Architektur und kuratorische Strategien überstaatlicher Repräsentation.

Unter dem Titel "SUPRANATIONAL" beschäftigte sich ein Workshop am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der Katholischen Privat-Universität Linz am 6. Juni 2023 mit der virulenten Frage der Selbstdarstellung internationaler und supranationaler Organisationen.

Die Fragestellung, der von Assistenzprofessorin Julia Rüdiger organisierten Veranstaltung, ging aus deren Habilitationsprojekt zur EU-Architektur hervor, in der sie das reziproke Verhältnis zwischen der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften/Union und ihren Bauten erforscht.

Eingebunden in ihre im Sommersemester 2023 laufende Vorlesung „Imperien und Unionen. Architekturen des Supranationalen“ bildete der Workshop auch eine vorbildliche Verknüpfung von aktueller Forschung und Lehre, wie Vizerektor Universitätsprofessor Michael Fuchs in seiner Begrüßungsrede hervorhob. Bisher haben Forschungen zum repräsentativen und kommunikativen Charakter von Architektur und Raum vor allem auf Fragen der Nation und des Nationalstaates fokussiert, so Institutsleiterin Universitätsprofessorin Anna Minta in ihrer Moderation. Es sei ein innovativer Ansatz, sich nun auf die Strategien und Praktiken des Überstaatlichen zu konzentrieren, Aushandlungsprozesse, um Vielfalt in der Einheit zu analysieren und Einheitskonstruktionen auf ihre ästhetischen und soziopolitischen Qualitäten zu hinterfragen.

Unterschiedlichste Bündniskonstellationen, insbesondere politisch und wirtschaftlich, Fragen nach ihren Bezugspunkten, Netzwerken und Identitätspolitiken sowie ihre Manifestationen in Architektur und kuratorischer Praxis standen im Zentrum der Diskussionen. Der Workshop ging von architektonischen Beispielen aus, die Rüdiger anhand von Architekturen der EU in Brüssel und Univ.-Prof. Sabine Plakolm (TU Wien) anhand ihrer noch unpublizierten Forschungen zur UNO-City in Wien vorstellten. Der Fokus lag im zweiten Teil auf – im weitesten Sinne – kuratorischen Projekten, anhand derer selbstdarstellerische Intentionen der Organisationen quellenkritisch gut nachvollziehbar waren. Der Architekturhistoriker Dennis Pohl (TU Delft) analysierte den belgischen Beitrag zur Expo 1958 in Brüssel, das berühmte Atomium, im Kontext der Gründung der EURATOM und kolonialer (Wirtschafts-)Politiken. An die EXPO `58 schloss Anastasia Remes‘ (LMU München) Vortrag an, in dem die Kulturhistorikerin den Pavillon der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl als Statement einer neuen europäischen Wirtschaftspolitik analysierte. Im Gegenzug zu diesen (über-)staatlich organisierten Ausstellungsprojekten ging der Vortrag der Architekturhistorikerin Frederike Lausch (TU Darmstadt) von einer – quasi bottom-up – Initiative der Architekt:innen Yona Friedman und Eda Schaur aus, die zunächst im Auftrag der United Nations und später des Europarats Manuals für globales Wissen erstellten und darauf aufbauend ein Netzwerk von Museums of Simple Technology errichten wollten. Veronika Müller, die den Nachmittag moderierte, hob hervor, dass mit dieser Kompetenzverschiebung ein Selbstermächtigungsprozess verfolgt wurde, der dem Partikularen innerhalb von überstaatlichen Initiativen wieder mehr Raum zu geben versucht.

Den Sprung in die Gegenwart bildete die Vorstellung des Konzepts des Hauses der europäischen Geschichte (2017 in Brüssel eröffnet) des Historikers und emeritierten Universitätsprofessors Wolfgang Schmale (Universität Wien). Auch wenn dieser das Konzept einer europäischen Geschichte grundsätzlich problematisierte, erläuterte er die kuratorischen Bemühungen, die kulturelle und historische Vielfalt der 27 Mitgliedsstaaten der EU zu respektieren und Schwerpunkte auf eine allen gemeinsame Demokratieentwicklung zu legen.

Offensichtlich wurde – gerade auch in den regen Diskussionen –, dass die Strategien einer (Selbst-)Darstellung in jedem Projekt umstritten waren und konsequent in den unterschiedlichen zeithistorischen und organisatorischen Entwicklungen neu bewertet wurden und werden. Die ausdifferenzierten weiterführenden Analysen in der Forschung von Julia Rüdiger sowie von den eingeladenen Referent:innen werden hier diese umstrittenen Strategien deutlicher und komparatistisch herausarbeiten.

22.6.2023/JR/HE