23. Ökumenische Sommerakademie über "Gesellschaft ohne Vertrauen".
Mit einem Appell, "mehr Vertrauen zu wagen" in einem "Zeitalter des Misstrauens" bzw. eines "alles vergiftenden Vulgärmisstrauens" wurde am Mittwoch die 23. Ökumenische Sommerakademie im Stift Kremsmünster eröffnet. Die renommierte Sommertagung stand heuer vom 13. bis 15. Juli unter dem Titel "Gesellschaft ohne Vertrauen. Risse im Fundament des Zusammenlebens". Den Eröffnungsvortrag samt Appell zu mehr Vertrauen hielt der Gießener evangelische Theologe Prof. Philipp David. Dabei skizzierte er eine "kleine anthropologische Theorie des Vertrauens", die soziologisch Entwicklungen von vertrauensbasierten Gesellschaften hin zu einem "Zeitalter des Misstrauens" nachzeichnete.
In Europa habe dies u.a. dazu geführt, dass auch ein basales "Gottvertrauen" nachhaltig gestört sei und an seine Stelle ein "Vulgärmisstrauen" getreten sei, das alles mit einem Vorbehalt belege: "Alles ist korrupt. Nichts hat Vertrauen verdient". Ein solches, durch Sensations- und Skandallust befördertes Misstrauen könne als "nihilistisches Misstrauen" bezeichnet werden, "das jedes platonisch-christliche Gottvertrauen zerstört", so der Theologe. Angesichts dessen nehme Vertrauen "den Charakter des Wagnisses" an: "Vertrauen schenken und Sich-Trauen verlangt einen Sprung, der alle Absicherungen und Garantien überspringt."
Einen weiteren ersten thematischen Impuls zum Thema Vertrauen und Autorität bot der Berliner Sozialforscher Jan Wetzel. Vertrauen und Kontrolle würden einander bedingen und dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, so Wetzel. Dies habe u.a. die Corona-Pandemie deutlich werden lassen: Der Staat habe auf die Gefahr eines unsichtbaren Virus reagieren müssen und darauf vertrauen müssen, dass die Bürger ihm vertrauten. Dies bedürfe eines hohen Maßes an Kommunikation, aber auch an Kontrolle und Regulierungen.
Einem generaldiagnostischen "grundlegenden Vertrauensverlust" in der Gesellschaft könne er sich aus sozialwissenschaftlicher Sicht jedenfalls nicht anschließen, so Wetzel. Dazu sei die Gesellschaft zu ausdifferenziert und komplex. Vertrauensverluste würden erst dann ortbar, wenn sich Menschen nicht mehr als Teil einer gemeinsamen gesellschaftlichen Entwicklung verstünden. Demokratie lebe insofern von einem "System von checks and balances" auch im Blick auf das Thema Vertrauen.
Eröffnet wurde die Sommerakademie, an der rund 250 Interessierte teilnahmen, u.a. mit Grußworten vom oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer. Auch Stelzer ortete darin eine "gewisse pessimistische Grundstimmung" und schwindendes Vertrauen auch in politische und gesellschaftliche Institutionen. Ohne dieses Vertrauen gebe es jedoch kein funktionierendes demokratisches Zusammenleben, betonte Stelzer. Weitere Gruß- und Eröffnungsworte sprachen der Rektor der Katholischen Privat-Universität Linz (KU Linz), Prof. Christoph Niemand, die evangelische Superintendentialkuratorin Renate Bauinger sowie der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej Cilerdzic als Repräsentant des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ). Unter den Teilnehmer:innen waren außerdem Bischof Manfred Scheuer und Generalvikar Severin Lederhilger, die Linzer Pastoralamtsleiterin Gabriele Eder-Cakl, Landeshauptmann a.D. Josef Pühringer, der altkatholische Bischof Heinz Lederleitner und andere.
Einen ausführlichen Bericht zu Tag 1 lesen Sie auf der Seite der Diözese Linz.
„Kirche muss Vertrauenskrise als Chance nutzen“
Die aktuelle Vertrauens- bzw. Legitimitätskrise der Kirche muss als Chance genutzt werden, um die Kirche zu erneuern, damit diese ihre Mission im 21. Jahrhundert erfüllen kann, zeigte sich die Wiener Pastoraltheologin und Religionssoziologin Prof. Regina Polak am zweiten Veranstaltungstag der Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster überzeugt. Weiters referierten am Donnerstag die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle, die Psychiaterin Adelheid Kastner und die Bibelwissenschafterin und Dekanin der KU Linz Susanne Gillmayr-Bucher.
Das Legitimitätsproblem der Kirche sei weitreichend. Es beziehe sich nicht nur auf die Themen Missbrauch, Frauen oder LGBTQI+, so Regina Polak in ihrem Vortrag. Der Wertewandel betreffe auch genuin religiöse Glaubensvorstellungen und -praktiken und hänge ebenfalls eng mit politischen Einstellungen zusammen. Laut Europäischer Wertestudie nimmt einerseits europaweit der Glaube an Gott, an die Auferstehung oder Christus seit Jahrzehnten ab. Andererseits seien traditionelle religiöse Einstellungen signifikant mit antidemokratischen Einstellungen wie Autoritarismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und dem Wunsch nach homogenen Gesellschaften verbunden. Nur bei aktiver Zugehörigkeit im Verbund mit sozialer Praxis wirkten sich religiöse Einstellungen pro-demokratisch aus. Beide Entwicklungen schwächten die Legitimität der Kirchen und damit auch das Vertrauen insbesondere bei den höher Gebildeten, bei Wohlhabenden, bei jüngeren und urbanen Menschen, warnte die Theologin. Menschen, die in ökonomisch prekären Situationen leben seien zwar signifikant religiöser als die Wohlhabenderen, vertrauten aber eher rechtspopulistischen Parteien als der Kirche, so Polak.
Auf diese Vertrauenskrise der Kirche dürfe man weder mit progressivem Aktivismus noch mit Restauration reagieren, betonte Polak: "Um gesellschaftliches Vertrauen zu gewinnen und erkennbar werden zu lassen, wozu es die Kirche heute unbedingt braucht, bedarf es einer Auseinandersetzung mit den Regeln, Werten und Normen der Gesellschaft. Pauschale Ablehnung verbietet sich dabei ebenso wie pauschale Zustimmung." Für die Katholische Kirche halte sie diesbezüglich den weltweiten synodalen Prozess für eine große Chance. Wenn die Kirche wieder vertrauenswürdig sein möchte, sollte sie aus den identitätspolitischen Machtkämpfen aussteigen, mahnte Polak: "Die Festschreibung von Machtstrukturen oder deren freundliche Verschleierung sind diesbezüglich ebenso wenig hilfreich wie der Glaube, allein durch Strukturreformen und Anpassung an gesellschaftliche Werte und Normen würde die Vertrauenskrise der Kirche behoben." Entscheidend sei auch," dass die Kirchen an der Seite der Menschen stehen - ob in der Seelsorge oder im gesellschaftlichen Einsatz in den Krisen der Gegenwart". Krieg, Klimawandel, Migrationen seien keine Nebenbaustellen der Kirche, "sondern schaffen Situationen der Bewährung, auch der gesellschaftspolitischen".
Die Psalmen und die darin vermittelte Sehnsucht des Menschen, vertrauen zu können, stellte die Linzer Alttestamentlerin Prof. Susanne Gillmayr-Bucher in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Vertrauen zu dürfen, werde in den Psalmen als eine wünschenswerte, zugleich aber alles andere als selbstverständliche Haltung dargestellt. Betroffen seien ganz unterschiedliche Lebensbereiche, die zwischenmenschliche, sozial-politische Dimension, die Gottesbeziehung wie auch das Vertrauen in das Funktionieren der Natur und des Kosmos.
In all diesen Bereichen können das Vertrauen der Menschen erschüttert, aber auch wiedergewonnen werden. Welche Angst und Verzweiflung der Vertrauensverlust auslösen und wie es im Gebet gelingen kann, den Weg zum Vertrauen wiederzufinden, davon würden die Psalmen auf vielfältige Weise sprechen, so GillmayrBucher.
Die Kärntner Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle beleuchtete in ihren Ausführungen, wie Krieg und Pandemie die Demokratie verändern. Covid sei wesentlich mehr, als nur eine gesundheitliche Krise "und der Angriff Russlands auf die Ukraine hat zusätzlich unser Vertrauen erschüttert". Das sei eine extreme Herausforderung für die Demokratien, die sich zu den Menschenrechten bekennen. Die Energiekrise und die Inflation würden den sozialen Frieden bedrohen. Die Vertrauenskrise komme jedoch nicht nur von außen, so die Politologin. Anders formuliert: Die Parteien in Österreich stünden vor der Frage, wie es gelingen könne, mit transparenter Politik das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Die Linzer Psychiaterin Adelheid Kastner ging in ihrem Vortrag darauf ein, dass Vertrauen die Grundlage jeder gelungenen Interaktion sei. Freilich: Sowohl Vertrauen als auch Misstrauen könnten auch selbstschädigende Ausmaße annehmen und wesentliche Lebensentscheidungen negativ beeinflussen. Kastner thematisierte die verschiedenen krankhaften Ausformungen beider Haltungen, deren Ursachen und Wirkungen.
"Liebe ist nichts für Feiglinge"
Der Freitag bei der Sommerakademie wurde von der deutschen Ordensfrau Melanie Wolfers eröffnet. Sie sprach vom "schönen Wagnis, jemandem zu vertrauen". Vertrauen sei ein "gewagter Brückenschlag zu anderen Menschen", so die Salvatorianerin. Und mit anderen Worten: "Vertrauen ist wie das Gehen über eine Brücke, die gerade erst - Schritt für Schritt - gebaut wird." Dies gelte sowohl für zwischenmenschliche Beziehungen als auch für die Beziehung zu Gott.
Wolfers sprach vom Spannungsverhältnis zwischen Angst und Vertrauen und welche Hinweise die christliche Spiritualität biete, damit Angst nicht übermächtig wird. Vertrauen können sich nur jedenfalls langsam aufbauen, in keiner anderen Situation sei der Mensch so verletzlich, als wenn er vertraue und liebe, so Wolfers. Nachsatz: "Liebe ist nichts für Feiglinge."
Erfahrungen von Freundschaften ermöglichen Vertrauen
Die Erfahrung von Freundschaft sei eine der ganz wesentlichen Bedingungen für die Ermöglichung von Vertrauen. Und dieses brauche es in der Gesellschaft wie in der Ökumene. Das war eine der zentralen Botschaften der abschließenden Podiumsdiskussion der Ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster. Das Podium am Freitag bestritten Bischof Manfred Scheuer und der orthodoxe Bischof Andrej Cilerdzic. Der evangelische Superintendent Gerold Lehner war kurzfristig erkrankt und verhindert.
Bischof Scheuer hob in der Diskussion u.a. die Generationengerechtigkeit hervor, an der sich die Glaubwürdigkeit der Kirche zu messen habe. Die Kirche schulde den jungen Menschen die Möglichkeit, das eigene Leben in die Hand nehmen zu können, ihnen dabei zu helfen, Selbstvertrauen aufzubauen und eine gute Verankerung im Leben zu finden. "Ermächtigung zum Leben und Mut zum Sein" brauche es vor allem auch in Krisenzeiten, wie man sie gegenwärtig vorfindet, so der Bischof. Die Erfahrungen von Freundschaften seien dabei ein Ur-Ort der Erfahrung von Gnade. Freundschaften seien auch das, was sich junge Menschen in der Regel an erster Stelle für ihr Leben wünschten und erhofften. Er sei persönlich auch sehr dankbar für die vielen Freunde, die er in den Geschwisterkirchen habe, sagte Bischof Scheuer weiter. Das Lernen voneinander werde als Bereicherung und nicht als Gefahr für die eigene Identität verstanden. In diese Kerbe schlug auch Bischof Cilerdzic: Im persönlichen Dialog könne man sich von der Aufrichtigkeit des anderen überzeugen und werde selbst bereichert. Das gelte nicht nur für die orthodox-katholischen, sondern ebenso für die orthodox-evangelischen Beziehungen.
Die Orthodoxie habe im ökumenischen Dialog auch gelernt, aus dem innerkirchlichen Bereich herauszutreten und sich verstärkt ethischen, wirtschaftlichen, politischen oder sozialen Fragen zuzuwenden. Der Bischof bestätigte zwar, dass der im Verlauf der Sommerakademie mehrmals festgestellte Vertrauensverlust in die katholische Kirche in der orthodoxen Kirche nicht in gleichem Maße festzustellen sei, dennoch klopfe die Säkularisierung auch bereits an die Tür der Orthodoxie. "Und hier sind die Erfahrungen der westlichen Kirchen für uns sicher von großem Wert", zeigte sich der Bischof überzeugt. Bischof Cilerdzic räumte ein, dass sich manche orthodoxe Kirche nicht auf den ökumenischen Dialog einlassen wolle, was für ihn "völlig unverständlich" sei.
Ökumenischer Gottesdienst
Abgeschlossen wurde die Sommerakademie wieder mit dem traditionellen ökumenischen Gottesdienst in der Stiftskirche. Der Linzer Generalvikar Severin Lederhilger unterstrich dabei in seiner Predigt u.a., dass zum "Prinzip Vertrauen" auch das "Prinzip Entscheidung" dazugehöre. Er zitierte in diesem Zusammenhang den Grazer emeritierten Bischof Egon Kapellari, der einst betont hatte, dass man sich aus dem "Zwielicht" eines bequemen "Jein" herausbewegen müsse, wozu es aber einen festen Grund brauche, "auf den wir uns verlassen können, der uns Sicherheit schenkt und auch das nötige Wagnis auf Unbekanntes ermöglicht".
Vertrauen - sowohl jenes, das man schenkt als auch geschenkt bekommt - sei "wie ein Lebenselixier". Wenn es fehle, "gerät die Existenz von Menschen und ihren Gemeinschaften aus dem Gleichgewicht". Die Sprachwurzel des hebräischen Wortes "Amen" bedeute sowohl Treue, Sich-Anvertrauen, Sich-auf-etwas-Stellen, aber auch Festigkeit, guter Boden und Grund. Im Wort "Amen" sei präzis zusammengefasst, was Glauben im christlichen Sinne heiße: "Dass sich ein Mensch auf einen festen Grund stellt, der gerade deshalb trägt, weil er ihn nicht selbst gemacht". Dieser feste Grund sei für die Christen Jesus Christus.
Getragen wird die Sommerakademie von der Katholischen Privat-Universität Linz, dem Evangelischen Bildungswerk Oberösterreich, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, dem Land Oberösterreich, dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich, dem ORF und dem Stift Kremsmünster.
Programmfolder der 23. Ökumenischen Sommerakademie
Quelle: kathpress: Ökumenische Sommerakademie mit Appell "Mehr Vertrauen wagen" eröffnet
kathpress: Polak: Kirche muss Vertrauenskrise als Chance nutzen
kathpress: Bischöfe: Erfahrungen von Freundschaften ermöglichen Vertrauen
ORF TVthek: Ökumenische Sommerakademie startet in Kremsmünster
16.7.2022/HE