Regelbruch & öffentliche Empörung. Michael Rosenberger im OÖN-Interview.

"Es ist richtig, dass Regelbrechern öffentliche Empörung entgegenschlägt" titelt der Beitrag in der heutigen Ausgabe der OÖN. Michael Rosenberger, Professor für Moraltheologie an der Katholischen Privat-Universität Linz, spricht im Interview mit Renè Laglstorfer über den dauerhaften Fernunterricht, sein neues Buch "Was der Seele Leben schenkt" und wie er als Priester das Alleinsein erlebt.

Sie schreiben in Ihrem Buch von Corona als "tiefem Einschnitt in die Weltgeschichte, dessen Folgen wie im Moment noch nicht ansatzweise erahnen können". Womit rechnen Sie?
Wir ahnen bereits, dass nach der Krise vieles anders sein wird. Wir werden nicht mehr zurückkehren zum Arbeitsmodell, bei dem Homeoffice selten ist. Wir haben gesehen, dass Urlaub auch in näherer Entfernung schön sein kann. Das könnte man für viele Bereiche durchbuchstabieren. Wir leben quasi in einem Labor. Manches ist schmerzlich. Aber nach Corona werden wir vieles wieder dankbarer und bewusster erleben und zu so manchem auch gar nicht mehr zurückkehren wollen.

Wie erlebt ein Uni-Professor den dauerhaften Fernunterricht?
Spannend ist, dass meine Studierenden viel häufiger am Unterricht teilnehmen – fast zu 100 Prozent. Ich deute das so, dass die Ablenkung durch abendliche Besuche in Lokalen fehlt. Viele sind besser vorbereitet als vorher. Man muss auch das Positive dieser Zeit sehen. Dennoch wünsche ich mir nicht, dass der Lockdown bleibt.

Wie schmal ist der Grat zwischen der persönlichen Freiheit und der Vorbildwirkung von Politikern und Lehrern, die ohne Schutzmaßnahmen an Demos oder Spaziergängen teilnehmen?
Jeder – unabhängig von seinem Beruf – muss seine Überzeugung öffentlich äußern dürfen. Das heißt nicht, dass man die Hygieneregeln, gegen die man demonstriert, nicht einhalten muss, weil damit andere gefährdet würden. Je größer die Führungs- und Verantwortungsposition, desto genauer sind die Regeln einzuhalten.

Einige Bürgermeister "drängeln" sich beim Impfen vor. Warum gelingt es manchen nicht, die eigenen Interessen zugunsten anderer zurückzustellen?
Es liegt in unserer Natur, dass wir auf uns schauen. Aber wir müssen unseren Verstand einschalten und dürfen nicht dem Impuls unserer Gefühle folgen. Es ist richtig, dass Regelbrechern öffentliche Empörung entgegenschläft, weil sie die Regeln unterminieren. Wenn das Schule macht, haben wir Chaos. Die Stärksten wären dann als Erste geimpft. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Zuerst müssen die Schwächsten geimpft werden. Sanktionen sind richtig. Menschen sind bereit, das eigene Interesse zurückzustellen, wenn das andere auch tun.

Erlebt das Denunziantentum gerade eine neue Blüte?
Denunziation hat in totalitären Systemen Platz, nicht im Rechtsstaat. Wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, dass gravierend gegen Hygienemaßnahmen verstoßen wird, ist es berechtigt, das zu melden. Wir haben eine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft, von einem Superspreader-Event haben wir alle nichts.

Ihre Heimat Deutschland empört sich über die offenen Skipisten und das Ende des Lockdowns bei uns. Aber braucht es nicht auch Erleichterungen angesichts der psychischen Folgen?
Empörung habe ich nicht wahrgenommen, aber Unverständnis. Aufgrund der unterschiedlichen Kultur und Mentalität würde das Schließen der Skipisten mit den Österreichern etwas anderes machen als mit den Deutschen. Jedes Land darf eigene Akzente setzen. Mit den Mutationen erleben wir eine unglaubliche Dynamik, mit der sich das Virus anzupassen versucht. Wir wissen alle nicht, wie sich die Öffnungsschritte in den nächsten Wochen auswirken. Zur Psyche: Ältere kommen mit der Krise besser zurecht als Jüngere, weil sie in ihrem Leben schon andere Schwierigkeiten bewältigt haben. Das Wichtigste, das wir den Kindern geben können, ist innere Stabilität und Geborgenheit. Wenn ich mich auf den Zusammenhalt in der Familie verlassen kann, komme ich viel besser durch die Krise.

Wie ergeht es Ihnen als Priester mit der Einsamkeit?
Die Psychologie unterscheidet zwischen Allein- und Einsamsein. Ich lebe allein, ja. Aber ich fühle mich überhaupt nicht einsam, weil ich viele Kontakte über Telefon und Videokonferenzen habe. Das Spannende an der Einsamkeitsforschung ist: Für das subjektive Erleben der Einsamkeit ist es nicht entscheidend, ob man allein lebt oder in der Familie. Auch ein Familienvater kann sich sehr einsam fühlen. Das ist mehr von Persönlichkeitszügen abhängig. Ich komme jedenfalls gut durch diese Zeit.

Quelle: OÖ Nachrichten, 11.2.2021, Seite 29.

Michael Rosenberger
Was der Seele Leben schenkt.
Spiritualität aus Erde
Würzburg 2021
ISBN 978-3-429-05590-5


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