Maximilian Aichern-Vorlesung: Sozial gerechte(s) Strafen.
Das Strafrecht fungiert als Mittel der Sozialkontrolle mit einer primär repressiven Ausrichtung, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Es stellen sich jedoch Fragen der sozialen Gerechtigkeit: Wird die Strafbarkeit unabhängig von Armut oder Ressourcenmangel fair gehandhabt? Und ist überhaupt ein möglichst gleicher Zugang zum Recht für verschiedene gesellschaftliche Gruppen gewährleistet? In seinem Abendvortrag im Rahmen der Maximilian Aichern-Vorlesung diskutierte solche Fragen Alois Birklbauer, Universitätsprofessor am Institut für Strafrechtwissenschaften und Leiter der Abteilung für Praxis der Strafrechtswissenschaften und Medizinstrafrecht an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), mit dem interessierten Publikum an der KU Linz.
Geldstrafe versus Freiheitsstrafe
Grundsätzlich ist das geltende Strafgesetzbuch, so der Jurist, bei den strafrechtlichen Sanktionen vom Gedanken sozialer Gerechtigkeit getragen, insofern die Geldstrafe die Hauptsanktion für leichte und mittelschwere Kriminalität sein soll. Dabei wird in einem ersten Schritt die schuldangemessene Anzahl von Tagessätzen festgelegt, ohne dass soziale Aspekte eine Rolle spielen. Arme und reiche Rechtsbrecher:innen werden insofern gleich behandelt. In einem zweiten Schritt wird die jeweilige Höhe des Tagessatzes ausschließlich nach sozialen Aspekten bestimmt, wobei ein Tagessatz zwischen 4 und 5.000 Euro liegen muss. Eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten entspricht 360 Tagessätzen Geldstrafe. Das bedeutet für Straftäter:innen, die am Existenzminimum leben, 1.440 Euro, für sehr reiche Straftäter:innen dagegen 1,8 Mio Euro. Damit soll die Wirkung einer Geldstrafe für arm und reich gleich spürbar sein.
In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Zahl der Geldstrafen jedoch drastisch verringert, sodass vom Konzept des Vorrangs der Geldstrafe nur mehr wenig übrig geblieben ist.
Alternative Sanktionen?
Das Strafen kann hierzulande also durchaus noch gerechter werden. Soziale Notlagen beeinflussen nämlich nicht nur die Strafbarkeit, sondern auch die Höhe der Strafe. Birklbauer suchte in seinem Vortrag nach Gründen für den Rückbau der Geldstrafe und ging der Frage nach, ob es für sozial schwache Straftäter:innen nicht alternative Sanktionen zu Freiheitsstrafen geben sollte, um sie nicht weiter sozial zu entwurzeln. So wäre beispielsweise die Erbringung gemeinnütziger Leistungen eine Möglichkeit. Die Einführung der Diversion (freiwillige Geldbuße oder soziale Arbeit) im Jahr 2000 und die Einführung von Ersatzstrafen im Bereich der gemeinnützigen Arbeit im Jahr 2008 haben zur Senkung der Geldstrafen geführt. Trotzdem werden aber, so der Jurist, nach wie vor viele kurze Freiheitsstrafen verhängt, die sozial benachteiligte Menschen stark belasten.
Über die Maximilian Aichern-Vorlesung
Seit dem Studienjahr 2003/2004 findet jährlich eine Gastvorlesung der Arbeitsgemeinschaft "Wirtschaft – Ethik – Gesellschaft" (WiEGe) statt. Der Name "Maximilian Aichern-Vorlesung" drückt das Grundanliegen der Gastvorlesung aus, für das Bischof Maximilian Aichern stets glaubwürdig und engagiert eingetreten ist: die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Möglichkeiten einer christlich-sozialen Gestaltung der Gesellschaft.
Das Thema der heurigen Vorlesung, die im Oktober, Dezember und Januar stattfindet, lautete "Sozialgerechte(s) Strafen". In der Veranstaltung werden ethische und juristische Fragen eng verknüpft, denn einerseits ist für eine gerechte gesellschaftliche Ordnung geltendes Recht und dessen Durchsetzung absolut zentral, andererseits müssen auch soziale Verhältnisse und bestehende Rechtsvorschriften – im Grunde permanent – auf ihren Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit hin überprüft werden. Nach Univ.-Prof. Alois Birklbauer kommen Gerechtigkeitsfragen vor allem auch im Umgang mit Beschuldigten und Opfern im Strafverfahren auf. Seine nächste Vorlesung findet am Donnerstag, dem 5. Dezember 2024 zum Thema "Psychisch kranke Rechtsbrecher:innen als Herausforderung" an der KU Linz ab 14:15 Uhr im Seminarraum 2 statt.
8.11.2024/Sabrina Zöttl, Katja Winkler/HE