Am 27.11.2019 wurden die ersten Seiten des Gedächtnisbuchs Oberösterreich aufgeschlagen. Dr.in Erna Putz eröffnete die Veranstaltung im Linzer Mariendom und stellte stellvertretend für die TrägerInnen des Projektes –  Franz und Franziska Jägerstätter Institut, Gedenkstätte Schloss Hartheim und PPH Linz – das Projekt „Gedächtnisbuch Oberösterreich“ vor. Sie wies auf die Bedeutung des Gedenkens an Personen, die während des NS-Regimes aus unterschiedlichsten Gründen verfolgt waren oder durch widerständiges Handeln gegen dieses ihr eigenes und das Leben ihrer Angehörigen in Gefahr brachten hin. Das langjährige Gedenkprojekt soll das Erinnern an jene Personen befördern und die Biografien in die Gedenkkultur des Landes Oberösterreich einbinden. Durch die Veranstaltung führte Prof. Thomas Schlager-Weidinger. Musikalisch wurde die Veranstaltung von Prof. Andreas Schnee begleitet. Seine eigens komponierte „Partita Martyrum“ für acht Bläser versteht sich als eine Folge von vier musikalisch-meditativen Assoziationen, in denen die schrecklichen Bilder des Zweiten Weltkrieges, der Verfolgung und Auslöschung ganzer Volksgruppen in einem biblischen Zusammenhang gedeutet und musikalisch ausgedrückt werden. 

Im Zentrum der Veranstaltung im Mariendom standen jene oberösterreichischen Biografien von NS-Biografien, die von Personen gestaltet wurden, die einen persönlichen, örtlichen oder inhaltlichen Bezug zu ihnen haben. In drei Blöcken wurde diese Biografien von den Beiträger*innen dem Publikum vorgestellt und dabei die jeweiligen Seiten im Buch aufgeschlagen.

Den Beginn machte Katharina Greinecker, Studierende an der KU-Linz. Sie stellte Anna Ahammer vor, die 1891 in den Orden der Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus eintrat und als Lehrerin an verschiedenen Schulen in Böhmen und Österreich unterrichtete. 1941 wurde sie wegen „Tschechenfreundlichkeit“, „Judenfreundlichkeit“ und Abhören feindlicher Sender verhaftet und ins KZ-Ravensbrück gebracht, wo sie vom 6. März 1941 bis 17. Mai 1943 inhaftiert war. Sie kehrte gesundheitlich schwer geschädigt zurück und verstarb im Jahr 1950.

Stefan Schlager präsentierte die Biografien von Rudolf und Elisabeth Baumann vor. Rudolf war als Grenadier (Schütze) mit seiner Truppe nach Jugoslawien unterwegs als er aus dem fahrenden Zug sprang und sich versteckte. Der „Fahnenflüchtige“ wurde verraten und am 14. September 1944 in Außertreffling bei Linz hingerichtet. Luise Schlager verlas im Anschluss zwei Briefe, die sie in Erinnerung an ihre Urgroßeltern Rudolf und Elisabeth Baumann verfasste.

Martin Daxner führte in die Biografie seines Großvaters, des Apothekers Sigmund Berger ein, der wegen seiner jüdischen Herkunft in Ebensee vertrieben wurde und 1939 über Wien nach England flüchten konnte. Dort interniert man ihn auf der Isle of Man, bevor er nach Australien deportiert wurde. 1942 erhielt er die Einreiseerlaubnis in die USA, wohin seine Tochter Paula geflohen war. Bei der Schiffsreise von Melbourne in die Freiheit wurde das Schiff jedoch von einem deutschen U-Boot torpediert und Sigmund Berger ertrank im April 1943 vor der Küste Grönlands.

Florian Schwanninger, einer der Projekträger, brachte dem Publikum die Biografie von Peter Kammerstätter näher, der in Triest geboren wurde und seit 1919 in Linz lebte. Als Mitglied der KPÖ wurde er 1934 während des Dollfuß-Regimes zum ersten Mal verhaftet und 1939 unter den Nationalsozialisten zum zweiten Mal. Seine Entlassung erfolgte 1940. In den 1960er Jahren begann seine zweite Karriere als Historiker und Volksbildner. Er forschte vor allem zu den Themen Arbeiter*innen*bewegung, NS-Terror und Widerstand in Oberösterreich. Ihm ist es zu verdanken, dass heute zahlreiche Dokumente und Interviews von Zeitzeug/inn/en der Forschung zur Verfügung stehen. Im Jahr 1993 starb er im Alter von 82 Jahren.

Barbara Mulis, eine Angehörige, präsentierte die Biografie von Leopold Lindner, der 1882 in Innsbruck geboren wurde und aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage nach Wels übersiedelte, wo er eine Wäscherei aufbaute. Aufgrund seiner Verbindungen zu Repräsentant*innen des Dollfuß-Regimes wurde er von 1938 bis 1939 in „Schutzhaft“ genommen und ins KZ-Dachau gebracht. Nach seiner Freilassung setzte er sich für seine KZ-Kameraden ein und betätigte sich zu Kriegsende bei humanitären Einsätzen sowie verfasste kurz vor seinen Tod 1945 den Artikel "Konzentrationslager Dachau – einmal anders gesehen".

Severin Renolder erzählte die Biografie von Alois Renolder, dem Sohn einer Bauernfamilie im Innviertel, der seit 1905 bei der österreichischen Gendarmerie tätig war. Renolder engagierte sich beim Kolping-Verein und war von einer starken katholischen Glaubensüberzeugung. Auf Betreiben eines deutschnationalen Vorgesetzten geriet er am Tag nach dem "Anschluss" in Gestapo-Haft. Die neuen Machthaber deportierten ihn mit einem der ersten Österreicher-Transporte in das KZ Dachau. 1939 erlebte er aufgrund einer Amnestie seine Freilassung und baute nach seiner Rehabilitierung 1945 die Strukturen der österreichischen Gendarmerie mit auf.

Gerhard Mühringer trug die Biografie von Heinrich Steiner vor, dem aus Grieskirchen stammenden katholischen Priester, der seit 1935 Pfarrer von Steinerkrichen am Innbach war und 1939 von der Gestapo verhaftet und ins KZ Dachau gebracht wurde. Nach der Befreiung des Lagers durch US-amerikanische Truppen gelangte er mit anderen Priesterkollegen in einem mühsamen Fußmarsch wieder in seine Heimatpfarre zurück, wo er bis zu seinem Tod 1989 als Seelsorger wirkte.

Nina Höllinger, Mitarbeiterin des Zeitgeschichte Museums Ebensee, veranschaulichte die Biografie von Irma Stermer, einem jüdischen Mädchen aus Gmunden, welches 1929 geboren wurde. Durch einen der sogenannten „Kindertransporte“ entging sie dem Holocaust, gelangte nach Frankreich und 1941 in die USA, wo sie bei einer Pflegefamilie und in einer jüdischen Mädchenwohngemeinschaft untergebracht war. Ihre Mutter Olga und jüngere Schwester Herta, von denen Irma 1939 Abschied nahm, sah sie nie wieder. Beide wurden 1942 in Maly Trostinec ermordet.

Zum Abschluss nahm Susanne Lammer auf die unzähligen Kinder, wie Stefan Dylowicz, Ludwig Gojec, Tarek, Maria Katharina Budja und Peter Gurecka, Bezug, die in sogenannten „Fremdvölkischen Kinderheimen“ verstarben. Sie wurden kurz nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und in Heime, wie jenes im Spital am Pyhrn, gebracht. Die Versorgung der Kinder war sehr schlecht. Sie erhielten kaum Nahrung, die hygienischen Bedingungen waren katastrophal und man vernachlässigte sie stark, was vielfach zu ihrem Tode führte.

Bischof Scheuer hob in seinen Abschlussworten die Bedeutung und Wichtigkeit gegen das Vergessen zu arbeiten hervor und verwies auf die Wichtigkeit von solchen Gedenkprojekten. Er betonte, dass sich „das Gedächtnis des Leidens primär auf ganz konkrete Menschen mit ihren Gesichtszügen, mit ihren Namen, mit ihrer Biografie, mit ihren Ecken und Kanten, mit ihrem Sinnentwurf richte“. Im Vordergrund stünden die Opfer und Zeugen/innen, die standgehalten hätten, das Unrecht nicht mitmachen wollten, ihm Widerstand geleistet und den unschuldig Verfolgten geholfen hätten. 
Am Ende der Gedenkveranstaltung wurde das Gedächtnisbuch Oberösterreich von Luisa Schlager an seinen neuen Standort im Linzer Mariendom gebracht. Das Buch liegt nun beim Eingang zur Kapelle „Maria – Königin der Märtyrer“ auf, wo sich auch die Stele in Erinnerung an den Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter befindet und ist dort dauerhaft einzusehen. 

Fotos: Maria Appenzeller, Diözese Linz

 

Zitation

Lorber, Verena. "Gedächtnisbuch Oberösterreich." Franz und Franziska Jägerstätter Institut, 28.11.2029. https://ku-linz.at/forschung/franz_und_franziska_jaegerstaetter_institut/forschungsblog/artikel/gedaechtnisbuch-oberoesterreich