Zum Internationalen Tag des Gewissens: Die innere Stimme.

Die innere Stimme
“Mir aber ist dieses von meiner Kindheit an geschehen, eine Stimme nämlich, welche jedes Mal, wenn Sie sich hören lässt, mir von etwas abredet, was ich tun will, Zugeredet aber hat sie mir nie.” So der griechische Philosoph Sokrates, der, wie später auch der Kirchenlehrer Augustinus, unter dem Gewissen eine göttliche Stimme verstand. Diese Auffassung kommt uns heute - auch theologisch - seltsam vor. Aber vielleicht gehören sie auch zu denjenigen, die mental so geprägt wurden, dass es im Kopf ununterbrochen brodelt: das musst du noch machen, das muss besser gehen, das darf nicht passieren. Dos und Don'ts, die uns zu leistungsorientierten Menschen in Familie, Beruf und Gesellschaft machen, bestimmen in einer Endlosschleife unser Bewusstsein (und ermüden uns). Die innere Stimme scheint sich doch sehr verändert zu haben - und sie ist kaum noch als der alte weise Mann mit dem Bart verinnerlicht, der uns mit Geboten und vor allem Verboten den Spaß verdirbt. Aber so oder so: heißt das, dass das sprichwörtliche schlechte Gewissen nichts anderes ist als eine Form des Übersteigerten „Über-Ichs“ im Sinne Sigmund Freuds? Das würde erklären, warum der Begriff, meiner Erfahrung nach, einen zwiespältigen Ruf genießt.
Gewissensfreiheit, das klingt sympathischer. Sie basiert auf dem Verständnis, dass wir als Menschen fähig sind, uns in einem individuellen Akt dafür zu entscheiden, was wir für zutiefst richtig halten. Auch wenn die Mehrheit um uns anderer Meinung ist, oder auch, wenn uns daraus Nachteile entstehen können. Das darüber Nachdenken und Abwägen, was in einer bestimmten Situation oder auch für eine wiederkehrende Routine (und sei es der jährliche Flug in den Urlaub) das moralisch Richtige ist, geschieht im Rahmen eines bewussten Prozesses unserer Eigenverantwortung. Was das moralisch Richtige ist, darüber können sich zwei Menschen trefflich streiten, umso mehr, wenn eine Frage nicht vom Recht her schon einigermaßen stabil normiert ist. Man denkt an all die Fragen der Umwelt-, Tier-, Wirtschafts-, Medizinethik usw. Aber es wäre ihnen gemein, dass sie beide nach dem moralisch Guten streben, während eine dritte Person dazu generell indifferent ist.
Das Gute zu wollen hat eine Kontinuität in unserem Leben, wenn es einmal die Grundentscheidung dazu gab. Was wir aber praktisch als das Richtige erkennen und tun wollen, unterliegt unserem Wissensstand über die sicheren, wahrscheinlichen oder möglichen Folgen unseres Handelns. Viele ethische Güterabwägungen brauchen Updates. Oder anders gesagt: aus dem Willen zum Guten allein folgt noch nicht das richtige Handeln.
Wir betonen meist die Gewissensfreiheit, vergessen aber nur zu gern auf die Gewissensbildung. In Bildungsreformpapieren liest man zu ihr natürlich nichts. Eine innere Stimme mag man schon hören, jedoch kommt es auf unsere sozialen Bindungen, Erfahrungen im Leben und unser Wollen an, dass sie zu einem gebildeten kompetenten Gewissen heranreifen kann. Mit dem gebildeten Gewissen kommt schließlich der Mut. Mit ihm treffen wir Entscheidungen, für uns, eingebunden in unsere Beziehungen, aber notfalls allein. Manchmal gegen den Mainstream, gegen den Strom. Dann ist der Weg des Gewissens kein Egoismus und keine billige Abkürzung. Und hoffentlich kein Spaßverderber, sondern Einklang mit uns selbst.
Dr. Andreas Schmoller ist Leiter des Franz und Franziska Jägerstätter Instituts an der Katholischen Privat-Universität Linz.
OÖN, 5. April 2025, Magazin, Seite 5
Der Internationale Tag des Gewissens wurde 2019 von den Vereinten Nationen ausgerufen und wird jährlich am 4. April gefeiert. Ziel dieses Tages ist es, eine Kultur des Friedens zu fördern und das Bewusstsein für die Bedeutung von Menschenrechten und Grundfreiheiten zu schärfen.
5.4.2025/HE