Severin-Akademie: Bedingter Dialog von Theologie und Naturwissenschaften.

Bei der 25. Severin-Akademie referierte am 11. Jänner 2023 der Theologe und Biologe Ulrich Lüke unter dem Titel "Uneingestandene Ko-Evolution?" über das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften. Mit einem differenzierten Blick auf die Geschichte des Dialogs zeigte er, wie dieser stets auch maßgeblich von (kirchen)politischen und weltanschaulichen Motiven bestimmt war – und auch heute noch ist. Anlässlich des 350-Jahr-Jubiläums der Universität wurde die Veranstaltung in Kooperation mit der Katholischen Privat-Universität Linz veranstaltet.

Konfrontation oder Ergänzung – wie sei das Verhältnis von Naturwissenschaften und Theologie zu bestimmen? Das formulierte Paul Grünbacher (Forum St. Severin) in seiner Begrüßung als Grundfrage des Vortrags- und Diskussionsabends an der Katholischen Privat-Universität Linz. In ihrer Vorstellung des Referenten Ulrich Lüke zeichnete Professorin Susanne Gillmayr-Bucher (KU Linz) ein lebendiges Bild des Theologen und Biologen, den in seiner wissenschaftlichen wie publizistischen Tätigkeit – so Gillmayr-Bucher mit einem Augenzwinkern – nur die „dicken Bretter“ interessieren: grundsätzliche Fragen der Wissenschaften, nicht zuletzt aber auch die damit verknüpften Herausforderungen für Kirche und Gesellschaft.

Uneingestandene Ko-Evolution?

Der emeritierte Professor für Systematische Theologie an der Technischen Universität (RWTH) Aachen und ehemaliger Direktor des Instituts für interdisziplinäre Forschung der Görres-Gesellschaft bot einen spannenden Einblick in zwei historisch herausragende Konfliktgeschichten zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Lüke zeigte, dass der Galilei-Konflikt und der Darwin-Konflikt bei näherer Betrachtung nicht von den Proponenten selbst entzündet wurde, sondern vielmehr politische, wissenschaftliche und persönliche Interessen das Konfliktgeschehen bestimmten. Bei Galilei war es sein Umfeld, das den durchaus selbstbewussten und streitbaren Physiker bei der Inquisition vernaderte, seinen Widerruf betrieb schließlich kein geringerer als sein ehemaliger Freund und Unterstützer, Kardinal Maffeo Barberini. 1623 zum Papst Urban VIII. ernannt, setzte er die Inquisition gegen Galilei an, nachdem er sich von ihm beleidigt fühlte und er aufgrund des französischen Kriegs und heftigen Intrigen im Kardinalskollegium unter Druck geriet. Wissenschaftlich unerträglich war es schon damals, dass beim zweiten Galilei-Prozess der Sachverhalt der Frage des heliozentrischen Weltbildes kein Thema mehr war, sondern der Umstand, dass sich Galilei nicht an das 1616 auferlegte Publikationsverbot hielt. Dass Galilei erst 1992 unter Papst Paul II. rehabilitiert wurde, zeige leider auch, wie lange der "große Tanker Kirche" brauche, um Fehler einzugestehen.

Auch im Darwin-Konflikt war es nicht der Vater der Evolutionstheorie selbst, der die Lunte am Konfliktfass mit Funken versorgte. Vielmehr der deutsche Mediziner und Zoologe Ernst Haeckel, der aus der Evolutionstheorie Darwins einen Evolutionismus schuf, der zu atheistischen und rassistischen Konsequenzen führte. Der angesehene zum Katholizismus konvertierte Theologe John Henry Newman war schon damals ein dezidierter Unterstützer der Evolutionstheorie.

Ulrich Lükes Fazit aus der Rekonstruktion dieser nachhaltig wirkenden Konfliktgeschichte: Nicht die Sache der wissenschaftlichen Entdeckung war das eigentliche Konfliktproblem, sondern die Lernverweigerung der Kirchen, aber vor allem auch die Vergiftung der Kommunikation zwischen beiden Lagern. Diese entwickelten eine Eigendynamik zum wechselseitigen Schaden. Als Konsequenz fordert Lüke, dass Theologie und Naturwissenschaft eine Haltung des Lernens vom anderen einnehmen müssten: "Das Dogma von der Erkennbarkeit Gottes aus der Natur gibt der Naturwissenschaft ein theologisch begründetes Mitspracherecht bei der Gottesfrage und nötigt die Theologie zu einer Konsultationspflicht bei den Naturwissenschaften. Damit Biologie (vgl. Dawkins), Chemie (vgl. Monod) und Physik (vgl. Hawking) nicht ihrerseits unter der Hand zur Metaphysik werden, sei auch ihnen eine Konsultationspflicht bei der Theologie empfohlen."

Wechselseitige "Beratungsbedürftigkeit"

Wie sich vor diesem Hintergrund das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften heute und morgen darstellt, war Inhalt der von Professor Franz Gruber (KU Linz) moderierten Diskussion, an der das Publikum regen Anteil nahm. Dass der interdisziplinäre Dialog nach wie vor von Vorurteilen – oft aufgrund schlichter Unkenntnis bzw. Verkennung des Diskursniveaus in der jeweils anderen Wissenschaftsdisziplin – gekennzeichnet sei, schilderte Lüke an Beispielen aus der Praxis. Zugleich erinnerte er an die theologische Tradition einer kritischen Bibelexegese, die gerade auch für Erkenntnisse der Naturwissenschaften offen sei. Wie diese heute mit Lehre und Auftrag der Kirche(n), insbesondere auch mit einem spezifisch christlichen Gottesbild in Einklang zu bringen seien, wurde in mehreren Statements problematisiert, etwa mit der Frage danach, wann – sowohl gattungsgeschichtlich als auch in der Entwicklung des Individuums – die "Seele" auftaucht. Kritisch beleuchtet wurden dabei u.a. auch Theorien des "Intelligent Design". Dass Theologie wie Naturwissenschaften nicht nur im interdisziplinären Gespräch, sondern auch in engeren fachwissenschaftlichen Diskussionen vielfach "beratungsbedürftig" sind, betonte Lüke abschließend noch einmal: Denn nur so gelange man zu Lösungen, die wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit seien und zugleich in den Blick nehmen, "was es mit dem Menschen auf sich hat".

Musikalisch abwechslungsreich und stimmungsvoll begleitet wurde der Abend von Flora Schrattenholzer (Akkordeon) und Lukas Lahninger (Saxophon).

Die nächste Veranstaltung des KU_biläums findet am 24. Jänner 2023 in Kooperation mit der HYPO Oberösterreich in der Linzer HYPO-Zentrale statt. Professorin Isabella Guanzini (Institut für Fundamentaltheologie und Dogmatik, KU Linz) spricht zum Thema "Nicht ohne den Anderen. ‚Katholizität‘ als symbolische Ressource für eine plurale Öffentlichkeit?" Die anschließende Diskussion mit Bischof Manfred Scheuer wird von Henning Klingen (Kathpress) moderiert. Alle Details dazu sowie zu den zurückliegenden und kommenden Terminen unter www.ku-linz.at/350.

13.1.2023/RK/HE