Internationaler Kongress: Gefühle als ethische Fingerzeige.

"Gefühle und Ethik" lautete der Titel des 42. Kongresses für Moraltheologie und Sozialethik, der vom 7. bis 10. September 2025 im Bildungshaus Schloss Puchberg in Wels stattfand. Organisiert wurde die Tagung von der KU Linz.

Ob bei Großdemonstrationen zum Konflikt im Nahen Osten oder beim Gedenkgottesdienst nach einem Amoklauf, ob in Debatten zum assistierten Suizid oder zu den großen ökologischen Herausforderungen: Aktuell erleben wir immer öfter, dass sich starke Gefühle in der Öffentlichkeit Bahn brechen und Beachtung beanspruchen. Daher widmete sich der 42. Internationale Kongress für Moraltheologie und Sozialethik, der vom 7.-10. September 2025 im Bildungshaus Schloss Puchberg / Wels stattfand und von rund 90 theologischen Ethiker:innen aus 10 Ländern Europas besucht wurde, dem Thema “Gefühle und Ethik”. Es ist von der theologischen Ethik bislang nur ansatzweise aufgegriffen worden, obwohl Gefühle in anderen Geistes- und Sozialwissenschaften schon seit Beginn des Jahrtausends Aufmerksamkeit finden, so dass man mittlerweile von einem “affective turn” spricht. Dass eine größere Sensibilität für die Gefühle fruchtbare Weiterentwicklungen der Moraltheologie wie der Sozialethik verspricht, wurde auf der Tagung deutlich, vor allem weil sich die diametrale Gegenüberstellung von Vernunft und Gefühl bei näherer Betrachtung keineswegs als plausibel erweist.

Besondere Aufmerksamkeit fand der literarische Einstieg in das Tagungsthema. Katharina Hoffmann, Schauspielerin am Landestheater Linz, und Marianne Heimbach-Steins, Sozialethikerin an der Universität Münster zeigten unter dem Titel “So fallen die Schatten hinter dich” (Helga Schubert), dass die Schwierigkeit, Gefühle ins Wort zu fassen, über die Literatur eine gewisse Lösung erfährt. 

Gemäß der interdisziplinären Ausrichtung der Fächer Moraltheologie und Sozialethik kamen auf der Tagung sodann externe wissenschaftliche Perspektiven zu Wort, nämlich Neurowissenschaften, Politikwissenschaft, Psychologie, Soziologie und Philosophie. Stets kamen die Referierenden in gute und für beide Seiten gewinnbringende interdisziplinäre Gespräche mit den Teilnehmenden. Mehr als deutlich wurde, dass eine angemessene wissenschaftliche Wahrnehmung der Gefühle ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht möglich ist. Auf dieser Grundlage wurde dann die Bedeutung von Gefühlen in unterschiedlichen Handlungsfeldern untersucht: In den Bereichen Bildung, Wirtschaft, Politik und Ethikkommissionen ebenso wie beim individuellen ethischen Entscheiden. Nie fallen Entscheidungen rein rational – doch oft muss man viel Mühe aufwenden, um das den Beteiligten bewusst zu machen.

Ein wichtiger Teil der Tagung sind traditionell die Workshops, die von Nachwuchswissenschaftler:innen gestaltet werden. Hier wurden aktuelle Forschungsprojekte in einer großen Bandbreite vorgestellt. Die Themen reichten von Impulsen der aktuellen Emotionsforschung und Konzepten wie “Sentipensar”, einer Erkenntnistheorie des globalen Südens über Reflexionen zu so unterschiedlichen Gefühlen wie Rache, Empathie, Schuld und religiösen Gefühlen, bis hin zu Fragen der ethischen Relevanz von “Fingerspitzengefühl”.

Das kulturelle Rahmenprogramm des Kongresses führte die Teilnehmenden in den Linzer Dom, wo sie wahlweise die Glasfenster, das Altarraumkonzept, die Eremitenwohnung im Domturm oder den Jägerstätter-Gedenkort entdecken konnten. Viele waren überrascht von der Vielschichtigkeit und Lebendigkeit der Linzer Bischofskirche. Eine Eucharistiefeier mit Bischof Dr. Manfred Scheuer bildete anschließend den liturgischen Höhepunkt der Tagung.

Der Kongress hat gezeigt, dass eine kritische Aufklärung der Gefühle durch die Ethik genauso nötig ist wie die kritische Aufklärung der Ethik durch die Gefühle. Auf dem Feld der theologischen Ethik gibt es also noch einiges zu tun. Einen Baustein wird der Tagungsband liefern, der 2026 erscheinen wird und in dem alle Beiträge des Kongresses nachzulesen sind.

Link zum Tagungsprogramm

Text: Katja Winkler/ Michael Rosenberger. Fotos: Hermine Eder

16.9.2025/HE