Gastvortrag: Otto Salvisberg und die europäische Moderne.

04. June 2024

16:00 - 18:00 Uhr

KU Linz: Hörsaal 1

Im Rahmen der Vorlesung "Architekturgeschichte II: Architektur-Moderne(n) und Modernitäten" von Professorin Anna Minta hält der Kunsthistoriker Bernd Nicolai am 4. Juni 2024 einen öffentlichen Gastvortrag über den Schweizer Architekten Otto Rudolf Salvisberg und die europäische Moderne der 1930er Jahre.

Stadtbau und Schaustück: Otto Rudolf Salvisberg und die europäische Moderne der Dreißiger-Jahre

Vortrag von Prof. em. Dr. Bernd Nicolai (Bern)

Die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts bilden bis heute ein Schwarzes Loch der europäischen Architekturgeschichte. Wesentliche Diskurse und Entwicklungen zwischen 1930 und 1940 sind in ihm gleichsam verschwunden. In diesem Dezennium gab es – vor allem politisch bedingt – große Fliehkräfte, oft über England auf die andere Seite des Atlantiks, in die Vereinigten Staaten als Land der Zuflucht und des technischen Fortschritts, schließlich nach 1945 des Sieges der westlichen Demokratie.

Es besteht kein Zweifel, wie schon Stanislaus von Moos 1977 festgehalten hat, dass die Geschichte der modernen Architektur im CIAM-Umkreis geschrieben wurde, und zwar aus einer transatlantischen Perspektive nach Sigfried Giedions Space, Time and Architecture, erschienen 1941. Ihre volle Wirkkraft entfaltete dieses Narrativ erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit wurde eine zeitlose, Ewigkeitswerte versprechende Moderne bis weit in die siebziger Jahre hinein propagiert, verbunden mit einem heute noch teilweise unkritisch rezipiertes Narrativ aus US-amerikanischer Sicht.

Die Diskurse und die gebauten Zeugnisse der 1930er Jahre in demokratischen Ländern wie den Niederlanden, Belgien, Frankreich, der Tschechoslowakei sowie der Schweiz oder Skandinaviens wurden in diesem Zusammenhang schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen. Die Veranstaltung beschäftigt sich mit der Rolle des Schweizer Architekten Otto Rudolf Salvisbergs als Vertreter einer internationalen Moderne im europäischen Kontext, u.a. im Vergleich mit Bauten von Henry van der Velde, Erich Mendelsohn, Peter Behrens und Alexander Popp sowie Gio Ponti.

Bis zu seinem plötzlichen Tod 1940 konnte Salvisberg als alleiniger Diplom-Professor an der ETH Zürich in beinahe in allen Baugattungen architektonisch tätig sein. Sein wichtigster Beitrag lag neben dem Krankenhausbau in der Neuformulierung des Verwaltungs- und Industriebaus. Seine Bauten für die Universität Bern, die ETH Zürich, F. Hoffmann La Roche sowie der Bleicherhof in Zürich wurden international rezipiert, andere Projekte wie das Stadthaus Bern und das Hotel in Basel zeigen den Versuch, eine zeitgemäße Ausdrucksform "der Gemeinschaft" innerhalb einer städtischen Moderne zu kreieren. Salvisberg war sich bewusst, Teil einer dynamischen Entwicklung zu sein, die architektonisch mit den Bauten, obschon auf dem "Zeitgeist" fußend, Dauerhaftigkeit verkörpern sollten. Die Fragen des Verhältnisses von Kollektiv und Individuum, der Rolle des Staates und einer paternalistisch aufgefassten Wirtschaftsform sind jenseits einer vordergründig ideologischen Instrumentalisierung, die Salvisberg ganz fernlag, dennoch als ein Subtext seiner ETH-Zeit zu lesen.

Die Teilnahme am öffentlichen Vortrag ist kostenlos. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Zum Referenten
Kunst- und Architekturhistoriker Prof. Dr. Bernd Nicolai ist Professor Emeritus am Institut für Kunstgeschiche (Abteilung für Architekturgeschichte und Denkmalpflege) der Universität Bern.

17.05.2024/RK