Christliche Sozialwissenschaften: Religion als Brand- und Friedensstifter.

Ein interdisziplinäres Symposium des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der Katholischen Privat-Universität Linz thematisierte am 24. November 2022 unter dem Titel "Brandstifter und Friedensstifter" die Rolle der Religionen in aktuellen europäischen Konflikten.

Der Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine wird häufig aus friedensethischer und politischer Perspektive diskutiert, aber – sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen an der KU Linz – noch wenig unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Religion. Aber religiöse Legitimierungen von kriegerischen Handlungen und religiös motivierte Friedensappelle sind und waren stets ein wichtiger Teil des öffentlichen Diskurses – und für die Theologie, insbesondere die Christlichen Sozialwissenschaften, die Politikwissenschaften und die Soziologie, relevante Forschungsfelder. Im Rahmen eines Symposiums wurde nun die Rolle der Religion bzw. der Religionsgemeinschaften in der europäischen Konfliktarchitektur beleuchtet und interdisziplinär diskutiert.

Alexander Yendell, Religionssoziologe an der Universität Leipzig und Sprecher der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, stellte eine neue Studie vor. Im Rahmen seiner quantitativen Sozialforschung erhob Yendell Daten über die Kriegsbefürwortung der Menschen in Österreich. Demnach gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstruktur einerseits und Haltung zu Gewalt und Krieg andererseits. Dass religiöse Menschen mehr oder weniger Gewalt und Krieg befürworten als andere, nicht-religiöse Menschen, lässt sich anhand der repräsentativen Daten aber nicht zeigen.

Neben diese empirisch-sozialwissenschaftlichen Daten stellte Oliver Hidalgo, Politikwissenschaftler an den Universitäten Münster und Regensburg, seine systematischen Überlegungen. Ausgehend von Carl Schmitt erläuterte Hidalgo, dass sich Religionen besonders gut für die Konstruktion eines Freund-Feind-Schemas eigneten. Zwar böten religiöse Traditionen ein erhebliches friedensstiftendes Potenzial; sie eigneten sich aber auch für die Entwicklung religiöser Identitäten – und damit für jene gegenseitigen Abgrenzungen, die auch in den gegenwärtigen Konflikten in Europa eine wichtige Rolle spielen.

Die so von Hidalgo nachgezeichnete „politisch-theologische Zerrissenheit Europas“ wurde kontrovers diskutiert. Die ambivalente Diagnose, dass Religionen sowohl als friedensstiftende als auch als brandstiftende Faktoren auf die europäische Konfliktdynamik einwirken, stellt aus theologischer und theologisch-ethischer Perspektive eine große Herausforderung dar.

Die Veranstaltung vertiefte den Forschungsschwerpunkt des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften zum Diskurs über Religion und Gewalt sowie Religion und Politik durch politikwissenschaftliche und soziologische Impulse.

28.11.2022/CS/HE