Moderne Kunst in der Kirche: Chance und Herausforderung.
Kirchenbauten seien "Landmarks" der Kulturlandschaft, so Bischofsvikar Johann Hintermaier in seinen einleitenden Worten, die er in Vertretung von Bischof Manfred Scheuer als Hausherr des Bischofshofes sprach. In ihnen gehen die "critical friends" Kunst und Kirche einen kreativen, auch herausfordernden Dialog ein, der von Kreativität getragen sei und bei dem es darum gehe, Räume zu gestalten "in denen es sich leben lässt".
Kirchen: Gemeinschaftsräume, Erfahrungsräume, Gestaltungsräume
Anna Minta, Professorin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der KU Linz, stellte in ihrem Impulsvortrag die kritische Frage nach der "Öffentlichkeit" von Kirchenräumen. Seien diese, trotz entscheidender Weichenstellungen im II. Vaticanum und der Rede von "Gemeischaftsräumen", nicht nach wie vor sehr exklusive Räume, in denen soziale Ordnungen und Hierarchien zum Ausdruck – und oft genug explizit zur Darstellung – kommen? Anhand ihres Projekts Frauenbilder im Mariendom und der Interventionen von Margit Greinöcker und Zoe Goldstein zeigte Minta, wie zeitgenössische Kunst über Strategien der "Verheutigung“, über die Auseinandersetzung mit Kirchenbauten und ihrer Ausstattung als "kulturhistorische Dokumente" und nicht zuletzt in der sensiblen Wahrnehmung liturgischer Funktionen zur Öffnung von Denk- und Vorstellungs-Räumen beitragen könne. Kunst bewirke u.a. mit der Hereinnahme von Diversität Diskursfähigkeit und schaffe damit gerade auch in der und für die Kirche neue Identifikationsmöglichkeiten für alle gesellschaftlichen Gruppen.
Den Charakter sakraler Räume als "ästhetische Erfahrungsräume" umriss Assistenz-Professorin Siglinde Lang vom Institut für Kunst in gegenwärtigen Kontexten und Medien der KU Linz ausgehend vom Beispiel Lübeck, dessen historische Kirchenlandschaft Selbstverständnis – und auch Marketing – der Stadt bestimmt. Als "Labor für Sinn- und Lebensfragen" werden die Kirchen vielfältig für Vorträge, Lesungen, Konzerte und Performances genutzt. Diese sind häufig kein paralleles Zusatzangebot sind, sondern fungieren als Elemente in liturgischen Feiern. So können die Kirchen von Kirchengänger:innen ebenso wie von einem neuen Publikum neu und bewusster erlebt werden als spezifisch ästhetische Erfahrungsräume: als Kulturräume, deren symbolische Formen Wahrnehmungen von Welt zum Ausdruck bringen; als Begegnungsräume, in denen Deutungskonventionen außer Kraft gesetzt werden; und schließlich als Möglichkeitsräume, die zur Erkundung von (Selbst-)Gewissheiten anregen und die eigenen Erfahrungswelten anders verstehen und betrachten lassen.
Hubert Nitsch, Diözesankonservator der Diözese Linz, gab Einblicke in ein konkretes künstlerisches Um- und Neugestaltungsprojekt und in die Praxis des Umgangs mit dem baukulturellen Erbe „Kirche“. Vorgestellt wurde die von Isabella Kohlhuber – die Künstlerin selbst musste ihre Teilnahme an der Veranstaltung leider kurzfristig absagen – entwickelte Gestaltung der Filialkirche Pesenbach in Feldkirchen an der Donau. Nitsch zeichnete das beziehungsreiche Konzept Kohlhubers nach und machte vor allem auch die Umsetzung als dialogischen Bildungsprozess von Pfarrgemeinde und Künstlerin sichtbar. Deutlich könne bei diesem Projekt werden, was zeitgenössische Kunst vermag: als "roter Faden in der Geschichte", als "Innovationselement" und als "Metaebene" Räume nicht nur nach außen zu öffnen, sondern auch nach innen: für ein neues Verstehen der eigenen Tradition und die Ermöglichung spirituellen Erlebens. Die entscheidende Aufgabe sei es, Kirchenräume für heute zu schaffen – Räume auch des Trostes und Räume, in denen Christus lebendig wird.
Kunst und Kirche: Herausfordernder Dialog mit großen Chancen
Im Anschluss an die Impulsvorträge entwickelte sich eine engagierte Diskussion am Podium und mit dem zahlreich anwesenden Publikum. Dabei stand nicht eine rückwärtsgewandte Perspektive des Konservierens im Zentrum, bei dem man zeitgenössische Interventionen als bloßen Störfaktor auffassen könnte, sondern im Gegenteil: Es ging um die Kirche der Gegenwart und der Zukunft und die Frage, welche Rolle zeitgenössische Kunst in ihr spielen könne – vielleicht gerade auch als der höchst notwendige herausfordernde, produktive und aufschließende Störfaktor. Dies kann nicht nur und wird nicht nur ein Miteinander "auf Kuschelkurs" und in der "Komfortzone" sein – aber in diese kann sich eine Kirche, die sich den Realitäten stellt, ohnedies nicht zurückziehen. Dass der Gewinn durch zeitgenössische Kunst in den Kirchen aber ein großer ist, wurde insbesondere in Wortmeldungen aus dem Publikum – u.a. von Fritz Kriener (Amstetten) und Alois Dambachmayr (Sierning) – erlebbar, die von gelungenen und für alle Beteiligten fruchtbaren Projekten in ihren Pfarrgemeinden berichteten.
Die nächste Veranstaltung des KU_biläums findet am 14. Dezember 2022 im Festsaal des Francisco Carolinums statt: "Ökologien zum Anfassen. Neue Netzwerke zwischen Kunst, Wissenschaft und Religion". Alle Details dazu sowie zu den zurückliegenden und kommenden Terminen unter www.ku-linz.at/350.
24.11.2022/RK/HE