Stellungnahme von Rektor Niemand zur Skulptur crowning.

Anlässlich des 100-jährigen Weihejubiläums des Mariendoms setzt sich das Projekt DonnaStage in Kunstinstallationen, Workshops und Diskussionen mit Fragen rund um Frauenrollen, Familienbilder und Geschlechtergerechtigkeit auseinander. Die Skulptur crowning der Künstlerin Esther Strauß, die seit 27. Juni im Rahmen der Künstlerischen Positionen im Kunstraum des Mariendoms zu sehen war, wurde in einem Vandalismusakt zerstört. Der Rektor der Katholischen Privat-Universität Linz nimmt Stellung.

Andachtsbild?

Von mehreren Seiten wurde ich ersucht, als Rektor der Katholischen Privat-Universität Linz eine Stellungnahme zum Fall der zerstörten "Dritten Maria" abzugeben.

Tatsächlich gibt es eine Reihe von Gründen, die eine Reaktion von offizieller Seite der KU Linz als angebracht erscheinen lassen können, unter anderen folgende:

  • Unsere Universität betreibt Theologie und sie betreibt Kunstwissenschaft. Sowohl das Kunstwerk selbst als auch seine Rezeption stehen mitten im Spannungsfeld dieser beiden Fachbereiche.
  • Einer der gesamtuniversitären Forschungsschwerpunkte unserer Universität nennt sich „Diskurse der Öffentlichkeit“. Sowohl das Kunstwerk selbst als auch die breitgestreuten Reaktionen wie schließlich die kriminelle Tat bewegten und bewegen gleich mehrere kirchliche und säkulare Öffentlichkeiten in einer Intensität, wie wir es seit Längerem nicht mehr gesehen haben.
  • Die Veranstaltungsreihe DonnaStage macht den Kunstraum im Linzer Mariendom zum Aushandlungsort für Fragen nach Familienbildern, Frauenrollen und Geschlechtergerechtigkeit. Für die Kuratierung dieser Reihe sind Mitarbeiterinnen und Absolventinnen der KU Linz zu einem wesentlichen Teil mitverantwortlich.

Die Themenbereiche, die eine Stellungnahme von offizieller Seite der KU Linz bearbeiten könnte, sind unterschiedliche, unter anderen folgende:

  • Die Frage nach Bedeutung und Grenzen der Freiheit von Kunst.
  • Die Frage, welchen Formen und welchen Positionen von Kunst die Kirche in ihren eigenen Räumen eine Forum bieten soll.
  • Die Frage nach der Valenz des Rekurses auf die „Verletzung religiöser Gefühle“:  Kann ein Kunstwerk oder ein Diskurs alleine daraufhin tabu gestellt werden? Und falls ja, ab welchem Grad von Öffentlichkeit dieses Kunstwerks?
  • Die Frage, inwieweit die feministische Erinnerung an die (simple) Tatsache, dass (nur) Frauen Menschenkinder gebären (können), den bisherigen Kanon marianischer Ikonographie legitimerweise herausfordert und erweitert.
  • Die Frage, ob es aus den Glaubensquellen der Kirche heraus – Bibel, lehramtliche Äußerungen, Frömmigkeitstradition und gegenwärtige „Zeichen der Zeit“ – Anlass und Anstoß gibt, in Meditation, Mystik und religiöser Kunst sich dem heilsgeschichtlichen Ereignis „Maria-hat-Jesus-geboren“ über dessen bloße Faktizität hinaus näher zu widmen. Die dogmatische Tradition nennt Maria ja nicht bloß Gottesmutter, sondern in spezifischer Weise „Gottesgebärerin“. Wenn dies spirituell vertieft wird, zu welchen Vorstellungsbildern, zu welchen „Andachtsbildern“ führt dies?

Von mancher Seite wurde unter Hinweis auf den Glaubenssatz von der „virginitas in partu“ (Jungfräulichkeit Mariens im Akt der Geburt) Einspruch gegen die Darstellung der Geburt Jesu durch Maria vorgetragen: Die Geburt Jesu durch Maria wäre keine „normale“, sondern eine „übernatürliche“ gewesen, deshalb widerspreche das Kunstwerk dem lehramtlich vorgelegten katholischen Glauben. Im Hinblick auf diesen Einwand gibt es spezielle Themen zu klären, unter anderen folgende:

  • Die dogmen-hermeneutische Frage, welchen Rang die Aussage von der „virginitas in partu“ in lehramtlichen Formulierungen eigentlich einnimmt, ist ernstlich zu stellen: Handelt es sich dabei um selbständige Aussagen, die eben diesen topos als Glaubensgut vortragen, oder ist die „virginitas in partu“ nicht eher ein frömmigkeitsgeschichtlicher „Beifang“ inmitten lehramtlicher Entscheidungen, die auf eine davon  unberührte Aussage abzielen? [1]
  • Und auch jenseits dieser methodologischen Frage: Was würde denn die „virginitas in partu“ im Hinblick auf unsere Vorstellungen vom faktischen Vorgang der Geburt Jesu durch Maria überhaupt hergeben? Eine Art von mirakulösem Kaiserschnitt ohne Chirurgie? Ein wundersames „Aufploppen“ des Jesuskindes außerhalb des Leibes Mariens? – Solche Vorstellungen sind in der Sache ungute, jedenfalls aber apokryphe Phantasien, die lehramtlich keineswegs gedeckt sind![2]

Ich halte es für wichtig, diese Diskursfelder genannt zu haben, auch wenn meine Stellungnahme sie im Weiteren nicht vertiefen wird. Stattdessen will ich vielmehr einen Erfahrungsbericht von meiner Begegnung mit der „Dritten Maria“ im Kunstraum des Linzer Mariendoms geben. Es handelt sich in der Folge also um meine persönliche Reflexion als Christ, Theologe, (mäßiger) Marienverehrer, (Ehe)Mann und – nicht zuletzt – Vater, den seine Anwesenheit bei zwei völlig unterschiedlich verlaufenen Geburten bescheiden gemacht hat gegenüber Frauen, die geboren haben.

Die von der Künstlerin Esther Strauß konzipierte „Dritte Maria“ wurde am Abend des 27. Juni im Kunstraum des Linzer Mariendoms (Turmkapelle Nord) präsentiert. Ich selber habe sie am darauffolgenden Sonntag, 30. Juli dort gesehen. Am frühen Vormittag des darauffolgenden Montag, 1. Juli wurde die Skulptur „enthauptet“ und war dann in dieser Form bis zum Ende der geplanten Ausstellungszeit nur noch von außerhalb des Kunstraums durch die Glastüren hindurch sichtbar.

Somit darf ich mich glücklich schätzen, zu den insgesamt nicht allzu zahlreichen Personen zu gehören, die mit dem (noch unzerstörten) Kunstwerk in seinem ursprünglichen räumlichen Setting in Ruhe interagieren konnten.

Die Figur evozierte in mir sofort die Erinnerungen an die Geburten meiner beiden Kinder. Die erste: eine „natürliche“ Geburt; viele Stunden lang; aber schließlich einfach nur pures Glück. Die zweite: aufgrund Risikofaktoren ein geplanter Kaiserschnitt; im Vorfeld und im Anschluss pure Sorge um Mutter und Kind.

Als ich den Kunstraum in der Turmkapelle betrat, nahm ich instinktiv jene Position ein, die mir damals bei der ersten Geburt von Hebamme und Frauenärztin zugewiesen wurde: links auf Kopfhöhe der Gebärenden. Nach wenigen Momenten dachte ich aber auch daran, wo bei der zweiten Geburt mein Platz war: vor dem OP darauf wartend, dass meine Frau in den Aufwachraum verbracht wurde und ich, begleitet von der OP-Assistenz, durch einen dystopisch wirkenden unterirdischen Gang mein Kind im Inkubator von der Frauen- in die Kinderklinik schob. (Dies alles aus meiner – relativ unerheblichen – Perspektive als Vater.)

Nach einigen Minuten wagte ich es, die Figur einmal zu umrunden. Die Corona – die im Moment, da der Kopf des Kindes auszutreten beginnt, kreisrund geweitete Vulva – wollte ich nicht länger betrachten, sondern ging gleich weiter und wieder an meinen ursprünglichen Platz zurück. Ich war aber nicht unfroh, im geschützten Kunstraum diesen (für mich durchaus verstörenden) Blick gemacht zu haben.

Wieder links auf Kopfhöhe der Figur stehend kamen dann in einer zweiten Assoziationswelle nunmehr theologische, spirituelle, marianische Gedanken. Als professioneller Neutestamentler weiß ich, dass die Geburtsgeschichten der Evangelien zur literarischen Gattung der Kindheitslegenden gehören, deren historische Faktenreferenz kaum nachvollziehbar ist. Gerade deshalb laden sie aber auch dazu ein, auf ihrer Basis „frommen“ Assoziationen Raum zu geben: Wie wäre denn diese Geburt unterwegs in jenem berühmten Stall verlaufen? War der Heilige Josef der alleinige – wahrscheinlich überforderte – Geburtshelfer? War es denn eine leichte Geburt, wie manchmal phantasiert wurde, oder nicht doch eher – im Vorgriff auf jenes Schwert, das später Mariens Seele durchbohren sollte (vgl. Lk 2,35) – eine ganz harte? Und war die postpartale Situation dann vielleicht wirklich von jenem unglaublichen Glücksgefühl geprägt, in dem Maria und Josef wähnten, Gottes Engel Wiegenlieder singen zu hören? Wir wissen es nicht. Aber wir dürfen bei Gedanken wie diesen andächtig verweilen. Denn eines ist ganz sicher: Maria hat Jesus geboren!

Im freudenreichen Rosenkranz sprechen Katholik:innen nach den biblischen Begrüßungen und Lobpreisungen Mariens u. a. das Gesätzchen „ … den du, o Jungfrau, zu Betlehem geboren hast“. Ich sage dies, wenn es dazu kommt, durchaus gern mit. Nach der Begegnung mit der Dritten Maria umso lieber und nun mit persönlichen Erweiterungen. Und überdies ist mir jetzt auch die demgegenüber drastischere Formulierung des Apostels Paulus aus dem Galaterbrief noch eingängiger geworden:

Als aber gekommen war die Fülle der Zeit,
sandte Gott seinen Sohn,
     geboren aus einer Frau (heraus)
(γενόμενον ἐκ γυναικός),
     geboren unter die Gesetzmäßigkeiten (dieser Welt) (hinein) (γενόμενον ὑπὸ νόμον),
damit er die herauskaufe, die unter diesen Gesetzmäßigkeiten stehen,
und damit wir den Status von Söhnen und Töchtern erlangen
(Gal 4,4-5, eigene Übersetzung).

In der theologischen Bildtheorie unterscheidet man zwischen Kultbild und Andachtsbild. Mit Kultbildern, z. B. Ikonen, werden unmittelbar religiöse Riten vollzogen. Die Funktion von Andachtsbildern ist niederschwelliger: Sie wollen Andacht generieren, das An-Denken hin auf die durch sie evozierten heilsgeschichtlichen Mysterien. Als Kultbild war die Dritte Maria nie konzipiert. Ein Andachtsbild ist sie für mich aber sehr wohl geworden. (Das haben übrigens nicht allzu viele marianische Darstellungen bisher geschafft.)

Christoph Niemand

17.7.2024/HE

 

[1] Eine rasche Durchsicht der primär einschlägigen Formulierungen des 5. Ökumenischen Konzils von Konstantinopel aus dem Jahr 553 (Denzinger/Hünermann Nr. 422; 427; 437) lässt dies als durchaus angezeigt erscheinen.

[2] Die zuvor genannten Stellen aus Denzinger/Hünermann geben solches auf keinen Fall her, ebenso wenig ebd. 291; 368; 442; 571; 748. – Deutlich erklärt der Katholische Erwachsenen-Katechismus (Das Glaubensbekenntnis der Kirche), hg. von der Deutschen Bischofskonferenz, Kevelaer u.a. 1985, 177, dass das Dogma von der Jungfräulichkeit in der Geburt „leider … im Anschluss an apokryphe Schriften oft zu unangemessenen Überlegungen über die Art der Geburt Jesu verleitet“. Demgegenüber: „Nicht der physiologische Vorgang der Geburt war anders;  vielmehr war dieses Geschehen vom personalen Mitvollzug her ein Zeichen des Heils und des Geheiltseins des Menschen. Die Tradition spricht deshalb von der Freude Marias bei der Geburt ihres Sohnes. Das alte Marienlied ‚Ave maris stella‘ (9. Jh.) nennt sie die ‚felix caeli porta‘, die ‚glückselige Pforte des Himmels‘“.

Frauenbilder im Mariendom. Ausgehend von einem interdisziplinären Seminar starteten Univ.-Prof.in  Anna Minta (Architekturgeschichte) und Univ.-Ass.in Martina Resch (Theologie) im Wintersemester 2019/20 gemeinsam mit Studierenden der KU Linz das Projekt "Frauenbildern im Mariendom". Mit der Veranstaltungsreihe "DonnaStage" - als dritte Projektphase" - werden anlässlich des Weihejubiläums "100 Jahre Mariendom" im Jahr 2024 die feministischen Interventionen im Dom fortgesetzt. Der misogyne Angriff auf das Kunstwerk "crowning" von Esther Strauß wird seitens des Teams der DonnaStage auf das Schärfste verurteilt. Lesen Sie hier eine umfangreiche Stellungnahme in Form von "Frequently Asked Questions" zu den Ereignissen.