Kunst als Labor und Experimentierfeld: Ökologien zum Anfassen.

Mit einem im wahrsten Sinne des Wortes vielgestaltigen Thema machte das "KU_biläum", die Veranstaltungsreihe zum 350-Jahr-Jubiläum der Katholischen Privat-Universität Linz, am 14. Dezember 2022 im Francisco Carolinum Linz Station: Im Vortrag von Assistenzprofessorin Kerstin Borchhardt (KU Linz) ging es um Monster, um hybride Lebensformen, um deren Gestalt und Form in Mythologie wie zeitgenössischer Kunst – und um ihr utopisches Potenzial. Im Anschluss kam ein interessiertes Publikum mit der Referentin und mit Geschäftsführer Professor Alfred Weidinger (OÖ Landes-Kultur GmbH) ins Gespräch. In der von Universitätsassistentin Martina Resch (KU Linz) moderierten Diskussion nahm insbesondere die Frage nach dem Museum der Zukunft breiten Raum ein.

In seinem Grußwort betonte Rektor Christoph Niemand (KU Linz) die Motivation der Universität, mit dem KU_biläum an unterschiedlichen Orten in Linz mit Partner:innen aus verschiedenen Bereichen in einen Dialog zu treten und so mit den spezifischen Perspektiven von Theologie, Philosophie und Kunstwissenschaft am gesellschaftlichen Diskurs mitzuwirken. Mit "Ökologien zum Anfassen. Neue Netzwerke zwischen Kunst, Wissenschaft und Religion" rücke heute ein Thema in den Mittelpunkt, in dem nicht zuletzt Fragen des zukünftigen menschlichen Lebens und Selbstverständnisses verhandelt würden. 

Monster und Mischwesen: Utopische Potenziale im Bild 

Kerstin Borchhardt, Assistenzprofessorin am Institut für Geschichte und Theorie der Kunst der KU Linz, arbeitete in ihrem einführenden Vortrag die lange Tradition des strikten Dualismus von Natur und Kultur heraus, die aber unterlaufen und gebrochen werde von einer ebenso langen parallelen Tradition der "Biofiktion": Hybride Körper, spekulative Kreaturen und Monster seien Teil der Mythen aller Kulturen und bilden eine Projektionsfläche für Körpervorstellungen, insbesondere aber auch für alternative Sozialordnungen und Lebensweisen. Mit Mensch und Pferd verbinden sich etwa im Mythos des Kentaurs nicht nur Wesen, die sonst nicht ‚zusammengehen‘, sondern im Reich der Kentauren werde eine Ordnung entworfen, die außerhalb des gesellschaftlich geteilten Kosmos stehe. Solche Ordnungsbrüche können bedrohlich sein, aber auch positiv gelesen werden als Sprengung von Konventionen und als Denkräume der Utopie. Hervorzuheben sei, dass diese ‚Lesung‘ sowohl in der Tradition als auch in den gegenwärtigen Formen ihrer Rekapitulation und Transformation vorwiegend nicht textlich erfolgt, sondern über bildliche Darstellungen. Waren früher die "Ränder der Welt" Räume dieser Wesen und ihrer oft ganz anders gearteten Sozialgefüge, so bevölkern sie heute Labore, digitale Sphären und – beispielhaft im Genreklassiker "Alien" (1979) – das Weltall. 

Dass es sich dabei aber nicht um ein bloßes Zitieren von mythologischen und narrativen Elementen, sondern immer auch um gezielte, auf gegenwärtige Fragen und Entwicklungen antwortende Aktualisierungen handelt, verdeutlichte Borchhardt an Beispielen aus der zeitgenössischen Kunst: Welche Stellung haben hybride Wesen, die der Mensch u.a. durch Genmanipulation ‚zur Welt‘ bringt? Was sind diese Lebensformen – und wie ethisch mit ihnen umgehen? Sind sie Gefahr oder Chance? Arbeiten etwa von Patricia Piccinini, Špela Petrič, Carsten Höller, Christa Sommerer/Laurent Mignonneau und Yoko Shimizu machen diese und andere Fragen – durchaus kontroversiell – sichtbar; und in ihnen werde, so Kerstin Borchhardt, unmittelbar erlebbar, wie Künstler:innen heute im Schnittpunkt von Kunst, (Natur-)Wissenschaft und Gesellschaftstheorie agieren und in ihren Laboratorien "Ökologien zum Anfassen" hervorbringen. 

Die Rolle der Kunst und das Museum der Zukunft 

In der anschließenden Diskussion, an der sich ein interessiertes Publikum lebhaft beteiligte, wurde u.a. daran erinnert, dass Kunst und Forschung immer schon Hand in Hand gehen, künstlerische Forschung heute allerdings angesichts der technologischen Möglichkeiten und der damit verknüpften Fragestellungen Werke hervorbringe, die sehr voraussetzungsreich seien und daher auch in höherem Maße der Erklärung und Vermittlung bedürfen. Auf die Rolle der Kunst als Experimentierfeld und Labor habe auch das vielfach noch stark traditionsverhaftete Museumskonzept zu antworten. Der Übergangsbereich von ‚Realität‘ und ‚Virtualität‘ sei dabei als ineinandergreifend zu denken, unterstrich Weidinger. In diesem Sinne entwarf er in kurzen Strichen ein "Museum der Zukunft", das neben zeitgemäßen Formen der Sammlung und wissenschaftlichen Erschließung des kulturellen Erbes eine Plattform der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten und brennenden Fragen bieten müsse.  

Die nächste Veranstaltung des KU_biläums findet am 11. Jänner 2023 – in Kooperation mit der Severin Akademie des Forums St. Severin – an der KU Linz. Zum Thema "Uneingestandene Ko-Evolution? Gedanken zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften" referiert Professor Ulrich Lüke (Institut für interdisziplinäre Forschung der Görres- Gesellschaft). Alle Details dazu sowie zu den zurückliegenden und kommenden Terminen unter www.ku-linz.at/350.

15.12.2022/RK/HE