A. Schmoller: Gföllners Antisemitismus und der Nationalsozialismus.

Die Stadt Linz hat ihre 1.158 Straßen und öffentlichen Plätze von einer Historikerkommission nach belasteten Namensgebern durchleuchten lassen. Zu 184 Personen wurde recherchiert. Unter den vier Personen, die in der höchsten Kategorie eingestuft wurden, befindet sich auch der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner. Andreas Schmoller, Leiter des Franz und Franziska Jägerstätter Instituts der KU Linz, merkt in einem Kommentar an, dass die Beurteilung Bischof Gföllners mehr Differenzierung verlangt.

Eines vorweg: Die Einstufung Bischof Gföllners im Bericht der Linzer Straßennamenkommission entspricht der Kategorisierung, an der sich die Kommission zu orientieren hatte. Insofern verwundert es nicht, dass die Linzer Diözesanleitung das Projektergebnis zur Kenntnis genommen und darauf verwiesen hat, dass sie sich mit der Person Gföllners — und vor allem mit dessen Antisemitismus — wiederholt auseinandergesetzt hat und dies weiter tun wird. So weit so gut, die Kommission hat ihre Arbeit getan und die Aufregung hält sich in Grenzen! Allerdings: die kurze Aufmerksamkeit, die Medien für die Sache aufbringen, lässt verzerrte Vereinfachungen zurück. Eine davon betrifft die Rolle des katholischen Antisemitismus für die nationalsozialistische Judenverfolgung. Darum kreist in der Zeitgeschichtsforschung eine der längstandauernden Kontroversen und deshalb ist der Fall Gföllner nicht ganz so einfach, wie es das Projektergebnis glauben lässt.

Bei einem flüchtigen Blick auf das Projektergebnis erscheint der Linzer Bischof mit seinem Antisemitismus, wie er ihn in seinem Hirtenbrief vom Jänner 1933 äußerte, als direkter Wegbereiter der Nationalsozialisten. Dabei war das pastorale Schreiben aber eine der schärfsten Verurteilungen des Nationalsozialismus eines Oberhirten in Österreich. Wegen ihrer Kernaussage, dass man nicht "gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist" sein könne, erfuhr der Hirtenbrief außergewöhnliches Echo und wurde allein in Linz acht Mal gedruckt. Und genau dieser Inhalt erhielt unerwartet hohe Resonanz, nicht die antisemitischen Passagen, die es anderswo und in Dauerschleife zu hören gab. Auch der Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter wiederholte die Worte Gföllners noch viele Jahre später, um seine Ablehnung des NS-Regimes zu untermauern.

Die ns-kritische Haltung Gföllners ist — für sich genommen — sogar zu würdigen, weil sie vielen Katholik:innen Orientierung bot und unmissverständlich war. Im Gegenzug gibt es freilich keinen Grund ihn deshalb hochzustilisieren, wie es vielfach die kirchennahe Zeitgeschichtsforschung getan hat. Denn das Beispiel zeigt, welche Einflussmöglichkeiten Kirchenführer in einzelnen Bereichen gehabt hätten. Sie haben sie nicht oft genutzt. Kritisch ist weiters festzuhalten, dass Beschönigungsversuche von kirchlicher Seite, einen katholischen Antisemitismus habe es nicht gegeben, sondern nur einen religiösen "Antijudaismus", eher verwirrend gewirkt haben. Katholische Zeitgenossen der Zwischenkriegszeit teilten mit Gföllner die verbreiteten antisemitischen Stereotypen: vom wuchertreibenden Juden, ausbeuterischen Kapitalisten, sozialistischen und bolschewistischen Revolutionär und Zerstörer des Christentums. Das war nicht das theologische Motiv vom verstoßenen Volkes Israel oder von den Gottesmördern, hier wütete der an weltliche Deutungsmuster angelehnte Antisemitismus auch bei Gföllner.

Andererseits liegen kirchenkritische Deutungen falsch, welche die lange Geschichte der christlichen Judenverfolgungen direkt beim „Katholiken“ Adolf Hitler münden lassen. Der katholische Antisemitismus sah in vielen Ländern Europas des frühen 20. Jahrhunderts ähnlich aus und war geradezu ein globales Phänomen. Der rassische Antisemitismus der Nationalsozialisten blieb jedoch unvereinbar mit der katholischen Lehre. Und dennoch: Ohne den Vorstellungsmustern des katholischen Antisemitismus wäre die Shoah nicht möglich geworden. Will man das Verhältnis von katholischer Kirche und Nationalsozialismus seriös beschreiben, muss man auf diese Ambivalenzen abzielen, die sich in der Person Gföllner beispielhaft abbilden.

Dr. Andreas Schmoller, Leiter des Franz und Franziska Jägerstätter Instituts, KU Linz.

22.11.2022/HE