Rektor Christoph Niemand zum Tod von Papst em. Benedikt XVI.

Der emeritierte Papst, Benedikt XVI., ist am letzten Tag des Jahres 2022 gestorben.

Eine angemessene Würdigung und Kommentierung seines Pontifikats (2005-2013) – zu dem auch die seit dem Mittelalter erstmalige Entscheidung zum Rückzug eines Papstes vom Amt des Petrusdienstes und seine darauffolgende Existenz als papa emeritus (2013-2022) gehören – kann und soll hier ebenso wenig geleistet werden wie eine Beurteilung der Bedeutung von Joseph Ratzinger für die Geschichte der Theologie des 20. Jahrhunderts, die er durch seine Beiträge zu den Erklärungen des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) und seine Tätigkeit als Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation (1982-2005) tiefgreifend mitprägte.

Nachrufe finden sich unter anderem auf den Seiten der Diözese Linz sowie vielgestaltig auf kathpress.at. Der Großkanzler der Katholischen Privat-Universität Linz, Bischof Dr. Manfred Scheuer, findet bemerkenswert offene – und gleichzeitig persönlich nahegehende – Worte. Nachzulesen hier.

Das Ableben eines – wenn auch emeritierten – Papstes evoziert in mir, in meiner Rolle als Rektor dieser Universität, "institutionelle" Gedanken: Unsere Universität ist keine Einrichtung der Republik Österreich und keine Dienststelle der Diözese Linz. Sie ist nicht – wie bei Privatuniversitäten häufig – von einer Stiftung oder einer GmbH getragen. Auch die Tatsache, dass die KU Linz durch vom Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung approbierte Bescheide einer Qualitätssicherungs-Agentur als Privatuniversität gemäß österreichischen Recht (re)akkreditiert ist, ändert nichts daran: Die KU Linz ist in ihrer primären institutionellen Begründung eine durch den "Heiligen Stuhl" errichtete wissenschaftliche Einrichtung. Die akademischen Grade ihrer kanonischen Studien werden im Namen des jeweils "dienenden" Papstes verliehen.

Was aber bedeutet dieser Status? Ein Mehr an Freiheit … oder ein Mehr an Bindung? Die Alternative wird zwar oft so formuliert, sie ist aber nicht zutreffend. Staatliche Wissenschaftspolitik, so wie sie an der institutionellen Basis normalerweise als kontraproduktive Bildungs(Über)Administration ankommt, habe ich in den dreieinhalb Jahrzehnten meiner institutionellen Tätigkeiten an der KU Linz meist als nervtötend und lähmend erlebt. Wäre dann aber der Status einer (ausgerechnet) vom Papst gegründeten Universität – umgekehrt – die Garantie für Freiheit von sachfremden Zwängen in Forschung und Lehre? Zwar versuchen wir an der KU Linz tatsächlich, unsere spezifische Nischen-Existenz als Chance für wissenschaftliche Beweglichkeit und strategische Innovationsfreude zu begreifen, aber natürlich wäre es dumm zu sagen "frei, weil päpstlich".

Wie ist das also, mit der Wissenschaftsfreiheit einer päpstlichen Universität angesichts ihrer Bindung an den Glauben und die Lehrtradition der Kirche? Der verstorbene Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. hat die Position hochgehalten, dass Glauben und Wissen einander (letztlich) nicht widersprechen (können), sondern sich wechselseitig voranbringen (sollen). Dieses fundamentaltheologische Axiom war für ihn begründet in einer Metaphysik, die Sein und Erkennen umgreift und aneinander bindet, und in einem Glaubensverständnis, demzufolge die Inhalte der Offenbarung bei aller historischen Kontingenz ihrer Formulierung im Letzten nicht als ("bloße") soziokulturelle Konstrukte dekonstruiert werden können (und dürfen). Vielmehr begegne uns in der von der Kirche bezeugten Gottes-und-Jesus-Christus-Rede etwas, dem eine Wirklichkeit außerhalb ihrer selbst entspricht, ein Wort vor unseren Diskursen; ein extra nos, das im Letzten ein pro nobis sei.

Für ein solches Verständnis hat der Theologe Joseph Ratzinger argumentiert. Als Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst hat er es auch zur Richtschnur seines kirchen- und theologiepolitischen Agierens gemacht. Positionen, die er als dieses Verständnis unterlaufend einschätzte, bekämpfte er auch unter Einsatz von kirchenpolitischen und disziplinären Machtmitteln. Dass er den Positionen, die er glaubte bekämpfen zu müssen, in der Sache aber nicht (immer) (voll) gerecht wurde, ist ein Eindruck, dem man sich schwerlich entziehen kann.

Was bleibt für die zuvor gestellte Frage nach Freiheit und Bindung der Wissenschaft an einer katholischen Universität wie der unseren? Ich beginne so: Wissenschaft ist immer gebunden. Gebunden an das stärkere Argument im Diskurs, an den Vorrang der besseren Einsicht, die immer noch vor uns liegt. Und: Wissenschaft muss frei sein, d.h. frei gehalten werden. Frei von sachfremden Vorgaben; sachfremde Vorgaben können aber vielgestaltig sein: machtförmig, aber genauso marktförmig; autoritär, aber genauso "a là mode"; dem Egoismus (oder gar Autismus) einzelner Akteur:innen geschuldet, aber genauso der Parteiendynamik von fachlichen Netzwerken und Schulen folgend.

Das Verhältnis von Freiheit und Bindung ist für universitäre Wissenschaften in der gelebten Praxis also ein unabschließbar auszuhandelnder Prozess. Und das Axiom (!), dass (christlich-religiöser) Glaube und (wissenschaftlich generiertes) Wissen einander nicht (wirklich) widersprechen (können), kann dabei als Richtschnur dienen. Nicht so, dass eine Seite der jeweils anderen diktieren dürfte, was Sache ist. Sondern so, dass jede Seite um die eigene Begrenztheit weiß und sich selbst eine Konsultationspflicht bei der je anderen ins Pflichtenheft schreibt.

Ich hoffe, auf diese Weise dem inneren Anliegen und dem faktischen Wirken von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. wenigstens im Ansatz gerecht zu werden. Und in christlicher Geschwisterlichkeit, die die Liebe des Verstorbenen zur lateinischen Tradition aufgreift, sage ich: In paradisum deducant te angeli, in tuo adventu suscipiant te martyres, et perducant te in civitatem sanctam Ierusalem. Chorus angelorum te suscipiat, et cum Lazaro, quondam paupere, æternam habeas requiem. (Dabei habe ich die Vertonung von Gabriel Fauré im Ohr, von der ich weiß, dass er sie genauso liebte, wie ich sie liebe.)

Christoph Niemand, Rektor

PostScriptum.

Das Stichwort "Konsultationspflicht" aus dem vorletzten Absatz ist der Ankündigung der nächsten Veranstaltung unseres KU_biläums entnommen. Sie und die darauffolgende dokumentieren, wie sehr – und wie eigenständig – auch die Fakultät für Theologie dieser Universität an der Sache arbeitet, um die Joseph Ratzinger zeitlebens rang:

Am 11. Jänner 2023 macht sich Prof. Ulrich Lüke (Aachen) Gedanken zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften. Und am 24. Jänner 2023 diskutieren unsere Kollegin Isabella Guanzini und Bischof Manfred Scheuer, ob nicht gerade "Katholizität" als symbolische Ressource für eine plurale Öffentlichkeit der Zukunft taugt. Nährere Infos dazu finden Sie hier.

02.01.2023/CN/HE