Thomas-Akademie 2024: Bruckner! Eine Lecture Performance.

Schon als traditionell kann das Format der Thomas-Akademie an der Katholischen Privat-Universität gelten. Und von großer, vor allem auch regional gelebter Tradition ist das Œuvre Anton Bruckners. Alles andere aber als einen traditionellen und herkömmlichen Zugang zu Werk und Leben Bruckners eröffneten am 21. März 2024 Markus Poschner, Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz, und Norbert Trawöger, dessen künstlerischer Direktor und Leiter der KulturEXPO "Anton Bruckner 2024". Auf Einladung des Diözesanbischofs, der KU Linz und des Bischöflichen Priesterseminars der Diözese Linz nahmen sie in der Aula der Universität das zahlreich erschienene Publikum auf eine Hör-Reise mit, die neue Horizonte des Verstehens aufschlug.

"Rätsel, Brüche, Querstände" kennzeichnen Bruckners Leben und Werk, so eröffnete Markus Poschner nach der Begrüßung durch Rektor Christoph Niemand den Abend. Und er schloss gleich das Bekenntnis an, keine letzten Antworten geben zu können – dies auch nicht zu wollen: denn absolute Erklärungen, Definitionen und Determinationen können Kunst nicht gerecht werden.

In Form einer lebendigen Doppelconférence, in der durch Expertise und Kennerschaft hindurch Begeisterung und Faszination zum Ausdruck kamen, die sich auch auf das Publikum übertrugen, zeichneten Markus Poschner und Norbert Trawöger Bruckner als "ewig lernende, suchende Figur". Aus ländlichem Umfeld stammend, hochbegabt, aber sicher kein "Wunderkind", nachhaltig geprägt von der Zeit in St. Florian, als Komponist konfrontiert mit zum Teil radikaler Ablehnung: Bruckners Leben und Schaffen seien geprägt von tiefen Krisen, aus denen er sich immer wieder "freileben" musste. Gerade die Ambivalenzen und Widersprüche haben zu späteren Vereinnahmungen und Instrumentalisierungen geführt, vor allem im Dritten Reich.

Energischer Einspruch zu erheben sei insbesondere gegen das "verheerende Klischee" vom "Musikanten Gottes". Bruckners Schaffen sei nicht "verlängerter Arm der Kirchenmusik". Und auch wenn er sehr wenig Konkretes über sein Werk gesagt habe, sei doch unzweifelhaft, dass er selbst sich ab Mitte der 1860er Jahre als "Symphoniker" etablieren und als solcher wahrgenommen werden wollte. Doch diese "Vision seiner selbst" drohte zu einem Fiasko zu werden.

Aus Hörbeispielen der 3. Sinfonie in d-Moll – darin eingebettet eine kurze Geschichte der sinfonischen Form und immer wieder Bezüge zu Bruckners Vorbildern, namentlich Beethoven – entwickelte Markus Poschner ein Tiefenverständnis für Motive, Themen und Elemente, das nicht nur Bruckners ungemein moderne Arbeitsweise erschloss, sondern seine "musikalische Mission" erahnen ließ. Schon an seiner 1. Sinfonie sei "nichts eine Sinfonie" gewesen, und diese Radikalität erkläre auch die massive zeitgenössische Ablehnung der 3. Sinfonie, gewidmet Richard Wagner, den Bruckner zutiefst verehrte. Als höchst experimentelle Sinfonie habe sie ein Misserfolg geradezu werden müssen, denn sie lief gegen alle damaligen Hörgewohnheiten – mit ihrer Länge, den Pausen, Abrissen und Aufbrüchen.

Doch mit Poschner und Trawöger lernte man hinhören und verstehen: was im vermeintlich "schablonenhaften Komponieren" eigentlich zum Ausdruck kommt; wie Bruckner mit Zeit und Tempo verfährt; wie er in serieller Technik – eigentlich erst 50 Jahre später angewandt – eine Atomisierung und Individualisierung von Tönen vornimmt als "Durchschreiten des Tonraums der hörbaren Welt"; wie er vorderhand Unvereinbares zusammenbringt: Polka, Wirtshaus, Choral – und dazu noch den "Liebestod" aus Wagners "Tristan und Isolde". Dass Eduard Hanslicks zeitgenössisches Urteil, Bruckner sei als Komponist "ein Anarchist", seine Durchdringung und elaborierte Organisation des Stoffes völlig verkennt, werde oft überhaupt nur in der Partitur sichtbar: Im 3. Satz der 3. Sinfonie etwa "invertiert" Bruckner den 1. Satz und zeige darin eine handwerklich-konstruierende Technik, wie sie eigentlich erst bei Alban Berg auftritt.

Durch die Wege und Umwege der Aufführungs- und Interpretationspraxis wurde bei Bruckner manches verschüttet. Selbst an seinen eigenen klaren Anweisungen in der Partitur wurde lange vorbeigespielt; man glaubte es besser zu wissen: "So spielt man Bruckner nicht!" Gerade das Bruckner Orchester Linz sehe es als Aufgabe, hier neue Perspektiven zu eröffnen und näher an das Werk zu führen – nicht verstanden als "Deutungshoheit", sondern als fundierte, kritische Auseinandersetzung.

Ein Dirigent sei, so Markus Poschner, "Textdeuter", denn nicht alle Spielarten und Sinnebenen lassen sich in eine Partitur übersetzen noch auch aus dieser herauslesen. Man finde vielmehr immer wieder neue und andere Wahrheiten. Sind es die "Wahrheiten Bruckners", die "absoluten Wahrheiten" des Stücks? Aber geht es bei Kunst denn eigentlich um diese? Partituren seien vielmehr Landkarten "zum eigenen Herzen": Denn Hörer und Hörerinnen seien das wahre Medium der Kunst, in dem immer konkret und individuell Wahrheiten entstünden.

Im Schlusswort strich Rektor Christoph Niemand die Parallele zur Auseinandersetzung mit Texten und Werken der bildenden Kunst heraus. Wirklich sei Musik nur im Vollzug – und das sei auch bei biblischen, philosophischen und literarischen Texten und bei Kunstwerken der Fall: Es sei die immer wieder aktualisierte Kommunikation, in der etwas entsteht. Ohne sie bleiben Texte wie Kunstwerke wirkungs- und bedeutungslos.

Zum Thema
Heft 1/2024 "Musik" der Theologisch-praktischen Quartalschrift widmet sich dem Verhältnis von Musik und Religion; ein Beitrag fragt inbesondere nach der Religiosität Anton Bruckners. Daran wird ein Quartals.Gespräch im Rahmen der Langen Nacht der Kirchen am 7. Juni 2024 (20:00 Uhr) anknüpfen.   

22.3.2024/RK/HE