Heft 1/2024: Militär

Der Krieg ist zurück. Was die demokratischen Gesellschaften Europas in ihrem Inneren überwunden glaubten, was nur mehr ein Phänomen der Ränder, ein letzter Ausläufer der Geschichte schien, bestimmt wieder unser Leben. In seinem Gefolge: Nationalismus, Aufrüstung, Militarisierung und geistige Mobilmachung. Ein Skandalon! Und dennoch offenbart sich auch eine seltsam verschämte Vertrautheit – man richtet sich wieder ein in einem nur allzu bekannten Terrain. Das aktuelle Heft von "kunst und kirche" fragt, inwieweit militärisches Denken und Sprechen, martialische Medienbilder und kämpferische Analogiebildungen dauerhaft und omnipräsent sind. Indem gezeigt wird, wie sich Militärisches und Ziviles überlagern, sich Kirche und Militär verbinden und Religion und Gewalt bedingen, sensibilisieren die Beiträge für die Spuren des Militärischen in Geschichte und Gegenwart, Gesellschaft, Kultur und Religion.

Vorwort

Sozialisiert durch Friedensmärsche und überzeugt vom Pazifismus und von Abrüstungsverhandlungen wuchsen wir in einem festen Vertrauen auf unsere demokratische Friedensordnung auf. Krieg, Nationalismen und instrumentalisierte Religionen glaubten wir in Europa weitgehend überwunden. Plötzlich aber sind Kriege wieder präsent, und Aufrüstung ist kein Tabu mehr. Hier setzt unser Nachdenken über das militärische Moment in unserer Gesellschaft in Geschichte und Gegenwart an. Dieses Heft von kunst und kirche geht den Phänomenen nach, inwieweit Militär, militärisches Denken und Sprechen, martialische Medienbilder und kämpferische Analogiebildungen dauerhaft und omnipräsent sind. Nicht selten überlagern sich dabei das Militärische und das Zivile, verbinden sich Kirche und Militär, bedingen sich Religion und Gewalt.

Bereits im frühen Christentum entstand aus politisch-militärischer Semantik der Typus des Christus militans. Auch der Schweizer Theologe und Zürcher Reformator Huldrych Zwingli griff die Militärsprache auf, deutete sie jedoch pazifistisch um und erklärte Christus in seinen 67 Thesen zum "Wegführer und Hauptmann". Der Wirtschaftswissenschaftler Marc Chesney beschreibt in seinem 2019 erschienen Buch Die permanente Krise den Finanz-Trader als Söldner des 21. Jahrhunderts in den Schützengräben des Finanzkrieges.

Das Medium Kunst hat der Kirchengeschichte viele Zeugnisse ermöglicht – von den konfessionellen Kriegen über militärische Ikonografien bis zu ihrem sakralen Bauen und liturgischen Wirken. Solchen Phänomenen an den Schnittpunkten zu Kunst und Architektur geht dieses Heft nach. Es fragt nach der Verbindung von Religion, Glaubenspraxis (Ikonen) und Militär und diskutiert über Orte der militärischen Seelsorge (Militärkathedrale). Es stellt zudem Aspekte von Militär vor, von welchen durchaus auch Heilsamkeit erhofft wurden. Zu solchen militärisch kodierten, religiös inkorporierten Facetten zählen "Uniformität" (Heilsarmee, Heer der Salutisten), "Befriedung" (Kirchenarchitektur, Sicherheit, Heimat), "Rüstung" (Ikonografie, Märtyrer), "Feld", "Bunker" und militärische Infrastrukturen (Architektur, Dominanz, Sicherheit). Damit verbunden ist aber auch der Topos der "Versehrtheit" des Menschen, der Tiere und der Natur.

Dieses Heft möchte sensibilisieren für die Spuren des Militärischen in Geschichte und Gegenwart, Gesellschaft, Kultur und Religion.

Anna Minta und Alexia S. Zeller (Heftredaktion)

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