Kirche und plurale Gesellschaft. Eine Neubestimmung von Katholizität.

Unter dem Titel "Nicht ohne die Anderen. ‚Katholizität‘ als symbolische Ressource für eine plurale Öffentlichkeit?" stand am 24. Jänner 2023 eine Kernfrage der Theologie im Mittelpunkt eines Vortrags- und Diskussionsabends: Bei der in der Oberösterreichischen Landesbank stattfindenden Veranstaltung im Rahmen des KU_biläums, also der Reihe anlässlich 350 Jahre KU Linz, nahm Professorin Isabella Guanzini (Institut für Fundamentaltheologie und Dogmatik) eine Neubestimmung des Begriffs Katholizität vor. Die Zukunftsfähigkeit eines katholischen Selbstverständnisses, das nie "ohne die Anderen", also ohne Andersdenkende bzw. Andersglaubende, zu denken ist, wurde in der von Henning Klingen (Kathpress) moderierten Diskussion mit Bischof Manfred Scheuer (Diözese Linz) sichtbar.

Dialoge und Gespräche mit Partner:innen aus Kirche, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien bilden das Grundkonzept des KU_biläums, der Reihe anlässlich "350 Jahre Katholische Privat-Universität Linz". "Nicht ohne die Anderen", der Titel der mittlerweile achten Veranstaltung, die am 24. Jänner 2023 in Kooperation mit der HYPO Oberösterreich stattfand, konnte in diesem Sinne durchaus programmatisch verstanden werden. In seinen Grußworten hob Generaldirektor Klaus Kumpfmüller, zugleich auch Obmann des Fördervereins "Freunde der KU Linz", die traditionsreiche und fruchtbare Kooperation mit der KU Linz hervor und unterstrich die Verantwortung der Landesbank, sich ethischen Fragen zu stellen und gesellschaftliche Entwicklungen aktiv mitzugestalten. 

Dass das KU_biläum für die KU Linz auch eine Selbstvergewisserung darüber sei, was sie als Universität mit ihren spezifischen Inhalten in der Gesellschaft heute bedeutet und zukünftig bedeuten kann, betonte Rektor Professor Christoph Niemand. Wenn mit "Katholizität" nun ein Kernthema der Theologie im Mittelpunkt stehe – und ein Begriff, der vielfach negativ besetzt und im Diskurs auch fremdbestimmt sei – gehe es nicht zuletzt auch um die Rückgewinnung einer positiven Deutungshoheit. 

Für ein Neudenken von Katholizität in einer pluralen Gesellschaft 

In ihrem dichten Vortrag zeichnete Professorin Isabella Guanzini (Institut für Fundamentaltheologie und Dogmatik, KU Linz) zunächst historische Entwicklung und Verständnisformungen von "Katholizität" nach. Dabei rief sie die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs in Erinnerung, wie sie im Evangelium aufscheine: "Allumfassend", "universal", "die Gesamtheit betreffend", das meine die neutestamentliche Theologie des "katholischen Glaubens" mit ihrer Hoffnung, dass alle Menschen durch Jesus Christus gerettet werden. Es sei die Tragik, ja der Skandal der kirchengeschichtlichen Entwicklung, dass die Bezeichnung katholisch insbesondere seit dem 16. Jahrhundert "zum Kennzeichen konfessioneller Ausgrenzung und Spaltung geworden ist", wie es Guanzini mit einem Zitat Kardinal Walter Kaspers auf den Punkt brachte. 

Wie aber kann Katholizität heute als Ressource für und in einer pluralen Öffentlichkeit neu gedacht werden? Dabei ging sie von einer nichts beschönigenden Gegenwartsdiagnose der katholischen Kirche in der modernen Gesellschaft aus. Sie sei keine dominante Größe mehr und auch der Glaube stelle keine selbstverständliche Voraussetzung mehr dar. Man könne von einer Diasporasituation sprechen, von einer "Exkulturation der Kirche"; und dies betreffe auch das Christentum als Ganzes, das, wie Papst Franziskus festhielt, "oft geleugnet, belächelt, an den Rand gedrängt und lächerlich gemacht" werde. 

Diese Situation rufe auf, das Selbstverständnis von Katholizität neu zu bestimmen – und darin könne auch eine Chance für unsere Zeit und für die Kirche liegen. Gerade die Bewusstmachung der biblischen Tradition führe zu den Schlüsselmoment christlicher Existenz: Denn wirklich "katholisch" sein könne Kirche nur, wenn sie sich "nicht ohne die Anderen" verstehe – nicht ohne die anderen Konfessionen, Religionen, Glaubenstraditionen und auch nicht ohne die säkulare Welt, den Dialog und die Auseinandersetzung mit ihrer Pluralität und Diversität. 

In einem nachdrücklichen Plädoyer für diese immer auch selbstkritische Befragung der eigenen Katholizität machte Guanzini abschließend deutlich, dass dies nicht nur in Außenbeziehungen, im Gespräch etwa mit Menschen anderer Religionen und Menschen ohne religiöse Überzeugungen, zu denken sei. Vielmehr gehe es auch um einen nach innen gerichteten Prozess, der "den Anderen" – und namentlich auch "die Andere" – im System Kirche auf allen Ebenen ins Zentrum der eigenen Katholizität stelle. Mit der Außerkraftsetzung des Klerikalismus benannte sie dafür eine entscheidende Bedingung. 

"Lernort Welt" – eine stete Herausforderung

In der von Henning Klingen moderierten Diskussion erinnerte Bischof Manfred Scheuer an ein Wort bei Thomas von Aquin, wonach Glück und Vollendung in der Gemeinschaft mit anderen liege. Gegensätze können sich als "Hebel der Transzendenz" erweisen, allerdings sei nicht jede andere Position positive integrierbar – es gebe auch, wie Bischof Scheuer verdeutlichte, "Gegensätze der Giftigkeit", Destruktives, ja "Böses", dem man sich angemessen stellen müsse. Einig war man sich, dass mit dem synodalen Weg ein wichtiger Prozess des Zu- und Hinhörens angestoßen ist. Zugleich wurde aber betont, dass es darauf ankommen werde, nicht in rein innerkirchlichen Perspektiven zu verharren und – wie Guanzini hervorhob –, ob es gelingen werde, mit dem synodalen Weg einen tatsächlichen Raum der Freiheit zu verwirklichen. Der "Lernort Welt" erfordere, so ein Fazit der Diskussion, von der Kirche Präsenz und Handeln im Hier und Jetzt, er konfrontiere aber immer auch mit der eigenen Fragmentiertheit, die es auszuhalten gelte. 

Das KU_biläum wird im Sommersemester fortgesetzt: Am 14. März 2023 wird in der Raiffeisen Landesbank zu einer Gesprächsrunde mit Absolvent:innen der KU Linz aus den Fachbereichen Theologie, Philosophie und Kunstwissenschaft geladen. Die Rektor:innen der Linzer Universitäten diskutieren am 30. März 2023 im ORF Landesstudio über die Zukunft des Wissens. Abschließen wird das KU_biläum mit einem Festakt am 11. Mai 2023 in der Aula der Katholischen Privat-Universität Linz. Alle Details zu kommenden sowie zu den zurückliegenden Terminen unter www.ku-linz.at/350

25.1.2023/RK/HE