Das Institut trauert um Kons. em. Univ.-Prof. DDr. Walter Raberger

Am 18. Juni 2021 ist Prof. Walter Raberger im 82. Lebensjahr verstorben. Er war von 1984 bis 2004 Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an unserem Institut.

Nachruf auf Univ.-Prof. em. DDr. Walter Raberger am 25.6.2021

Franz Gruber

Walter Raberger in dieser Stunde auf seinem letzten Weg zu begleiten, heißt für mich als sein theologischer Schüler, Assistent und Kollege, ihm selbst noch ein einmal das Wort zu geben. Von seiner vielschichtigen Persönlichkeit greife ich nur drei charakteristische Züge heraus, die ihn in den 38 Jahren seines Wirkens an der Katholischen Privatuniversität Linz zu einer unverwechselbaren Gestalt machten.

1. Sein Verständnis von Theologie überhaupt: Nach einem kapitellangen Diskurs über die Frage nach Schöpfung und Menschsein schreibt Walter Raberger: „So sei abschließend bemerkt, dass es der Theologie nicht genügt festzustellen, dass alles so ist, wie es ist; Menschen – und nicht nur religiös musikalische – haben auch Fragen nach dem Sinn dessen, was da so ist.“ (W. Raberger, Eine Kritische Dogmatik. Ausgewählte Traktate in Vorlesungsform, Linz 2019, 100)

Als DDr. Raberger 1983 an die damalige Katholisch-Theologische Hochschule kam (der nach Salzburg wechselnde Prof. Gottfried Bachl lud den an der KTH unbekannten Walter Raberger zu seinem ersten Lehrauftrag über „Wissenschaftstheorie und Theologie“ ein und holte ihn damit zurück in die akademische Hochschulwelt), konfrontierte er uns mit Denkern, die in den Theologischen Fächern des Diplomstudiums der Theologie kein Thema waren: Ludwig Wittgenstein, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und noch viele andere. Es waren in der damaligen Zeit seitens der Theologie durchaus verpönte bzw. totgeschwiegene Autoren, doch Walter Raberger hat ihnen an der Linzer Theologischen Fakultät ein Heimatrecht gegeben.

Der bedeutende holländische Jesuiten-Theologe Piet Schoonenberg – er hat im Studienjahr 1983/84 neben Raberger als Lehrstuhlvertreter gearbeitet und den Traktat „Eschatologie“ gelesen –, nannte Walter Raberger liebevoll „Raber-mas“, eine spitzfindige Namenskombination aus „Raberger“ und „Habermas“. Es ist deshalb für mich ein sprechendes Zeichen, dass Walter Rabergers Sterbetag, der 18. Juni, zugleich Jürgen Habermas‘ 92. Geburtstag ist. Auf diese Weise hat er auch seine Biographie bleibend mit Habermas in Verbindung gebracht.

Walter Raberger wünschte sich eine Theologie und vor allem ein kirchliches Personal, das ganz und gar die theologische Reflexion pflegte, nicht weniger als die Spiritualität und den pastoralen Einsatz. Eine Theologie, die auf der Höhe der Zeit und im Dialog mit den Menschen von heute immer und immer wieder sagt: Das was ist, ist noch nicht alles, was gilt. Die Frage nach dem Sinn, nach dem Unabgegoltenen war sein theologischer Antrieb bis zuletzt.

2. Seine Art Theologie zu treiben: Professor Raberger war ein leidenschaftlicher Lehrer! Die höchste Aufgabe war ihm: das Denken der Menschheit, in welchen Gestalten es auch immer auftrat, sei es als Mythos, als Traktat, als Kunstwerk, als literarischer Text in ein unabgeschlossenes, unendliches Gespräch zu bringen. Bis zu seiner letzten Publikation, seiner „Kritischen Dogmatik“ feilte er an seinem unverwechselbaren eigenen „Stil“ (den er übrigens seit seiner Emeritierung immer weiter perfektionierte), anhand repräsentativer Zitate ein Thema, eine Problemgestalt, eine Sinnprämisse in einer einzigartigen Textur auszurollen.

Wer seine Texte liest, mag jubeln oder verzweifeln: Walter verlangte einem alles ab, so wie er sich alles abverlangte, dem Denken von Menschen, ob von Freunden oder Verächtern der Theologie und Kirche, gerecht zu werden. Walter Rabergers Kopf war ein Universum des Diskurses. Darin gab es keinen Anfang und kein Ende, keine Mitte und keinen Rand. Es war pures dialogisches Geschehen, schreibend und sprechend. Sich in der Theologenzunft zu profilieren, zu positionieren, war nicht Seines, darum floss alle Kraft in die Produktion seiner Skripten, die in Wahrheit eigenständige wissenschaftliche Meisterwerke sind.

Er wusste um die Fragilität und um den zweifelhaften Erfolg seines Stils beim Gegenüber seiner Hörer:innen und Leser:innen: Am Ende der Einleitung zu seinen „Ausgewählten Traktaten“ schrieb er: „Nach diesen 19 Seiten wird der Leser sich vielleicht dafür entscheiden, ein weiteres Lesen nicht mehr anzupeilen, wenn Theologie uns letztlich in seine solche verschlungene Perspektivität entlässt. Ich wage es allerdings mit der Bitte, es doch noch einmal mit M. Horkheimers provozierenden Satz zu versuchen: „Man wird das Theologische abschaffen. Damit verschwindet das, was wir ‚Sinn‘ nennen, aus der Welt.“ (KD 28)

3. Als dritten Charakterzug möchte ich Walter Rabergers Persönlichkeit selbst in den Blick nehmen. Freilich wusste er darum, dass seine Art zu kommunizieren, zu leben, zu begegnen, faszinieren und irritieren, vielleicht sogar ärgern und verstören konnte.

Am Beginn der Vorlesung am ersten Tag eines Wintersemesters sagte er einmal: „Die mich kennen, wissen es, dass ich oft zwischen Aggression und Resignation oszilliere und dabei in der Mitte haltmache, und zwar beim Zynismus. Mir tut das sehr gut, so bleibe ich gesund. Die Studierenden mögen das mitunter freilich anders empfinden. Die Resignation wäre für mich auf alle Fälle sehr schlecht, die Aggression gewiss für die anderen. Ich habe mich daher entschieden, zwischendurch zu pendeln. Wenn Sie Bedenken haben gegen meinen Zynismus und gegen meine pädagogischen Affekte, dann schlucken Sie das nicht gleich hinunter, melden Sie sich: Wir können alles gemeinsam durchgehen.“ (Zitat aus der Laudatio des Absolventenvereins der KTU zur Emeritierung von Prof. Raberger im Studienjahr 2004/05)

Ja: Aggression, Resignation, Zynismus – das erzeugte bei Walter eine besondere emotionale und charaktermäßige Mischung. In einem gewissen Sinne lebte er die Figur eines „Schelms“, eines „Narren“, der den Mächtigen die Wahrheit zu sagen versuchte. Diese Maske trug auch die Züge einer Ohnmacht. Und es wäre nicht Walter Raberger gewesen, hätte er nicht noch eine letzte schelmische Aktion für seinen Nachlass vorgesehen: Er wollte, dass sein letztes Erinnerungsfoto für alle das eines Clowns sein sollte. Es ist trotzdem gut und richtig, dass wir Walters Gesicht auf dem Totenbild unmaskiert in Erinnerung behalten, dass wir aber seine Eigenart und Einzigartigkeit, in die auch das Schelmische und Clowneske gehört, im Herzen bleibend erinnern.