Haftfotos Josef Karobath Gestapo Linz. Quelle: OÖLA
Haftfotografien von Josef Karobath der Gestapo Linz Juli 1940, Quelle: OÖLA

Vorbemerkung: Die Biografie von Josef Karobath (1898-1983) zu erforschen verfolgt ein zweifaches Ziel. Zum einen ist es ein Anliegen des Franz und Franziska Jägerstätter Instituts, die Rolle Karobaths als Pfarrer von St. Radegund und Seelsorger der Familie Jägerstätter eingehender zu verstehen, zum anderen eröffnen sich anhand der biografischen Forschung Einblicke in die innere Dynamik des katholischen Milieus während des Nationalsozialismus. Der Zugang zur Person erfolgt dabei über die Briefe zwischen Franz und Franziska Jägerstätter und Josef Karobath, die Pfarrchronik St. Radegund (Pfarrarchiv St. Radegund, PASR), Akten aus dem Diözesanarchiv Linz (DAL, Personalakt, Pfarrakten) und des Oberösterreichischen Landesarchivs (OÖLA, Bestand Sondergericht, Akt Volksgericht Bandzauner), sowie private Dokumente von mehreren Familienforschern der Familie Karobath. Die Ergebnisse werden nach Abschluss u.a. in der Digitalen Jägerstätter Edition veröffentlicht. Der folgende Blogbeitrag gibt als Werkstattbericht Einblick auf teils neu erschlossene Quellen und fokussiert dabei auf die ns-kritische Haltung und Äußerungen Karobath, die am 10. Juli 1940 zu seiner Verhaftung durch die Gestapo Linz führten.

 

Politisches und pastorales Profil

Josef Karobath wurde mit 31. Oktober 1934 als Pfarrer von St. Radegund, das bei der Volkszählung von 1934 567 Einwohner*innen zählte, installiert. Er erwarb sich einen Ruf als geselliger Seelsorger, der viel im Gasthaus anzutreffen war und guten Kontakt mit der Pfarrbevölkerung (etwa auch durch Hausbesuche) hielt. Seine Rauchleidenschaft hielt ihm Franz Jägerstätter einmal unverblümt als Laster vor Augen, worauf er mit viel Witz zu reagieren verstand.[1] Geschätzt wurde auch seine große Freigebigkeit für sozial Bedürftige und sein auffallend einfacher Lebensstil.[2] Auch Franz und Franziska Jägerstätter war er ein vertrauensvoller und geschätzter Seelsorger. Zur Hochzeit am 9. April 1936 beschenkte er sie mit einer Ausgabe des Neuen Testaments.[3] Weiters interessierte sich Karobath früh für Erneuerungen in der Liturgie und Seelsorge.[4]

Nach dem Zweiten Weltkrieg vermerkte er in der Pfarrchronik betreffs acht herausgeschnittener Seiten zu den Jahren 1934 bis 1938: „Folgendes war etwas gefährlich und wurde 1938-40 entfernt“.[5] Dies lässt darauf schließen, dass Karobath während der Zeit des austrofaschistischen Regimes auch zu politischen Entwicklungen Eintragungen vornahm, die ihm die NS-Machthaber 1938 anlasten hätten können. Karobath war Schriftführer des Katholischen Bauernbundes und Schriftführer des Katholischen Volksvereins, der in Oberösterreich gleichbedeutend mit der Christlich-sozialen Partei war.[6] Er war folglich auch Mitglied bei der von Bundeskanzler Engelbert Dollfuss gegründeten Vaterländischen Front, die als Sammelbewegung der patriotisch gesinnten Österreicher*innen fungieren sollte. Gleichzeitig war er ein dezidierter Gegner der faschistisch orientierten „Heimwehr“. Aus der Warte lokaler Nationalsozialisten war der Geistliche jedoch "vor dem 'Anschluss' in politischer Hinsicht nicht besonders hervorgetreten".[7] Nach dem „Anschluss“ gehörte Karobath nach eigenen Angaben der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV) an. Die Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) legte er nach kurzer Zeit aus Protest zurück, da ihm trotz seiner Kriegsinvalidität (Karobath hatte im Ersten Weltkrieg einen Fuß verloren) die Benutzung eines Kraftwagens verweigert wurde.[8]

Die anti-nationalsozialistische Gesinnung des Pfarrers Karobath wird ab 1938 nachweisbar. Seine Äußerungen und sein Verhalten bis zu seiner Verhaftung am 10. Juli 1940 durch die Gestapo Linz verdeutlichen, dass der Priester den Nationalsozialismus als Gegensatz zum Christentum ablehnte und er sich den Gefahren, denen er sich mit der offenen Ablehnung aussetzte, bewusst war. Bereits vor dem „Anschluss“ dürfte es wiederholt zu Auseinandersetzungen in Gasthäusern zwischen ihm und dem damaligen Zellenleiter Franz Limmer gekommen sein.[9] 1938/39 verschärfte sich Karobaths widerständiges Verhalten angesichts zahlreicher anti-kirchlicher Maßnahmen. Dies nahmen auch die lokalen NS-Funktionäre zur Kenntnis, die Karobath erstmals mit Konsequenzen drohten, wie aus einem Bericht des Ortsgruppenleiters von Hochburg-Ach, Emil Sauer, vom 9. August 1940 hervorgeht:

Erst als 1938 das Verbot herauskam, daß die Schulkinder bei der Fronleichnamsprozession keine Fahnen mehr tragen durften, begann er nach außen hin gegen den Nationalsozialismus schärfer Stellung zu nehmen u.z. in der Form, daß er meistens im Gasthaus und bei allen sich bietenden Gelegenheiten, die ihm mit der Bevölkerung in Berührung brachten - auch ab und zu bei Predigten versteckt - diese gegen den Nationalsozialismus in Wort aufzubringen versuchte. Dieses Treiben nahm derartige Formen an, daß sich Ogl. [Ortsgruppenleiter, Anm. d. Verf.] Pg. [Parteigenosse, Anm. d. Verf.] Hofbauer veranlaßt, [sic] sah den Pfarrer Karobath auf die Gemeindekanzlei vorzuladen - es war kurz vor Kriegsausbruch im vorgen Herbst und ihn dort entsprechend zur Rede zu stellen und zurechtzuweisen. Dabei stellte sich heraus, daß Pfarrer Karobath sich offen als Gegner des Nationalsozialismus erklärte und daß sich nach Ansicht Karobaths die Bevölkerung bald ganz vom Nationalsozialismus abwenden werde, weil die Nazis gegen die kath. Kirche seien wo sie nur könnten, obwohl einer ihrer Programmpunkte das positive Christentum betone. Ogl. Hofbauer bewies, daß gerade das Gegenteil der Fall sei, wenn er (Pfarrer Karobath) nicht seinen entsprechenden Einfluß auf die Bevölkerung geltend mache. Auch solle sich Pfarrer Karobath nicht einbilden, daß er durch sein bisheriges Verhalten vielleicht einmal ein Märtyrer werden, sondern höchstens ein Sträfling. Als Antwort hierauf meinte Herr Karobath: "Dann schickt mich halt nach Dachau!" Obwohl Pfarrer Karobath versprach, sich mehr zurückziehen zu wollen, nahm seine Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus immer schärfere Formen an. Insbesondere lehnte er Neueinrichtungen in der Schule ab oder suchte sie zu umgehen oder lächerlich zu machen. In den Predigten ließ er sich wiederholt gegen Nationalsozialismus aus und gefiel sich, ihn lächerlich zu machen oder gar zu verhöhnen.[10]

 

Die regimefeindliche Predigt vom 2. Juni 1940

Auf Grundlage der Predigtvorlagen des ungarischen Theologen Tihamer Tóth zu den Zehn Geboten, die Karobath im Mai 1940 in einer Linzer Buchhandlung erwarb, bereitete er einen NS-kritischen Predigtzyklus vor.[11] In der Rückschau schrieb er 1945 zu dem Vorhaben in die Pfarrchronik: „Ich wollte es euch einmal ankommen lassen! Ich wollte einmal die Wahrheit sagen, obs mir krumm oder gerade gehen sollte, auch wenn KZ mein Lohn sein sollte. Gleich die 2. Predigt schlug ein!“[12] Diese hielt Karobath am 2. Juni 1940 (und nicht am 6. Juli wie bislang in der Forschung angenommen),[13] was zu seiner Verhaftung durch die Gestapo Linz am 10. Juli führte. Die Initiative zu seiner Denunziation gingen laut Karobath vom Oberlehrer Paul Bandzauner aus, der nach der Versetzung von Limmer nach Braunau im September 1938 als Zellenleiter in St. Radegund agierte.[14] 1948 entlastete Karobath jedoch Bandzauner in einem Volksgerichtsfahren, indem er aussagte, dass Bandzauner seine Funktion auf Druck von oben und der Angst vor einer Versetzung nach Polen ausgeübt hatte.[15] Einige St. Radegunder*innen vermuteten indes fälschlicherweise Josef Wengler (vulgo Hirl) als Denunzianten, da dieser sich einmal in punkto Kinderbeihilfe, die er für seine neun Kinder erhielt,  positiv über den Nationalsozialismus geäußert hatte. [16] Einzig Franz Jägerstätter schenkte dem Gerücht, das eine regelrechte Ausgrenzung der Familie Wengler zur Folge hatte, keinen Glauben. Von der Gestapo Linz erging am 19. Juni der Auftrag an die Gendarmerie Ermittlungen einzuleiten. Am 21. Juni gab Leopoldine Bandzauner, die Ehefrau des Oberlehrers, in der polizeilichen Vernehmung bekannt, dass sie Inhalte der Predigt unmittelbar nach dem betreffenden Messbesuch zuhause schriftlich niedergelegt hatte:

Vor einer Woche sprach ich von den 10 Geboten, wie im alten Gesetzesbuch aufgezeigt wird, wie schön es war auf der Welt, wenn die Gesetzestafeln des Moses befolgt würden. Betrachten wir heute die Kehrseite, das heisst wie es aussehen wird, wenn man die Gesetze nicht befolgt. Wir stellen uns vor, wie es wäre, wenn sich die Menschen an die 10 Gebote nicht halten. Gleich wird Ihnen bewusst, dass die 10 Gebote Gottes nicht zum Nutzen Gottes, vielmehr zum Segen und Nutzen der Menschheit gegeben wurden u.s.w.

Betrachten wir das erste Gebot, es ist längst unmodern gewordn daran zu glauben. Weil man aber ohne Gebote nicht auskommt, müssen neue Gebote aufgestellt werden, wird aber belehrt, daß sie nicht befolgt werden, weil ihnen die Autorität fehlt. Sie werden höchstens nur deshalb befolgt, weil sie von einem Tyrannen mit der Peitsche in der Hand gezwungen werden.

Seht um Euch, wieviel verhaltener Hass, Leid und Leidenschaftlichkeit unter den Menschen ist. Man ist heute der Ansicht, dass die 10 Gebote Gottes altmodisch sind, diese glaubenslosen Menschen haben die Schuld, warum die Kirche heute einer schweren Prüfung ausgesetzt ist. Sie haben immer wieder an der Kirche auszusetzen gehabt und andere in ihre Glaubenslosigkeit hineingerissen. Sie bauen sich neue Götter. Was lehrt dazu die Geschichte? Was mit den neuen Göttern, der Verfall und die Sittenlosigkeit die Folge war. Wir stehen heute am Rande des Abgrundes. Legen wir unser Ohr an das Herz der Zeit dann hören wir, daß Unheilvolles sich vorbereitet. Ein Grauen erfasst uns vor der Zukunft. Sie kämpfen mit Fanatismus um ihre vermeintlichen Ideale. Auch wir wollen fanatisch und radikal kämpfen. Wir setzen unsere Zeichen gegen ihre Zeichen, unsere Fahnen gegen ihre Fahnen! Amen."[17]

Die Gendarmerie befragte daraufhin auch die von Leopoldine Bandzauner genannten weiteren Ohrenzeug*innen der Predigt. Die am 10. Juli 1940 vernommene Hebamme Maria Mittermaier erinnerte sich über weite Strecken wortgleich an die in ihrer Einschätzung „in allen Belangen gehässige und staatsabträgige [sic] Predigt“, gab jedoch folgende Ergänzung zu Protokoll:

Du stolzer Adler in den Lüften, wenn du noch so hoch steigst, du musst wieder zurück zur Erde." Wenn in Bezug auf diese Äußerung die Behauptung aufgestellt wurde, dass der Pfarrer gesagt habe, der Adler müsse wieder herunter zum Misthaufen, so ist dies nicht richtig. Dies dürfte nur eine Auslegung der Äußerung des Pfarrers sein, der damit sinngemäß sagen wollte, der Adler in den Lüften müsse wieder herunter zur Erde, um sich auf dem Mist sein Aas zu holen.[18]

Von der als NS-Sympathisantin bekannten Hebamme ist überliefert, dass sie zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt einen Denunziationsbrief mit zehn Namen abschicken wollte, der auch den Namen Franz Jägerstätter enthalten haben soll.[19] Die Denunziation vereitelte eine Botin, der der Brief auffiel, so dass sie das Schreiben dem Bürgermeister übergab, der ihn nach dem Öffnen verbrannte. Interessant ist, dass die Hebamme die Reaktionen auf die Predigt Karobaths nach einem national gesinnten Teil der Zuhörer*innenschaft, die den politischen Inhalt der Predigt kritisierte und einem klerikal gesinnten Kreis, die über die Predigt ihres Pfarrers erfreut waren, unterteilte. "Es wurde im Orte auch davon gesprochen, dass sich die klerikalen Kreise äusserten, er [Josef Karobath, Anm. d. Verf.] hätte es uns, der national eingestellten Bewohnerschaft, wieder einmal richtig gesagt."[20] Sie selbst war über die Aussagen des Pfarrers, die sie als Angriffe auf den Staat sah, empört.[21]

 

Verhaftung durch Gestapo und Anklage

Polizeiinspektor Johann Biringer warnte Karobath über das Einschalten der Gestapo vor, so dass ihn die Verhaftung durch den Gestapobeamten Josef Grömer[22] und Inhaftierung im Polizeigefängnis Linz, Mozartstraße, nicht unvorbereitet traf.[23] Aus seinem 1945 verfassten Erinnerungsbericht in der Pfarrchronik spricht eine frappierende Gelassenheit des Geistlichen, der im Zuge des folgenden Verhöres am 13. Juli in der Gestapoleitstelle Linz (Kolpinghaus, Langgasse 13) sich geschickt zu verteidigen wusste und seine Kriegsinvalidität als symbolisches Kapital einzusetzen vermochte („Es war ihnen nicht gut dabei, weil ich Kriegsinvalid war. Das galt viel. Auch ich protzte damit.“) Er deutete die ihm zur Last gelegten Aussagen so um, dass sie auf die religiöse Sphäre bezogen werden konnten und nicht als Kritik am politischen System. Darüber hinaus konnte er sich auf die Predigtvorlage von Tóth berufen, wobei er betonte, dass er die auf den Kommunismus bezogenen Passagen in der Vorlage als unpassend erscheinend wegließ. Die Strategie war betreffs des markanten Endes der Predigt schwierig. Karobath gab zu Protokoll:

Als Abschluss meiner Predigt forderte ich die Gläubigen auf, gegen die Fahnen der Glaubenslosigkeit, die Fahne des Glaubens zu setzten [sic] und sprach dabei fast wörtlich folgende Worte: 'Fanatismus gegen Fanatismus, die 10 Gebote gegen die sündenfeilschende Welt, Fahne gegen Fahne!‘[24]

Karobath zog schließlich eine schlechte Predigtvorbereitung insbesondere den Schluss betreffend als Rechtfertigung ins Feld.

Dessen ungeachtet erstattete die Staatspolizeileitstelle Linz beim Oberstaatsanwalt am 16. Juli 1940 gegen Karobath Anzeige wegen Vergehens nach § 130a und § 2 Abs. 1 des Heimtückegesetzes. Das zuständige „Sondergericht“ war wie der Volksgerichtshof „die typischste Erscheinungsform der politischen Strafjustiz während der NS-Diktatur.[25] Am selben Tag überstellte die Gestapo Karobath in die Gefängnisstelle Linz-Urfahr.

Die Predigt Josef Karobaths im abgelegenen St. Radegund erhielt selbst von der Gauleitung in Linz Aufmerksamkeit, weil sie als Indiz für die ablehnende Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem NS-Regime gewertete wurde. So nahm Gauleiter August Eigruber den Fall Karobath zum Anlass, Bischof Johannes Gföllner einen Mahnbrief zu schreiben, in dem er nicht nur Predigt-Passagen aus dem Vernehmungsbericht der Gestapo wiedergab, sondern auch unterstellte, dass die versteckten „Bemerkungen gegen Führer, Partei und Staat“ auf eine bischöfliche Weisung hin gehäuft auftraten.[26] Dies war weder betreffs Karobaths noch sonst der Fall. Der Linzer Bischof reagierte mit einer (erneuten) schriftlichen Anweisung an den Klerus, „in Predigten lediglich positiv die katholische Glaubens- und Sittenlehre darzulegen ohne jedwede direkte oder indirekte Polemik oder Anspielung auf politische oder militärische Verhältnisse.“[27]

Die folgende Haftzeit verbrachte der angeklagte Pfarrer in Gesellschaft mehrerer Ordensleute und Priester (u.a. dem Provinzial der Barmherzigen Brüder in Linz, Gebhard Seitz, dem damaligen Prior des Stiftes Schlägl, Johann Mager[28], sowie des Pfarrers von St. Pantaleon, Franz Fuchs[29]), ein Umstand der psychologisch und religiös von großer Unterstützung war:

Wir lebten hier einmal ganz geistlich: Es gab Betrachtung, Bibellesung, Erholung, Rosenkranz. Ich habe mich darin sehr wohlgefühlt. So feine Gesellschaft habe ich in meiner Einsamkeit in St. Radegund nicht gehabt. Oft waren wir schon übermütig u. bekamen Vorwürfe: „Wann man dies hinaus hört.“ Mancher Wächter war sehr nett u. kam oft zu uns herein. Es gab auch Zigarettenschmuggel. Eines war nicht gut: Hunger hatten wir. Es war mir eigentlich sehr leid, als mir eines Tages ein Wächter im Vertrauen mitteilte, daß ich frei gehe. So mußte ich eines Tages Abschied nehmen von den lieben Mitbrüder im Gefängnis.[30]

Am 9. August erging vom Reichsjustizministerium an den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht in Linz das Ansuchen, „die Einstellung des Verfahrens mangels Nachweises des subjektiven Tatbestands zu veranlassen“, da der zu erwartende Freispruch des Angeklagten unerwünscht wäre.[31] Die Entscheidung begründete das Ministerium damit, dass insbesondere die für den Straftatbestand relevanten Passagen fast wortwörtlich der nicht verbotenen Predigtvorlage von Tóth entstammten. Damit war die Argumentation Josef Karobaths, dass sich seine Äußerungen ausschließlich auf religiöse Fragen der Gegenwart – namentlich der „Glaubenslosigkeit als religiöse Erscheinung der Gegenwart“ – bezogen hatte, kaum widerlegbar. Das Verfahren wurde daher aus Mangel an Beweisen eingestellt und Josef Karobath am 22. August 1940 enthaftet.[32]

 

Enthaftung und Ortsverbot

Da Karobath mit einem Orts- und Schulverbot belegt wurde, konnte er nicht nach St. Radegund zurückkehren und suchte zunächst das Gespräch mit seinem Bischof Johannes Gföllner.[33]

Auf die Pfarre St. Radegund verzichtete ich nicht, weil ich mir sagte, ich könne den Ausgang dieses Theaters abwarten. Ich ging zuerst in meine Heimat Neukirchen b. Altmünster. Da lebte ich wieder auf, da bekam ich schon Radionachrichten vom Weltgeschehen. Ja das Radio aus der freien Welt war in dieser Zeit ganz wichtig! Aber gefährlich! Ich kam nach Wolfern als Kooperator: Ein lieber Chef, aber kein elektr. Licht, kein Radio, wenig Arbeit, eine verhetzte Schuljugend! Einzig konkret half ich in Niederneukirchen aus. 1941 am 11.9 gehe ich als Kooperator nach Laakirchen. Da wars fein! Ein lieber Chef Hans Langthaler, der Pfarrhof ein Ideal für´s Zusammen leben! Da gings mir gut! Da vergaß ich fast St. Radegund.[34]

Der Widerstandsgeist Karobaths war nicht erloschen. Am 7. Jänner 1941 schreibt er Franz Jägerstätter, dass er sich täglich mit dem Gedanken quält, ob er wieder mutig predigen soll.[35]

 

Zwischenresümee und Ausblick

Die Verfolgung von Josef Karobath durch den Nationalsozialismus beruhte auf Denunziation ns-gesinnter Mitglieder der Pfarrbevölkerung. Diese war im näheren lokalen Umfeld überproportional ausgeprägt. Wie Erna Putz wiederholt betont hat, waren zwei Drittel des Klerus im Dekanat Ostermiething von Verhaftungen und Sanktionierungen durch das NS-Regime betroffen, während auf Diözesanebene der Anteil sanktionierter Priester bei rund 11% lag.[36] Die regional ausgeprägte Form des „Kirchenkampfes“ des Nationalsozialismus war von Anfang an grundentscheidend für die ns-kritische Haltung Franz Jägerstätters.

Die Auswertung der Akten des Sondergerichts Linz bringt eine neue Erkenntnis, hinsichtlich der grundsätzlichen Deckungsgleichheit in der Ablehnung des Nationalsozialismus zwischen Jägerstätter und Karobath. Die Predigt Karobaths vom 2. Juni 1940 betonte die Unvereinbarkeit zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus, die in den Schriften Jägerstätters später klar hervortrat. Ebenso der Ansatz, dass das Christentum „den neuen Göttern“ mit vollem Einsatz der christlichen Mittel dagegenhalten sollte, anstatt einen faulen Kompromiss zu suchen, nach dem Diktum 'Fanatismus gegen Fanatismus, die 10 Gebote gegen die sündenfeilschende Welt, Fahne gegen Fahne!“.[37] Jägerstätter erhielt und nährte seine Regimeablehnung nicht nur aus katholischen Schriften oder Hirtenbriefen, sondern auch aus den öffentlichen (und sicherlich noch vielmehr privaten) Worten seines Heimatpfarrers.

In der Fortsetzung dieses Blogs über Josef Karobath soll der Briefwechsel zwischen ihm und Franz Jägerstätter in der Phase zwischen der Haft des Pfarrers im Juli/August 1940 und der Wehrdienstverweigerung Jägerstätters am 2. März 1943 ausgewertet werden. Darin zeigt sich wesentlich die Rolle Karobaths als politischer und pastoraler Berater unter den Rahmenbedingungen der sich abzeichnenden Entscheidung Jägerstätters.

 

Anmerkungen


[1] Vgl. DAL, FJ/B2/2/34, Karobath an Jägerstätter, 11.6.1941.

[2] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40. Nach Kriegsende 1945 z.B. brachte Karobath eine ganze Reihe Flüchtlinge im Pfarrhof unter.

[3] Vgl. etwa DAL, FJ/B2/1/15, Franziska an Franz Jägerstätter, 3.12.1940. Das von Karobath gewidmete Exemplar ist heute im Jägerstätter-Haus ausgestellt.

[4] So schreibt Karobath am 8.11.1941 aus Laakirchen: „Ich lerne hier manches von der modernen Seelsorge, aber bitte die 2. Silbe betonen: ...sorge. [...] Wir möchten manches gerne reformieren: Prozessionen, dass das Volk nicht immer bis zur Bewusstlosigkeit Rosenkranz betet, dass man dabei auch singt oder schweigt. In der Kirche benützen wir sehr viel das Vaterunser. […]“ DAL, FJ/B2/2/49. 

[5] PASR, Sch. 1, Fasz. 1, Pfarrchronik Bd. 2, 1918 – 1985, 118.

[6] Vgl. im Folgenden: OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Bericht NSDAP Ortsgruppe Hochburg-Ach an Oberstaatsanwalt Linz, 9.8.1940.

[7] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Bericht NSDAP Ortsgruppe Hochburg-Ach an Oberstaatsanwalt Linz, 9.8.1940.

[8] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Oberstaatsanwalt Sondergericht Linz an Reichsminister der Justiz, 22.6.1940.

[9] Vgl. im Folgenden: OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Bericht NSDAP Ortsgruppe Hochburg-Ach an Oberstaatsanwalt Linz, 9.8.1940.

[10] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Bericht NSDAP Ortsgruppe Hochburg-Ach an Oberstaatsanwalt Linz, 9.8.1940.

[11] Tihamér Tóth, Die zehn Gebote: Predigten, 5. Aufl., 2 Bde. (Paderborn: Schöningh, 1936).

[12] PASR, Pfarrchronik, 138.

[13] Der Fehler geht zurück auf eine falsche Datierung der Predigt in der Anklage der Gestapo.  

[14] Vgl. OÖLA, VG 8e Vr 469/48, Vernehmung Bandzauner Landesgericht Linz, 14.4.1948.

[15] Vgl. OÖLA, VG 8e Vr 469/48, Gendarmeriepostenkommando Ostermiething an Landesgericht Linz, 23.4.1948.

[16] Vgl. Erna Putz, Franz Jägerstätter: "… besser die Hände als der Wille gefesselt …", 3. Aufl. (Grünbach: Steinmaßl; Ed. Geschichte d. Heimat, 1997), 15172.

[17] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Vernehmung St. Radegund, 21.6.1940. In der Pfarrchronik notierte Karobath 1945 aus dem Gedächtnis die für ihn zentralen provozierenden Passagen der Predigt: „Kann man dort von Kultur reden, wo die Menschen zusammengetrieben und im Zügel gehalten werden durch die Peitsche eines Tyrannen!“ „Wenn die anderen fanatisch sind, dann wollen auch wir Katholiken fanatisch sein!“ „Feuer gegen Feuer, Fahne gegen Fahne, Zeichen gegen Zeichen, Fanatismus gegen Fanatismus. Die 10 Gebote gegen das Feilschen mit Sünden!“ PASR, Sch. 1, Fasz. 1, Pfarrchronik, 139. 

[18] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Vernehmung Mittermaier durch Gestapo Linz in St. Radegund, 10.7.1940.

[19] Vgl. Putz, Franz Jägerstätter, 74.

[20] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Vernehmung Mittermaier durch Gestapo Linz in St. Radegund, 10.7.1940. Diese Uneinigkeit des Ortes könnte auch noch bei einem Treffen von Karobath mit Pfarrmitgliedern in Tittmoning im Sommer 1942 besprochen worden sein. Vgl. DAL, FJ/B2/3/22, Karobath an Franz, 23.10.1942.

[21] Auch die weiteren Augenzeugen Josef Mayrhofer und Engelbert Höfelmeier fanden die Predigt unpassend politisch, zum Inhalt der Predigt machten sie weniger klare Angaben.

[22] Josef Grömer, geb. 1903 in Eberschwang, Inspektor der Gestapo Linz. Vgl.Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Hrsg., Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, 1934-1945: Eine Dokumentation 2 2 (Wien, Linz: Österreichischer Bundesverlag; Jugend und Volk; Oberösterreichischer Landesverlag, 1982), 49.

[23] PASR, Pfarrchronik, 140.

[24] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Vernehmungsprotokoll Stapo Linz 13.7.1940; Pfarrchronik 142. Die Passage lautete in der Predigtvorlage: Feuer gegen Feuer! Fahne gegen Fahne! Fanatismus gegen Fanatismus! Einen starken Katholizismus gegen schwankende Meinungen! Die sündeniederringenden zehn Gebote gegen das Feilschen mit Sünden. Wie soll ich nur fortfahren? Das Kreuz Christi gegen die rote Fahne. Amen.“ Tóth, Die zehn Gebote, 37.

[25] Winfried R. Garscha und Franz Scharf, Justiz in Oberdonau, Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 7 (2007), 127.

[26] Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich, 1934-1945, 48f. Dem war nicht so, im Gegenteil ergingen ab Kriegsbeginn 1939 wiederholt bischöfliche Anweisungen, die den Klerus ermahnten Kriegspredigten und sowie „abfällige Kritik an staatlichen und sozialen Maßnahmen, Untergrabung der Autorität und Hervorrufen von Unzufriedenheit“ zu unterlassen. Zitiert nach Putz, Franz Jägerstätter, 151.

[27] Weisungen an den Klerus, Linz 1.8.1940. Zitiert nach: Putz, Franz Jägerstätter, 152.

[28] Bruder Altmann (5.6.1890-16.2.1973) wurde am 4.1.1939 wegen angeblicher sittlicher Vergehen (Homosexualität) verhaftet und zu einem Jahr Haft verurteilt, die er im Landesgericht Linz verbüßte. Am 28.10.1940 wurde er in das KZ Dachau deportiert, wo er bis zur Evakuation am 26.4.1945 inhaftiert war.

[29] Johann Fuchs (22.5.1878-8.6.1973) wurde wegen Verdacht auf Abhören von Feindsender am 24.5.1940 verhaftet. Er blieb über die verfügte Strafe von acht Monaten seine Haft in Linz und Garsten und wurde am 20.8.1941 wegen einer schweren Erkrankung freigelassen. 

[30] PASR, Pfarrchronik, 143.

[31] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Schreiben Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht in Linz an Oberstaatsanwalt beim Landgericht in Linz, 20.8.1940.

[32] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Enthaftungsbericht.

[33] DAL Pers-A/3, Sch 46, Fasz. K/23,

[34] PASR, Pfarrchronik, 144; Vgl. auch Pfarrchronik Laakirchen, Herbst 1942 bzw. Juli 1945. Transkription zur Verfügung gestellt von Anton Holzleithner.

[35] DAL, FJ/B2/2/23, Karobath an Jägerstätter, 7.1.1941.

[36] Vgl. Putz, Franz Jägerstätter, 63.

[37] OÖLA, Sondergericht Linz, Js382/40, Vernehmungsprotokoll Stapo Linz 13.7.1940.

 

Zitation

Schmoller, Andreas. "Josef Karobath. Neue Quellen und Erkenntnisse zur ns-kritischen Predigt des Pfarrers von St. Radegund" Franz und Franziska Jägerstätter Institut, 28.7.2021. ku-linz.at/karobath