ThPQ 4/2023 "Friede": Hoffnung und Aufgabe.
Vor welche Aufgaben stellt uns heute der im Lukasevangelium mit der Geburt Jesu verkündete Friede? Gott verheißt der ganzen Menschheit ein Leben in Fülle und Gerechtigkeit. Wir erfahren jedoch immer wieder, dass ein solches nicht von selbst entsteht und auch nicht erzwungen werden kann. Lange Zeit haben wir hoffen dürfen: Nie wieder Krieg in Europa! Friede zwischen Nationen und Religionen ist auf unserem Kontinent beinahe zur Selbstverständlichkeit geworden. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Vertrauen auf diesen gesellschaftlichen und zwischenstaatlichen „Normalfall Friede“ tief erschüttert. Darf man angesichts dessen noch auf den verkündeten Frieden hoffen? Und wie ginge das überhaupt im Schatten eines grausamen, ungerechten Krieges?
Aus dem Editorial
Im 20. Jahrhundert haben wir den Menschen kennengelernt wie bisher vielleicht noch keine Generation vor uns. Nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges haben viele gehofft, dass Menschen in ihren hart errungenen demokratischen Gesellschaften in der Lage sein werden, Gewaltpotenziale schon früh zu erkennen und friedlich zu entschärfen: im nationalen Kontext, in Europa, aber auch darüber hinaus. Der (west-)europäische Raum war vom Glauben geprägt, mit dem „Friedensprojekt Europa“ einen Rahmen entwickelt zu haben, dessen Strukturen, Bündnisse, Wirtschaftskonstellationen, Sicherheitsvorkehrungen und Schutzmechanismen dafür Sorge tragen, dass die heranwachsenden Generationen nie wieder das Unmenschliche im Menschen erfahren und hautnah erleben müssen. Es bildeten sich postheroische Gesellschaften aus, in denen pazifistische Welt- und Wertvorstellungen – Stichwort Abrüstung – für viele zur neuen Selbstverständlichkeit wurden.
Niemand konnte und wollte sich vorstellen, dass in Europa, aus welchem Grund auch immer, Krieg noch eine (politische) Handlungsoption sein könnte. Der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 wurde dementsprechend keine grundsätzliche Bedeutung für den Frieden in Europa beigemessen: Sie wurde gemeinhin als periphere, bilaterale Angelegenheit abgetan – bis zum 24. Februar 2022. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, mit dem Wandel der Wahrnehmung von einem „Konflikt am Rande“ zu einem „Krieg mitten in Europa“ wurde bewusst, dass auch das Friedensprojekt Europa auf dem Spiel steht.
Die Kirchen haben erkannt, dass sie in der gegenwärtigen Situation eine entschiedene Position einnehmen müssen: Wie geht es mit dem Frieden in unseren Herzen und in Europa weiter angesichts der konkreten Erfahrung des Krieges und des massenhaften Erleidens von Gewalt? Wie kann Weihnachten jetzt als ein Fest der Menschwerdung Gottes gefeiert werden und welche Botschaft des Friedens hat dieses Fest heute – und morgen?
Heft 4/2023 der Theologisch-praktischen Quartalschrift rückt komplexe Fragen nach dem Frieden in den Mittelpunkt. Mit unterschiedlichen Akzentsetzungen nähern sich die Autor:innen der Beiträge dem Thema und erschließen vielfältige biblische, historische, ethische, pädagogische, ökumenische und interreligiöse Aspekte. Die weihnachtliche Friedensbotschaft kann dabei auch heute einen ermutigend Ausklang bilden, gerade dann, wenn ihr Aufgabencharakter bewusst wird: Friede nimmt seinen Anfang im Herzen eines jeden Menschen – in Herzen, die auf ein gutes Miteinander hin geformt und gebildet werden können.
Mit Beiträgen zum Thema von Alexej Černyi, Sule Dursun-Akdeniz, Georg Fischer, Lyudmyla Ivanyuk, Judith Könemann / Christian Fischer, Volker Leppin, Markus Patenge, Peter Ramers und Stephan Wahle, einer Abhandlung von Jan-Hendrik Herbst sowie zahlreichen Rezensionen aktueller Publikationen aus allen Feldern der Theologie.
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Die ThPQ erscheint im Verlag Friedrich Pustet. Die aktuelle Ausgabe ist auch als eBook/PDF erhältlich.
11.10.2023/rk