Dies Academicus thematisiert Relevanz von Baukultur.
Mit der auf Initiative des Oberösterreichischen Landeskulturbeirats konzipierten und finanziell maßgeblich vom Land Oberösterreich getragenen "Plattform Baukultur" werden, so unterstrich Rektor Michael Fuchs in seiner Begrüßung, auf europaweit einzigartige Weise die Themenfelder Baukultur und baukulturelles Erbe verknüpft. Seit Oktober 2023 bündelt die Kooperation von Katholischer Privat-Universität Linz und Kunstuniversität Linz die spezifischen Expertisen und Kompetenzen beider Universitäten und bildet gleichzeitig einen offenen, interdisziplinären Diskursraum. Auch der heurige "Dies Academicus", der in Kooperation mit der Kammer der Ziviltechniker:innen, Architekt:innen und Ingenieurkonsulent:innen für Oberösterreich und Salzburg veranstaltet wird, verstehe sich als ein Element in diesem Dialog und fokussiere insbesondere die politische Relevanz von Baukultur.
Veronika Müller, Assistenz-Professorin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der KU Linz und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schwerpunkt Baukultur & baukulturelles Erbe, legte in der Einführung dar, dass Baukultur nicht nur "gebaute Objekte" meine, sondern immer auch dynamische Prozesse umfasse: Diese erfordern ein hohes Maß an Kommunikation, Diskussion und Vermittlung – nicht zuletzt in Bezug auf Definitionen und inhaltliche Bestimmungen von Baukultur selbst. In diesem Sinne sei auch der "Dies Academicus" mit dem Titel "Res Publica Baukultur" ein Diskussionsbeitrag zu Kontexten und Aufgaben von Baukultur ebenso wie zur Frage nach Umsetzbarkeiten und Möglichkeiten.
Baukultur als demokratisches Projekt
"Der Gerechtigkeit Raum geben" betitelte der Theologe Martin Schneider, Professor an der School of Transformation and Sustainability der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, seinen Vortrag. Darin entwickelte er aus anthropologischen und ethischen Reflexionen die Bedeutung raumaneignender Praktiken. Ausgehend vom menschlichen Grundbedürfnis des Wohnens arbeitete er Orientierungen und Leitlinien heraus, die darauf abzielen, rein individuell gedachte Raumaneignungen auf zukunftsfähige kollektive Aneignungsprozesse hin zu öffnen. Entscheidend für die gerechte und nachhaltige Gestaltung sozialer Räume sei, dass sich Bürger:innen als kollektive Eigentümer:innen verstehen und eigeninitiativ für ihr Recht auf gemeinsame Räume engagieren. Grundlegend für eine solche Graswurzelbewegung sei die Transformation vom liberalen zum kommunitären Eigentumsverständnis, bei dem nicht das solitäre, sondern das relationale Ich im Mittelpunkt stehe.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Werten in der Architektur bot Architekt und Philosoph Martin Düchs, Professor an der New Design University St. Pölten. Gemeint seien damit freilich nicht die bezifferbaren "realen Werte", von denen die Immobilienbranche gerne spricht, sondern Werte, die, so Düchs, Gegenstand einer "Ethik der Architektur" bilden sollten. Im historischen wie systematischen Aufriss legte er zunächst dar, wie die moralischen Schlagworte "Ehrlichkeit", "Wahrhaftigkeit" und "Gerechtigkeit" von Architekten der klassischen Moderne zu Kampfbegriffen für je eigene ästhetische Präferenzen gemacht wurden – und darin bis heute fortwirken. Eine Architektur aber, der es um Menschen gehe, müsse darüber Rechenschaft geben können, wie sie dieses Wesen verstehe, für das sie baut. Denn: "Jedes Entwurfsprojekt ist eine Stellungnahme zur philosophischen Frage ‚Was ist der Mensch?‘" Dies erfordere nicht wohlklingende Gemeinplätze, sondern reflektiertes Denken und eine rationale, argumentative Basis.
Ganz in die Praxis und zu konkreten Beispielen führte der Vortrag von Bettina Götz, freischaffende Architektin und Professorin an der Universität der Künste Berlin. Als "Anwält:innen der Öffentlichkeit", nicht als "bloße Dienstleister" wollte sie Architekt:innen verstanden wissen, denn es sei deren vorrangige Aufgabe, öffentliche Räume – oder: Räume der Offenheit – zu gestalten. Wie dies umzusetzen ist und man etwa durch die Schaffung von Gemeinschaftsbereichen Verdichtung und Beengung entgegenwirken könne, zeigte sie u. a. anhand eines Innsbrucker Wohnheimprojekts und einer Quartierentwicklung im dritten Wiener Bezirk durch ihr Büro ARTEC Architekten. Selbst die beste Planung aber sei wertlos, wenn es keinen fruchtbaren Dialog zwischen Architekt:innen und Auftraggeber:innen gebe: Auf beiden Seiten müsse hierfür Kompetenz vorhanden sein und das Bewusstsein, wie wichtig das Miteinander für die Entwicklung stimmiger Projekten ist; gerade jenseits von Einzelbauprojekten stellen gute Kommunikationsprozesse zwischen allen Interessengruppen eine besonders große Herausforderung dar.
Perspektiven für Baukultur
In der abschließenden Podiumsdiskussion – moderiert von Anna Minta, Professorin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der KU Linz – wurden diese Positionen um weitere Perspektiven ergänzt. Franz Flotzinger, Geschäftsführer des Oberösterreichischen Gemeindebundes, betonte die Notwendigkeit baukultureller Kompetenz bei Entscheidungsträger:innen in Politik und Verwaltung, erinnerte aber auch an durch beschränkte personelle Ressourcen, rechtliche Rahmungen und knappe finanzielle Mittel eingeengte Spielräume. Nichtsdestotrotz bemühe man sich insbesondere um eine bewusstere Abwägung von Investitionskosten und Lebenszykluskosten sowie um partizipative Prozesse bei öffentlichen Bauprojekten. Michaela Haunold, Leiterin der Sozialberatungsstellen der Caritas Linz, lenkte die Aufmerksamkeit auf marginalisierte Gruppen, die in solchen Entscheidungsprozessen kaum Gehör finden: Menschen in Armut bzw. armutsgefährdete Menschen, wohnungslose und obdachlose Menschen bleiben ausgeschlossen, obwohl der öffentliche Raum gerade für sie eine große Bedeutung hat und sie namentlich von der Umwandlung kostenloser öffentlicher Räume in kommerzialisierte Landschaften besonders betroffen sind. Architektin Daniela Allmeier schließlich, die mit dem Ingenieurbüro "Raumposition" auf Stadt- und Raumentwicklungsprozesse spezialisiert ist, ließ mit der paradoxen Formulierung aufhorchen, dass zu Baukultur auch das Nicht-Bauen gehöre. Immer miteinbezogen werden müsse Bedeutung und Wert von nicht-verbauten Räumen, von Leer- und Freiräumen, von Naturflächen. Und noch vor dem Bauen selbst sei die Planungskultur als integrales Element der Baukultur herauszustreichen: Welche Anforderungen hat man an den Planungsprozess? Wie erwirkt man Konsens? Und wie geht man damit um – und akzeptiert auch –, wenn es keinen Konsens gibt? Nur ein Diskurs, der sich Konflikten stellt und diese auch konstruktiv austrägt, sei Zeichen einer gelebten Baukultur.
15.11.2024/RK/HE