Der FFJI-Forschungsblog startet: Was bislang geschah
01. February 2019 - Allgemein
Das 2017 ins Leben gerufene Franz und Franziska Jägerstätter Institut (FFJI) an der Katholischen Privat-Universität Linz (Institutsgründung 2017) hat 2018 seine Arbeit aufgenommen. Mit 1. Mai des Jahres übernahm Dr. Andreas Schmoller die Leitung des Institutes, seit 1. Oktober ist mit Dr.in Verena Lorber eine zweite ZeithistorikerIn mit an Bord, um das breite Aufgabenspektrum – Dokumentation, Sammlung und Archivierung des Forschungs- und Quellenbestandes, historisch-kritische Edition, Forschungen zu den Biografien Franz und Franziska Jägerstätters, Gedenkarbeit und Erfassung weiterer Zeugnisse „widerständigem“ Verhaltens – umzusetzen. Das FFJI beginnt jedoch keinesfalls an einem Nullpunkt der Forschung oder Vermittlung der Geschichte(n) des Ehepaars Jägerstätter, sondern baut auf einem weitverzweigten Netz von Studien, Personen und Rezeptionen auf, welches sich lokal wie international herausgebildet hat. Diese privilegierte Ausgangslage hinsichtlich der historischen Erschließung macht den Einstieg in das soziale und wissenschaftliche Feld zu einem umfangreichen Unternehmen. Wir haben uns während dieser Startphase de facto mit allen zukünftigen Arbeitssäulen des Instituts vertraut gemacht, und dies mit dem Ziel verbunden, im Jahr Eins den Aufbau einer Forschungsinfrastruktur soweit als möglich voran zu bringen.
Schenkung der Jägerstätter-Schriften
Franziska Jägerstätter hatte die Originalschriften ihres Mannes, ihre Briefe an ihn, sowie Briefe von und an Dritte, wie zum Beispiel Pfarrer Josef Karobath aus St. Radegund, wiederholt der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt und die Veröffentlichung von Teilen autorisiert (hrsg. von Erna Putz). Im Jahr 1999 übergab Franziska den Quellenbestand an die römisch-katholische Pfarrkirche St. Radegund, um das Andenken an Franz Jägerstätter zu bewahren. Die Pfarrgemeinde St. Radegund, deren Pfarrer sich bereits ab 1945 für die Würdigung Jägerstätters einsetzten, pflegte seit 1983 das ehemalige Wohnhaus von Franz Jägerstätter, baute dort ein Museum auf und erwarb 1985 das Gebäude (Haus Jägerstätter). Nach der Gründung des FFJI im Jahr 2017 wurde von Univ.-Prof. Dr. Ewald Volgger im Einvernehmen mit der Familie und der Gedenkstätte „Haus Jägerstätter“ die Übertragung der 1999 von Franziska erhaltenen Originalschriften an die Diözese Linz vorbereitet und der Schenkungsvertrag am 7. Juni 2018 kirchenbehördlich genehmigt. Diese Sammlung „Haus Jägerstätter“ umfasst rund 400 Briefe (90 aus der Hand von Franz und 53 von Franziska an ihn), vier Hefte, lose Blätter, Aufzeichnungen aus Berlin Tegel, ein Notizbuch sowie weitere Lebensdokumente und Sammlungen. Somit sind sämtliche Originalschriften von Franz Jägerstätter – mit wenigen Ausnahmen (siehe nächster Abschnitt) – nun im Besitz der Diözese Linz.
Materielles Erbe bewahren: Archivierung und Digitalisierung
Das FFJI ist mit der Archivierung, Digitalisierung und wissenschaftlichen Auswertung der Sammlung „Haus Jägerstätter“ betraut. Die konventionelle Archivierung fand diesen Sommer in Zusammenarbeit mit dem Diözesanarchiv Linz (DAL) statt. Damit ist eine sachgemäße, dauerhafte Lagerung der Briefe und Schriften sichergestellt. Die Gliederung und Ordnung des Materials erfolgte gemäß RNA (Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen). Bei der Inventarisierung der Jägerstätter-Schriften standen zwei frühere Inventarlisten als Vergleichsgrundlage zur Verfügung. Jene von Dr.in Erna Putz und jene, die vom DAL im Zuge des Vorverfahrens für die Seligsprechung Jägerstätters von Archivarin Dr. in Monika Würthinger erarbeitet wurde. Mit der Neuinventarisierung schuf das Institut eine Signaturenkonkordanz, um den Zugriff auf das Material auch weiterhin über die „alte“ Nummerierung zu gewährleisten. Somit ist eine Transparenz zwischen alter und neuer Ordnung gegeben, um die Zitierbarkeit und weitere Jägerstätter-Forschung sicherzustellen.
Im Sinne der geplanten Digitalisierung und historisch-kritischen Edition der Schriften haben wir an der Bibliothek der KU mit über 1400 hochauflösenden Scans digitale Faksimile vom Briefbestand sowie von den Lebensdokumenten erstellt. Diese bilden die Grundlage für die weiterführende Forschungsarbeiten.
Da das geplante Editionsprojekt alle Schriften Franz Jägerstätters enthalten soll, ist es unser Ziel, auch jene Briefe zu digitalisieren, die nicht Teil der Schenkung Sammlung „Haus-Jägerstätter“ waren. Dies gilt insbesondere für jene sieben erhalten gebliebenen Briefe von Franz Jägerstätter an seinen Freund und Glaubensbruder Rudolf Mayr, die sich heute im Privatbesitz von Dr.in Erna Putz befinden (Artikel auf der Webseite der Diözese). Mit ihrer Unterstützung konnten wir diese bereits digitalisieren. Des Weiteren sind vereinzelte weitere Originalbriefe in diversen Ausstellungen oder Installationen integriert (Haus Jägerstätter St. Radegund, Dom Linz, Rom). Digitale Faksimile dieser Briefe stehen noch aus.
Jägerstätter-Bibliografie
Literaturstudium und Bibliografieren stehen am Anfang eines jeden größeren geisteswissenschaftlichen Projektes. Unser Anspruch ist, eine möglichst lückenlose Jägerstätter-Forschungsbibliografie zu erarbeiten und diese auf der Homepage des Instituts allgemein zugänglich zu machen. Zusätzlich zu der in den Jägerstätter-Standardwerken angeführten Literatur, recherchierten wir in lokalen, nationalen und internationalen Bibliothekskatalogen. Thematisch und typologisch geordnet, wurden die Ergebnisse unserer Recherche in einem Literaturverwaltungsprogramm erfasst. Diese sind in drei Hauptkategorien (Primär-, Sekundärliteratur zu Jägerstätter, Rezeption) gegliedert, zu denen Unterkategorien, wie Hochschulschriften, Festschriften, Filme oder pädagogisches Material, angelegt wurden. Zeitungsartikel sind nicht Teil der Bibliografie, diese werden in einem späteren Schritt im Rahmen der Quellendokumentation zu Franz Jägerstätter gesammelt und systematisch erfasst. Gleichzeitig wird geprüft, ob die gefundene Literatur an der KU vorhanden ist oder gegebenenfalls ankauft werden muss. Das Institut kooperiert hierfür mit der Bibliothek der KU, die die Funktion einer primären Sammelstelle von Jägerstätter-Literatur übernimmt.
Quellen- und Literaturdokumentation
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit besteht in der Erforschung weiterer Biografien des kirchlichen „Widerstandes“ in Oberösterreich bzw. der Diözese Linz. Dabei gehen wir von einem breit gefassten Widerstandsbegriff aus, welcher alltägliches, widerständiges Handeln im Sinne von Dissens/Resistenz umfasst. Um einen Überblick über vorhandene Forschungsarbeiten zum Themenkomplex „Kirche und Widerstand“ in Oberösterreich zu erhalten, haben wir mit einer Quellen- und Literaturdokumentation begonnen, die in eine Datenbank eingespeist wird. Dadurch kann das Forschungsfeld „vermessen“ und Desiderate ausgelotet werden. Zweifelsohne gibt es zahlreiche Studien zum Thema Widerstand in Oberösterreich, die im Rahmen von Forschungsprojekten des Oberösterreichischen Landesarchivs oder des Stadtarchivs Linz erstellt wurden. Überdies besteht ein breites Spektrum an Regionalstudien, in denen punktuell auf weltanschaulichen Dissens Bezug genommen wird. Zum Thema Kirche und Widerstand in der Diözese Linz sind die Forschungsleistungen von Rudolf Zinnhobler zu nennen, der sich Zeit seines Lebens diesem Thema widmete sowie von Johann Mittendorfer und des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, die Pionierarbeit in der Erforschung widerständigen Verhaltens im Bereich des Klerus leisteten.
Eine biografische Gesamtzusammenschau von katholischem „Widerstand“ für Oberösterreich sowie vergleichende Studien sind hingegen noch ausständig. Auch im Bereich der Ordensgemeinschaften und des Klerus bestehen Desiderate. Alle bisher geleisteten Forschungsarbeiten bieten unserem Institut wichtige Ansatzpunkte zur Erforschung weiterer, bislang unbekannter Frauen und Männer. Es ist uns bereits gelungen, einige Personen aus dem kirchlichen Milieu festzustellen und in unserer Datenbank namentlich zu erfassen. Zudem konnten wir aufgrund der Literatur- und Quellendokumentation einen Überblick über die Forschungs- und Quellenlage erhalten und bereits mit einigen ForscherInnen persönlich in Kontakt treten, um Forschungsanregungen und Hilfestellungen zu erhalten. Unser Ziel ist, in den nächsten Jahren eine Vernetzungsplattform zu schaffen und dadurch nicht nur den Forschungsaustausch zu erleichtern, sondern auch die Sicherung von Quellenbeständen und Forschungsdaten zu gewährleisten.
Vernetzung
Teil der Forschungsinfrastruktur sind letztlich auch personelle Ressourcen, die im Sinne eines Netzwerkes zum Gelingen des Projektes beitragen. Die Vernetzung mit den AkteurInnen lokal (in und um St. Radegund) und überregional ist im Zusammenhang durchaus umfangreich, als es im Kontext von Jägerstätter darum geht, Familie, Pfarre, Diözese, Universität, Politik, Erinnerungs-Institutionen etc. im Blick zu haben. In all diesen Bereichen ist eine erhebliche Menge an Wissen in Form von persönlicher ZeugInnenschaft, fachlicher Expertise, individuellem Interesse oder einer Mischung von alledem vorhanden, welches durch das FFJI zusammengetragen, erschlossen oder im Sinne der Oral History dokumentiert und gesichert wird. Die Vernetzungsarbeit, die durch Treffen, Gespräche und Emailkorrespondenzen mit Mitglieder der Jägerstätter-Familie, Pfarrern, Bischöfen, JournalistInnen, PädagogInnen, HistorikerInnen, TheologInnen seit Mai begonnen wurden, hatte aber auch zum Ziel, mit den verschiedenen AkteurInnen zu erörtern, welche Erwartungen sie mit der Errichtung des FFJIs verbinden. Da es bei Franz und Franziska Jägerstätter nicht nur um ein rein historisches Forschungsthema geht, sondern auch um die gesellschaftlich bleibende Relevanz ihrer Biografien, ist es von genuinem Interesse, die Erwartungshaltungen von „ExpertInnen“ zu kennen und Desiderate der Forschung auszuloten. Konform mit dem Gründungsgedanken des FFJI haben dabei viele AkteurInnen das Interesse bekundet, dass das Institut sich auch anderen Zeugnissen des Widersetzens in der NS-Zeit widmen möge, um vor einem breiteren Hintergrund Milieu und Religiosität als Faktoren des Handelns erforschen zu können. Schließlich haben wir die Vernetzung auch dazu genutzt, an Gedenkveranstaltungen für Jägerstätter (9. August Tarsdorf/St. Radegund) oder NS-Opfer in der Diözese Linz (vor allem die von Erna Putz organisierten Veranstaltungen zu den NS-Opfern in den oberösterreichischen Bezirken) als teilnehmende Beobachter anwesend zu sein.
Oral History: Interviewdatenbank
Wie erwähnt ist der Gedanke der Vernetzung verbunden mit dem Gedanken der Oral History, d.h. jener Methode in der Geschichtswissenschaft, die mündliche Geschichten systematisch aufzeichnet, sammelt, erschließt und im Archiv bewahrt. Im Sinne einer umfassenden Archivierungsstrategie des FFJI ist für uns der Bereich der mündlichen Quellen unter zweierlei Aspekten relevant. Einerseits sollen bestehende Sammlungen von Audio- und audiovisuellen Daten im Institut aufgespürt und aufbewahrt werden, andererseits generieren wir mittels offener oder halboffener narrativer Interviews mit dem Umfeld bzw. den Nachfahren von Franz und Franziska Jägerstätter, sowie anderen ZeitzeugInnen- oder ExpertInnen-Interviews neue Daten, die Ausgangspunkt für zukünftige Forschungsvorhaben sind. Der Aufbau einer Interviewdatenbank hat mit den ersten Interviews begonnen und wird zum ständigen Arbeitsbereich des Instituts zählen. Die Interviews und die Wahl der InterviewpartnerInnen trägt dem Interesse an der ‚Geschichte‘ wie jenem am ‚Gedächtnis‘ Jägerstätters gleichermaßen Rechnung. Die Rezeption der Jägerstätters in verschiedenartigen sozialen Gedächtnisformationen über die vergangenen 75 Jahre hinweg zählt unübersehbar zu den Desideraten der heutigen Jägerstätter-Forschung. Wie wirkt die Geschichte der Person Franz Jägerstätter in Familie, Ort, Kirche und Gesellschaft fort? Welche Informationen über zeitgenössische Reaktionen der vergangenen Jahrzehnte lassen sich über ZeitzeugInnen erheben und diskutieren? Verbunden mit der Idee einer Interviewdatenbank steht die Frage von Datenvereinbarungen mit InterviewpartnerInnen hinsichtlich der Archivierung und Nutzung der Interviewdaten und personenbezogenen Daten. Bei den hierfür ausgearbeiteten Vereinbarungstexten hat das FFJI auf die Erfahrungen anderer Audio-Archive zurückgegriffen. Besonders hilfreich erwies sich dabei die Datenverarbeitungsvereinbarung des neu errichteten Migrationsarchivs der Stadtarchiv Salzburg, um neben den Interviewdateien auch zur Verfügung gestellte Fotos und Dokumente miteinzubeziehen und unterschiedliche Nutzungsberechtigungen abzuklären.
Ausblick – Edition
Derzeit arbeiten wir an der Erstellung einer historisch-kritischen Hybrid-Edition, d.h einer Edition die sowohl in digitaler als auch in gedruckter Version erscheint. Die Grundlage dazu wurde durch die Digitalisierung der Sammlung „Haus Jägerstätter“ geschaffen. Den Erfordernissen des digitalen Edierens entsprechend, werden daraus nun in einem nächsten Arbeitsschritt maschinenlesbare Daten generiert. Diese umfassen Metadaten, wie Datum, Ort, AdressatIn oder VerfasserIn, Transkriptionen des Briefkorpus und der persönlichen Aufzeichnungen sowie den textkritischen Apparat, Kommentare und Personen- und Ortsnamen. Dazu orientieren wir uns an open access Anwendungen und verwenden bewährte Standards im Bereich der Digital Humanities – XML und TEI-Codierung, um die Weiterbearbeitung der Daten zu gewährleisten. Im Unterschied zur Printausgabe werden die Digitalisate in der Online Edition mit den Briefen und Lebensdokumenten verknüpft und können zukünftig durch weitere Briefbestände, wie jene von Franziska Jägerstätter, erweitert werden. Zudem erleichtern Such- und Filterfunktionen das Lesen und die Nutzung der digitalen Quellenedition. Die Quellcodes werden im Sinne von open access breitgestellt. Ein wichtiger Kooperationspartner zur Umsetzung der digitalen Edition ist die Bibliothek der KU Linz.
Zitation
Schmoller, Andreas und Verena Lorber. "Der FFJI-Forschungsblog startet: Was bislang geschah." Franz und Franziska Jägerstätter Institut, 1.2.2019. https://ku-linz.at/forschung/franz_und_franziska_jaegerstaetter_institut/forschungsblog/artikel/der-ffji-forschungsblog-startet-was-bislang-geschah