Thomas Macho über Bedingungen von Ausbildung und Bildung.

Um nicht immer geradlinige Biografien in Bildung und Ausbildung ging es bei der vierten Veranstaltung im Rahmen des KU_biläums, der Reihe anlässlich von "350 Jahre KU Linz" am 8. November 2022. Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho, umriss unter dem Titel "Lebenspläne, Hürdenläufe" den Wandel der Bedingungen, unter denen Menschen im Feld von Universität und Wissenschaft sich individuell entwickeln können. In der anschließenden, von Dekan Professor Stephan Grotz (KU Linz) moderierten, Diskussion kam Thomas Macho darüber mit Rektorin Brigitte Hütter (Kunstuniversität Linz) ins Gespräch.

In der Begrüßung benannte Vizerektor Professor Michael Fuchs eines der Ziele der KU_biläums-Reihe: hinauszugehen in die Stadt Linz und an verschiedenen Orten den Dialog zu suchen. In diesem Sinne sei dieser Vortrag an der KU Linz fast so etwas wie eine Ausnahme, auch deshalb, weil Referent Thomas Macho aufgrund einer kurzfristigen Verhinderung live aus Berlin in den Hörsaal zugeschaltet wurde.

Studium und Universitäten vor "Bologna"

Im ersten Teil seines Vortrags "Lebenspläne, Hürdenläufe. Bemerkungen zu den aktuellen Bedingungen von Ausbildung und Bildung" schilderte Thomas Macho beispielhaft seine Stationen im Studium, im Feld von Universität und Wissenschaft, in Lehre und Forschung. Es sei damals, in den 1970er und 1980er Jahren, – zumindest in den Geisteswissenschaftlichen Fächern – möglich gewesen, sehr frei zu studieren, seinen Interessen fast ohne Einschränkungen zu folgen, Dinge auch einfach auszuprobieren. Er habe so nach einem Musikwissenschaften-Studium begonnen in Klagenfurt Philosophie "auf das Doktorat hin" zu studieren. Nach dem Abschluss konnte er übergangslos eine akademische Laufbahn beginnen, die ihn schließlich für viele Jahre an die Humboldt-Universität zu Berlin brachte. Auch die Lehre erlebte er vor dem ab 1999 laufenden "Bologna-Prozess" sehr frei: Man konnte gewissermaßen anbieten, was man wollte, ohne sich z.B. an starre Modulregeln halten zu müssen. Sehr positiv wirkte sich das auf die Zusammensetzung der Gruppen in den Lehrveranstaltungen aus – Anfänger:innen und Fortgeschrittene begegneten sich, tauschten sich aus, regten sich an. In dieser Zeit, und damit leitete er zum zweiten Teil über, spielten elaborierte Lebensläufe in seiner Wahrnehmung und Erfahrung noch überhaupt keine Rolle; ganz anderes sei das heute, wo schon bei Bewerbungen um wissenschaftliche Hilfsstellen Dokumente vorgelegt werden, die lückenlos Stationen und Kompetenzen ausweisen.

Vom "Werdegang" zum "Lebenslauf"

Wie ist diese Entwicklung, wie das "Konzept des Lebenslaufes" zu verstehen? Ausgreifend in die vielstimmige philosophische und literarische Tradition erläuterte Thomas Macho Bedeutungen der Metapher von der "Lebensreise" und wie sich dieses Bild sukzessive verändert hat. Heute sei diese Reise – mit Annemarie Schwarzenbach gesprochen – "weniger ein Abenteuer und Ausflug", als vielmehr ein "konzentriertes Abbild unserer Existenz". Dabei erinnerte Macho auch an die vergleichsweise junge Geschichte des Reisepasses: Was ist es eigentlich, was dieser, etwa mit dem Geburtsdatum, bezeugt? Und was bedeutet es heute gerade für junge Menschen, dass nur ein formvollendeter und übervoller Lebenslauf die Türen zu einem Job eröffnen kann – und oft nicht einmal das?

Perspektiven aus dem Dialog zwischen den Generationen

Abschließend plädierte Macho für einen wertschätzenden und offenen Dialog der Generationen, den insbesondere auch ältere Menschen aktiv suchen sollten. Denn in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft sei die Perspektive der "Alten" überrepräsentiert und tonangebend; klar müsse jedoch sein, dass sich die Erfahrungen junger Menschen massiv von vergangenen Zeiten unterscheiden und sich die Welt in Zukunft in vielen Bereichen stark verändern werde. Die wohl "bestausgebildete Generation aller Zeiten" stehe vor individuellen Herausforderungen – Stichwort: berufliche Möglichkeiten –, stelle im Wissen um die brennenden Probleme unserer Zeit aber vor allem auch andere Fragen. Institutionen der Bildung und Ausbildung, gerade auch die Universitäten, werden darauf antworten müssen.

Die Diskussion wurde mit einem Statement von Brigitte Hütter, Rektorin der Kunstuniversität Linz, eröffnet, in dem sie positive und negative Elemente des "Bologna Prozesses" benannte. Klar müsse aber sein – und das wurde auch in einer Wortmeldung betont –, dass dieser Prozess von den Menschen an den Universitäten selbst mitgetragen und umgesetzt werde: Man habe es also in der Hand, Universitäten zu Räumen der Entfaltung und des intellektuellen Abenteuers, der Offenheit und des Diskurses zu machen – zu einem Ort der Reise, nicht des Rennens.

Dekan Stephan Grotz, Professor für Geschichte der Philosophie an der KU Linz, unterstrich in seiner Moderation, dass sich die Geisteswissenschaften heute zwischen altem, klassisch "aristokratischem" Bildungsideal und der Nutzenorientiertheit von Ausbildung positionieren müssen, sich aber im Selbstverständnis nicht in bloßer Ergebnisfixierungen erschöpfen können.

Dass es in vielen Bereichen ein Aufbrechen der Strukturen und Rollen gebe – eine Dynamik, die sich u.a. in der universitären Lehre erleben lasse, wo in hohem Maße diverse Gruppen konstruktiv und gewinnbringend zusammenkommen –, wurde als Gegenwartsbefund in die Diskussion eingebracht und verlieh dem Abend einen positiven Abschluss.

Die nächste Veranstaltung des KU_biläums findet am 23. November 2022, um 18:00 Uhr im Bischofshof statt: "(Zeitgenössische) Kunst in der Kirche: Orte für Begegnungen". Alle Details dazu sowie zu den zurückliegenden und kommenden Terminen unter www.ku-linz.at/350.

9.11.2022/RK/HE