Max Bastian (2.1.1943) https://en.wikipedia.org/wiki/Max_Bastian#/media/File:Admiral_max_bastian.jpg
Dem Präsidenten des RKG unterstand die Reichskriegsanwaltschaft mit rund 20 Militärjuristen. Die meisten Wehrdienstverweigerer wurden nach der Festnahme in den Wehrmachtsuntersuchungsgefängnissen Berlin-Tegel, Berlin Alt-Moabit bzw. aufgrund der steigenden Luftangriffe auf Berlin ab 1943 in Torgau inhaftiert. In Torgau befanden sich bereits zentrale Haftstätten der Wehrmacht und die beiden Wehrmachtsgefängnisse „Fort-Zinna“ und „Brückenkopf“. Im August 1943 verlegte man auch den Sitz des RKG nach Torgau und die Stadt an der Elbe entwickelte sich zur Drehscheibe des militärischen Gefangenenwesens und zum Zentrum der Wehrmachtsjustiz.33
Am RKG waren vor allem Richter tätig, die ihre Ausbildung bereits vor 1914 oder in den 1920er Jahren absolvierten und zuvor in der zivilen Justiz tätig waren. Einige hatten bereits Erfahrungen mit der Militärjustiz vor 1933, einige waren Mitglieder der NSDAP oder waren Söhne von Pfarrern und Offizieren. Sie kamen zumeist über die Heeresrechtsabteilung oder die Reichskriegsanwaltschaft zum RKG, welches bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs als Revisionsgericht agierte. Die Richter verfügten bei ihrer Tätigkeit zwar über ein Prüfungsrecht, waren aber den Entscheidungen Hitlers, der NS-Weltanschauung und dem Parteiprogramm der NSDAP in ihrer Urteilssprechung unterworfen.34 Es ging nicht darum „die Wahrheit an sich zu suchen, die es nicht gebe; vielmehr gehe es darum ‚im Rahmen der Gemeinschaft‘ in die der Richter gestellt sei, mit den Mitteln des Rechts diese Gemeinschaft zu erhalten.“35 Nach Kriegsende wurden keine der für die Wehrmacht tätigen Juristen von den Alliierten verurteilt. Wehrmachtsrichter waren in der Bundesrepublik Deutschland vielfach weiterhin als Juristen im Staatsdienst tätig oder bekleideten hohe Positionen in der Verwaltung, Justiz oder im Verteidigungsministerium. In der Nachkriegsgesellschaft wurde die Praxis der Todesurteile der Wehrmachtsjustiz lange Zeit nicht in Frage gestellt.36
Die meisten der vom RKG gefällten Todesurteile wurden durch Enthauptung vollstreckt. Bis August 1940 fanden die Hinrichtungen in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee37 statt, ab dann im Zuchthaus Brandenburg-Görden. Hinrichtungen in den Richtstätten erfolgten fast wie im Akkord und Einzelvollstreckungen wurden aus Kostengründen kaum vorgenommen. Zudem sollten zum Tode verurteile Personen erst kurz vor der Vollstreckung des Urteils in den Richtstätten eintreffen. Ein Gefängnispfarrer aus dem Untersuchungsgefängnis Dortmund beschrieb die Hinrichtungspraxis38: „Der Verurteilte hatte sich an ein hochgeklapptes, am Kopfende ausgekehltes Brett zu stellen. Ehe er sich besinnen konnte, warfen ihn die Henkersknechte auf das Brett, das in einem Scharnier befestigt war und um 90 Grad umschlug (…) In der selben Sekunde drückte der Scharfrichter auf den Knopf. Das Fallbeil sauste herab, der Kopf des Verurteilten flog in einen bereitgestellten Weidenkorb. Der Blutverlust war ungeheuer, die Beine des Sterbenden zuckten jedesmal so zusammen, daß die Holzpantinen im weiten Bogen fortgeschleudert wurden.“39
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass für die NS-Militärjustiz die Beschleunigung der Verfahren, der Abbau formaljuristischer Abläufe sowie die Einschränkung von Rechten der Angeklagten kennzeichnend waren. Recht und Urteilsfindung basierten nicht auf einer Unabhängigkeit der Justiz, sondern waren ideologisch vom NS-Regime und dessen Totalitätsanspruch durchdrungen. Im Sinne der NS-Kriegsführung war die Rechtssprechung ein Instrument, den Erhalt der Kampfkraft und die Disziplinierung der Bevölkerung sicher zu stellen. Dies erklärt auch die teilweise unverhältnismäßig hohen Strafen, die vor allem eine abschreckende Wirkung haben sollten. Infolge der personellen Besetzungen und der institutionellen Überformung der Wehrmachtsjustiz kam es laut Rass und Rohrkamp zu einer Verinnerlichung der Elemente des Nationalsozialismus im Laufe des Zweiten Weltkriegs, was auch zu einer zunehmenden Radikalisierung der NS-Militärgerichtsbarkeit führte.40 Die NS-Militärjustiz war fest in die Strukturen des NS-Systems eingebunden, wurde zu einer wichtigen Stütze des NS-Regimes und diente letztendlich als „regimestabilisierendes Terrorinstrument“41. Die Geschichte der Wehrmachtsjustiz gilt als eines der dunkelsten Kapitel der Justizgeschichte. Das eingangs beschriebene Forschungsprojekt soll nicht nur zu einem besseren Verständnis der Wehrdienstverweigerung von Franz Jägerstätter führen, sondern auch dazu beitragen die Funktion und Bedeutung der NS-Militärgerichtsbarkeit im Umgang mit Wehrdienstverweigerern anhand einer Einzelfallanalyse aufzuarbeiten.
1 DAL, Franz Jägerstätter, Fasz. 1, Feldurteil.
2 Siehe etwa: Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtsjustiz 1933-1945, Paderborn 2005, S. 43f.
3 Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns.html und Wehrgesetz 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns/1935/wehrgesetz.html (eingesehen am 11.12.2020).4 §1 Wehrgesetz 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns/1935/wehrgesetz.html (eingesehen am 11.12.2020).
5 In Österreich besteht seit 1975 die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten.
6 Markus Herrberger, Zeugen Jehovas als Kriegsdienstverweigerer in der NS-Zeit (1939-1945), in: Herrberger, Markus (Hg.), Denn es steht geschrieben: „Du sollst nicht töten“! Die Verfolgung religiöser Kriegsdienstverweigerer unter dem NS-Regime mit besonderer Berücksichtigung der Zeugen Jehovas (1939-1945) (Schriftenreihe Colloquium Bd. 12), Wien 2005, S. 61-237, S. 89.
7 RGbl. I, 1935, S.1035.
8 § 14 Wehrgesetz 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns/1935/wehrgesetz.html (eingesehen am 11.12.2020). Siehe dazu: Heinrich Kreutzberg, Franz Reinisch – ein Märtyrer unserer Zeit, Limburg an der Lahn 1953.
9 Am 25. Juli kam es zu einem Überfall des Bundeskanzleramtes von als Soldaten verkleideten SS-Leuten, wobei Bundeskanzler Engelbert Dollfuß von zwei Schüssen tödlich getroffen wurde. Der Putschversuch wurde unter Einsatz des Bundesheeres niedergeschlagen und 13 Putschisten hingerichtet sowie rund 4.000 Aufständische in sogenannte Anhaltelager gebracht.
10 Verordnung über die Einführung des Wehrmachtstrafrechts in Österreich vom 12.5.1938 (dRGBl. I 135/1938) sowie die Verordnung über die Einführung des Wehrmachtstrafrechts in der Ostmark vom 28.6.1939 (RGBl I 127/1939)
11 Siehe etwa: Martin Moll, Militärgerichtsbarkeit in Österreich (circa 1850-1945) in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 2016, S. 334-339.
12 MStGB, de.wikisource.org/wiki/Milit%C3%A4r-Strafgesetzbuch_f%C3%BCr_das_Deutsche_Reich (eingesehen am 11.12.2020)
13 Für den größten Teil des Zweiten Weltkriegs war jene Fassung, die am 10.10.1940 in Kraft trat, gültig. Diese stellte eine radikale Verschärfung der Strafnormen dar. Moll,Militärgerichtsbarkeit, S. 338.
14 Herrberger, Zeugen Jehovas, S. 82-84; Moll, Militärgerichtsbarkeit, S. 339f.
15 Siehe etwa: Detlef Garbe, „Du sollst nicht töten“. Kriegsdienstverweigerer 1939-1945, in: Norbert Haase/Gerhard Paul (Hg.), Die anderen Soldaten, 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1997, S. 85-104, S. 87f; Albrecht Kirschner, „Zur Sicherung der Wehrmacht und des Kriegszwecks…“ Funktionieren und Funktion der NS-Militärjustiz, in: Thomas Geldmacher u.a. (Hg.), „Da machen wir nicht mehr mit …“ Österreichische Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Wien 2010, S. 12-22, S. 13f.
16 Manfred Messerschmidt, Das System Wehrmachtjustiz. Aufgaben und Wirken der deutschen Kriegsgerichte, in: Ulrich Baumann/Magnus Koch, „Was damals Recht war…“ Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Berlin 2008, S. 27-43, S. 27.
17 Walter Manoschek, Die nationalsozialistische Militärjustiz als Terrorinstrument gegen innere und äußere Gegner, in: Walter Manoschek, Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis – Strafvollzug - Entschädigungspolitik, S. 16-27, S. 20.
18 www.lexexakt.de/index.php/glossar/kssvo05.php (eingesehen am 22.12.2020)
19 Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 96; Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“? Die NS-Militärjustiz als Instrument des Terrors, in: Walter Manoschek, Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis – Strafvollzug - Entschädigungspolitik, S. 27-53, S. 30.
20 Manfred Messerschmidt, Aufhebung des Todesurteils gegen Franz Jägerstätter, in: Kritische Justiz Jg. 31(1998), Heft 1, S. 99-105, S. 100.
21 Erste VO zur Ergänzung der KSSVO, 1.11.1939, RGBl. 1939 I, S. 2132.
22 Dieser Absatz wurde 1943 dahingehend ergänzt, dass eine Todesstrafe möglich ist, wenn das reguläre Strafmaß nach „gesundem Volksempfinden zur Sühne nicht ausreicht“. Manoschek, nationalsozialistische Militärjustiz, S. 19.
23 Garbe, Du sollst nicht töten, S. 89.
24 Siehe etwa: Herrberger, Zeugen Jehovas, S.113-115; Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 97-108; Garbe, Du sollst nicht töten, S. 96.
25 Messerschmidt führt eine Gesamtzahl an Todesurteilen von 25.000 bis 30.000 an, ohne Kriegsgefangene und Zivilisten. Messerschmidt, Das System der Wehrmachtjustiz, S. 32.
26 Maria Fritsche, Entziehungen. Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht, Wien 2004, S. 23-25.
27 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg), NS-Militärjustiz: „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ 218 (Oktober 2014), www.doew.at/cms/download/6kqmt/218-1.pdf (eingesehen am 22.12.2020)
28 Norbert Haase, Das Reichskriegsgericht und der Wiederstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Katalog zur Sonderausstellung, Berlin 1993, S. 13; Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 43; Messerschmidt, Das System der Wehrmachtjustiz, S. 33.
29 Für andere Gerichte stellten Entscheidungen des RKG bindendes Recht dar. Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 43.
Bei der Aburteilung von WKZ-Delikten erlangte das mit Erlass vom 11.4.1944 gegründete Zentralgerichtes des Heeres Bedeutung und die Zuständigkeit für Verfahren gegen WDV lag nicht mehr ausschließlich beim RKG. (Siehe etwa: Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 95, 98; Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 27, 42f.) Anfang September 1944 verfügte das Oberkommando der Wehrmacht eine Regelung, dass alle Verweigerungsfälle ab diesem Zeitpunkt von den Feldgerichten bei den Wehrmachtskommandanturen oder den betreffenden Divisionen abgeurteilt werden. Mit einem Merkblatt „Richtlinien für Strafverfahren gegen ernste Bibelforscher usw.“ sollte die Einheitlichkeit der Urteile sichergestellt werden (Garbe, Du sollst nicht töten, S. 101f).
30 siehe etwa: Herrberger, Zeugen Jehovas, S. 102f; Detlef Garbe, Abschreckungsjustiz im Dienst der Kriegsführung, in: Peter Pirker/Florian Wenninger (Hg.), Wehrmachtsjustiz. Kontext, Praxis, Nachwirkungen, Wien 2011, S.29-47, S. 33; Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 44-47; 74.
31 Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 46.
32 Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 95.
33 Herrberger, Zeugen Jehovas, S. 109f; Haase, Reichkriegsgericht, S. 17.
34 Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 49, 54f.
35 ebda, S. 55.
36 Jürgen Thomas, „Nur das ist für die Truppe Recht, was ihr nützt…“. Die Wehrmachtjustiz im Zweiten Weltkrieg, in: Norbert Haase/Gerhard Paul, Die anderen Soldaten. Wehrkraftzersetzung, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Zeiten Weltkrieg, Frankfurt am Main 1995, S. 37-50, S. 48; Wolfram Wette, Frühe Selbstentlastung der Wehrmachtrichter – späte Rehabilitierung ihrer ihrer Opfer, in: Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der BRD und ihre Opfer, Wien 2011, S. 81-98, S. 84.
37 Ab diesem Zeitpunkt wurden in Berlin-Plötzensee vorwiegend Urteile der zivilen Justiz – des Volksgerichtshofs und des Kammergerichts Berlin – vollstreckt.
38 Vollstreckungen mit dem Fallbeil fanden nur innerhalb des Deutschen Reiches statt, in den besetzten Gebieten wurden Erhängungen durchgeführt. Hans-Peter Klausch, Erschießen – Enthaupten – Erhängen, in: Ulrich Baumann/Magnus Koch (Hg.), „Was damals Recht war… Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, S. 79-95, S. 92.
39 ebda, S. 90.
40 Christioph Rass, Rene Rohrkamp, Dramatis Personae. Die Akteure der Wehrmachtjustiz, in: Ulrich Baumann/Magnus Koch (Hg.), „Was damals Recht war… Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, S. 95-113, S. 111.
41 Moll, Militärgerichtsbarkeit, S. 341.
Lorber, Verena. "Wehrdienstverweigerung im Kontext der NS-Militärjustiz" Franz und Franziska Jägerstätter Institut, 15.2.2021. https://ku-linz.at/forschung/franz_und_franziska_jaegerstaetter_institut/forschungsblog/artikel/wehrdienstverweigerung-im-kontext-der-ns-militaerjustiz