Filmreview: "A Hidden Life" von Terrence Malick
12. June 2019 - Kunst, Review
Terrence Malick hat etwas geschafft, woran künstlerische Auseinandersetzungen mit Franz Jägerstätter der vergangenen Jahrzehnte gescheitert sind. A Hidden Life ist eine hervorragende "Übersetzung" all dessen, was in den Briefen und Schriften der Jägerstätters an Emotionalität und Vielschichtigkeit ihrer Liebes- und Glaubensbeziehung historisch manifest ist, in das Medium Film. Der kürzlich in Cannes vorgestellte—und dort von vielen als Mitfavorit um die Goldene Palme gehandelte—Film ist ein Kunstwerk in der filmsprachlichen Tradition des US-amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors. In A Hidden Life kreiert er Bild-Ton-Collagen, die den inneren Weg (bzw. Kampf) des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen in ihrer vollen Dramatik und im Verlauf von 1939 bis zur Ermordung am 9. August 1943 darstellen.
Die religiöse Dimension
Bereits da werden jene KritikerInnen Malicks, die sich an seinen „metaphysischen Anwandlungen“ in The Tree of Life (2011) gestoßen haben, einwenden und fragen, ob das nicht die Glaubenswelt und Metaphysik Malicks ist, die hier in den 1907 geborenen Innviertler Bauern und Familienvater hineinprojiziert werden. Wie es um die Religiosität des öffentlichkeitsscheuen Regisseurs steht, darüber gibt es durchaus divergierende Ansichten. Malick, der schon vor 20-30 Jahren auf den Fall Jägerstätter stieß, brachte jedenfalls jenes Sensorium mit, das ihn in die Lage versetzte, den christlichen Glauben im Leben von Franz und (!) Franziska Jägerstätter für deren Beziehung und die reifende Gewissensentscheidung von Franz in der vollen Tragweite zu ermessen. Er wird damit phänomenologisch betrachtet Franz und Franziska Jägerstätters Religiosität gerecht.
Religiosität und Frömmigkeitsformen unterliegen ja auch einem historischen Wandel, muss ich als Zeitreligionshistoriker an dieser Stelle einwerfen; und Malick unternimmt nicht ansatzweise den Versuch, Jägerstätter frömmigkeitsgeschichtlich einzuordnen (was durchaus eine sehr spannende Angelegenheit wäre). Präsentiert wird uns viel eher eine enthistorisierte, überzeitliche Form des christlichen Zeugnisses, als deren irdische Bezugspunkte man inhaltlich nicht viel festmachen kann, vom Neuen Testament abgesehen. Darüber können auch die Bilder von Fronleichnamsprozessionen und aus barocken Kirchen (u.a. aus dem Brixener Dom) nichts ändern. Die Relevanz der katholischen Lehre vom „gerechten Krieg“ ist zwar angedeutet, aber nicht historisch hingerichtet auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Jägerstätter bediente sich dieser kirchlichen Lehre aber ausführlich, um zu dem Resultat zu kommen, dass eine Teilnahme am Krieg als Soldat der Deutschen Wehrmacht moralisch nicht richtig sein konnte. A Hidden Life ist in dem Sinn kein historischer Film, da er an keinem historischen Realismus in der Darstellung interessiert ist. Damit erspart er sich ein unweigerliches Scheitern, das durch fehlende oder unkorrekte inhaltliche Details in historischen Film bis zu einem Grad immer eintritt.
St. Radegund: konkreter und fiktiver Ort zugleich
Dennoch ist der Film zeitlich in der NS-Zeit situiert und als auf wahren Begebenheiten basierende Story ausgewiesen (The following story is based on true events). Archivaufnahmen von Adolf Hitler und ihm zujubelnden Menschenmassen stellen zu Beginn des Films den Kontrast zu dem ländlichen Idyll St. Radegunds her, jenem 500 Seelendorf in welchem der Lehenbauer mit seiner Frau Fani und den drei Töchtern seine Landwirtschaft betrieb. Das flache Innviertel tauscht der Film gegen die schroffen Felsen der Dolomiten, wo Malick einen Großteil der Radegunder Szenen im Sommer 2016 drehte. (Tatsächlich hat Malick auch zwei Tage in Radegund gedreht, unter anderem an Originalschauplätzen wie dem Jägerstätter-Haus.) Durch die enge Tallage wird die Geborgenheit in Familie, Dorf, Natur und Glaube (die Bergspitzen als Verbindung nach oben?) noch intensiver. Wir sehen August Diehl in der Rolle von Franz Jägerstätter und die österreichische Schauspielerin Valerie Pachner als Fani Jägerstätter beim Sensenmähen und Kartoffelsetzen. Dazu aus dem Off ein Gespräch der beiden über ihre erste Begegnung und das unbekümmerte Leben damals.
Singuläre Filmsprache
All das in der unverwechselbaren Kinematografie Malicks, bestehend aus seinen extremen Kamerawinkeln, ungewöhnlichen Schnitten und Lichtspielen (gedreht wurde komplett ohne zusätzlichem Licht meist zu späten Nachmittagsstunden) und dem pausenlosen Einsatz von klassischer und sakraler Musik, die den Film zu einem physischen Gesamterlebnis werden lassen. Die Flashbacks der Sequenz versprühen den selben Charme mit dem Franziska Jägerstätter zeit ihres Lebens von der Bekanntschaft mit ihrem Franzl erzählte. Da hat Malick schon gewissenhaft recherchiert und sich inspirieren lassen. How simple life was then, hören wir Franziska über ihre wenigen gemeinsamen Jahre vor dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg sagen. Die beiden hatten sich 1935 kennengelernt und heirateten am 9. April 1936.
Nach wenigen Minuten lassen Flugzeuggeräusche erstmals erahnen, dass die Bergbauernidylle nicht von Dauer sein wird. Mit Mitteln des klassischen Handlungsaufbaus wird die Suspense immer wieder durch Verzögerungen der näher rückenden Katastrophe erhöht. Dieses Näherrücken zelebriert Malick mit allen Mitteln auf Bild- und Tonebene. Angedeutet wird sie immer wieder auch mit dem vorbeikommenden Fahrrad-Briefträger, der täglich die Einberufung aushändigen könnte. Auch das ein Element aus den historischen Quellen. Die Stilisierung der Landschaft hängt nicht nur mit religiösen Naturkonzepten zusammen (dazu später noch einmal) und ist keine billige Nostalgie auf vergangene Zeit, sondern Sinnbild dafür, dass es keine absoluten Schutz- und Rückzugszonen auf Erden gibt, die vor der Macht der Geschichte sich verbergen könnten.
Handlungsrahmen
Das erste Drittel des knapp dreistündigen Filmepos umfasst die Phase 1939 bis zur Verweigerung bei der Einberufung in die Kaserne Enns Ende Februar 1943. Darin bilden die Militärausbildung von Franz Jägerstätter ab Oktober 1940, seine Rückkehr nach Radegund im Juni 1941, die Verweigerung NS-Kinderbeihilfe anzunehmen sowie eine Audienz beim Bischof seiner Diözese 1942 historisch-chronologische Bezugspunkte auf der Handlungsebene des Films. Auch jenes Detail, das Franziska von ihrem schweren Abschied von Franz am Bahnhof Tittmoning erzählte, hat Malick bildgewaltig in Szene gesetzt. Der anfahrende Zug entreißt ihr den geliebten Ehemann buchstäblich aus den Händen. Intensiver sind jedoch die Beziehungen angelegt, die unter dem Eindruck des sich abzeichnenden Weges stehen. Da ist die Dorfgemeinschaft (mit Karl Markovics als Bürgermeister), die in ihn den Verräter erblickt, die Mutter Jägerstätters, die Franziska die Schuld an dem Verhalten ihres Sohnes gibt (He used to be different), die Schwester Franziskas, die fragt why don’t you oppose him, aber vor allem die Beziehung zwischen Franz und Franziska.
In diesem ersten Teil hören wir relativ wenig Überlegungen aus dem Mund Jägerstätters, die Aufschluss über seine Religiosität geben. Die Zentralität der Glaubenspraxis im Alltag der Familie ist Teil immer nur angedeutet, sowie das Amt des Mesners, das Franz ab 1941 ausübte. Der Film bringt die Kluft zwischen individuellem und institutionellem Glauben in einem spannenden Diskurs über Kirche zum Ausdruck. Der Restaurator mit dem Franz arbeitet, spricht jene selbstkritischen Worte, stellvertretend für die Amtskirche, während er barocke Darstellungen restauriert: I point suffering but I don’t suffer myself. I make a living of it.
Der Blick nach innen
Im zweiten Teil des Filmes, der die letzten Lebensmonate Franz Jägerstätters verdichtet, nehmen die aus dem Off rezitierten Briefe zwischen ihm und Franziska größeren Stellenwert ein. Jetzt werden Glaube und Überzeugungen als Grund für seine Verweigerung und als Ressource für seine innere Haltung deutlich. Malick stößt uns ununterbrochen in die Gefühlswelt Jägerstätters hinein, die von Zwiespalt, Trauer, Loslösung bis Hoffnung und letztlich Gefasstheit und Geborgenheit reichen. Auch dies ist keiner hagiografischen Überhöhung geschuldet, sondern ist umfassend von Zellengenossen und Gefängnisgeistlichen bezeugt. Der im Bild meist schweigende Franz spricht zu uns nicht nur aus dem Off, sondern auch aus Diehls Ausdruck und Mimik, der Musik und den durchkomponierten Bildsequenzen.
Briefbeziehung
Ähnliches gilt für die Präsenz von Franziska und ihren inneren Kampf. Malick gelingt die Verbindung der beiden als eine zu zeigen, die nicht von seiner Gewissensentscheidung korrumpiert wird, sondern umgekehrt, die Beziehung ist Ankerpunkt seiner Stärke und Bestärkung. Diese Stabilität und Kontinuität heißt nicht, dass sie still sich unterordnend die Bürde, die seine Entscheidung ihr auflegt, annimmt. In A Hidden Life bewahrt sie bis zuletzt die Hoffnung, dass es eine Abzweigung gibt, die die beiden noch im Diesseits zusammenführt. Der Film schafft es auch, zu zeigen, wie sehr die beiden durch die Briefe trotz der räumlichen Trennung voneinander nicht aufhörten ihre Beziehung zu gestalten (Man denke nur an das herzzerreißende Foto, von den drei Töchtern, die um das gebastelte Transparent mit der Aufschrift "Lieber Vater komm bald!" stehen, das Franz in der Zelle aufbewahrt). Damit wird dem historischen Befund Rechnung getragen, dass Franz Jägerstätter nicht trotz seines Status als Ehemann und Vater den Weg des Martyriums ging, sondern Kraft dieser Beziehung.
Die Geschichte und eine Geschichte für heute
A Hidden Life ist ebensowenig ein historischer Film, wenn es darum geht, den Nationalsozialismus als historische Vergangenheit nachzubilden. Deshalb wäre es auch verfehlt zu fragen, ob Malick in der Darstellung der Nationalsozialisten im Film Klischees bedient. Der Film gebraucht vielmehr die Metaebene von Geschichte und interessiert sich für das Verhältnis zwischen Geschichte und einem Individuum. Er steht archetypisch für die Brutalität der Geschichte und deren Sog auf die Masse (auch Jägerstätters Traum aus dem Jahr 1938, in dem er einen Zug auf dem Weg in die Hölle sah, und später als die Fahrtrichtung des Nationalsozialismus deutete, ist im Film eingebaut). Es ist dieser Fokus auf das Sich-der-Masse-Entziehen und individuelle folgen einer Überzeugung, worin erste FilmrezensentInnen die Aktualität der Person Jägerstätters erkennen konnten. Im Dorf St. Radegund und darüber hinaus wurde die Entscheidung Jägerstätters bestenfalls als zweck- und sinnlos bewertet, weil sie nichts am Krieg oder am Regime änderte, auch wenn andere im gefolgt wären.
Der Film zieht gegen Ende immer stärker in seinen Bann. Franz wird nach Berlin in das Gefängnis Tegel verlegt, wo ein historisch nicht belegter Zellenbruder quasi als Gegen-Auftraggeber die anti-christliche Botschaft ins Ohr flüstert: "Du stirbst für nichts." Dramatik erhält der Filmende zusätzlich durch die Darstellung des historisch belegten Versuches durch den Pflichtverteidiger, Jägerstätter zu einem Stimmungswandel zu bewegen, indem er Pfarrer Fürthauer bittet, mit Franziska nach Berlin zu kommen.
Das Ende—ein Übergang
Das Ende des Films ist zudem voll von intertextuellen Bezügen zur Bibel und Symbolen. So legt der Richter (Bruno Ganz in seiner letzten Rolle) demonstrativ seine beiden Hände auf seine Knie, nachdem er zu Jägerstätter spricht: I don’t judge you! I don’t know everything. Wer möchte dabei nicht an Pilatus‘ in Unschuld gewaschene Hände denken. Auch die Raupe, die über einen Brief von Jägerstätter krabbelt, deutet auf das nahende Ende Jägerstätters hin. Als Symbol eingesetzt wird der bevorstehende Tod der Hauptfigur eben nicht als Ende, sondern als Metamorphose christlich gedeutet, so wie die Raupe nicht stirbt, sondern sich zum Schmetterling wandelt. Diese Hoffnung trug Franz und Franziska Jägerstätter.
Malick vermittelt diese spirituelle Dimension des Films entkleidet von ihrem engen frömmigkeitgeschichtlichen Kontext, aber mit klarem christlichem Profil. Andererseits bietet der Regisseur wie in The Tree of Life eine sehr weite Spiritualität, die auch außerhalb eines spezifisch christlichen Verstehenshorizontes gewürdigt werden kann. Woraus Menschen die Kraft für oppositionelles Handeln unter extremsten Bedingungen und Systemen nehmen, ist—so und so—eine Frage für die Gegenwart.
Wann A Hidden Life in österreichischen Kinos zu sehen sein wird, steht noch nicht fest. Faktum ist, dass der Film in Cannes mit Kritikerlob überschüttet wurde und sich Fox Searchlight die Verwertungsrechte am Film für 12-14 Millionen Dollar gesichert hat. Der hohe Wert, mit dem Fox Konkurrenten wie Netflix, Paramount, Focus und A24 ausgestochen hat, wird als Indiz dafür gewertet, dass die Branche den Film als starken Beitrag einstuft. Einiges spricht dafür!
Hinweis: Für weitere Informationen zur Filmvorführung am 4. Juni, dem anschließendem Filmgespräch sowie Hintergründen zu Film und Jägerstätter verweise ich ausdrücklich auf den äußerst informativen Bericht auf der Webseite der Diözese Linz!
Zitation
Schmoller, Andreas. "Filmreviw 'A Hidden Life' von Terrence Malick." Franz und Franziska Jägerstätter Institut, 18.6.2019. https://ku-linz.at/forschung/franz_und_franziska_jaegerstaetter_institut/forschungsblog/artikel/filmreview-a-hidden-life-von-terrence-malick