracht und Trachtenproduktion in Rumänien, insbesondere wurden aber auch Parallelen zu Geschichte und Gegenwart der Tracht in Österreich gezogen – denn auch hierzulande gibt es eine Geschichte der Ideologisierung und Verwertung der ‚Ressource‘ Tracht.

Die Reihe STOFFWECHSEL endet am 17. Juni 2015 (18:00–19:30 Uhr): Lisbeth Freiß wird über „Wiener Mode und nationale Homogenisierung im Habsburgerreich“ referieren – und holt damit diesen am 15. April entfallenen Vortrag nach.

Freilinger/Kren