Katholizismus in der Moderne

Im Mittelpunkt des Forschungsschwerpunkts "Katholizismus in der Moderne" steht die Frage, in welcher Weise und in welchen Etappen sich die katholische Kirche im engeren Sinne (das Lehramt, die Konzilien und Synoden, die von den Päpsten in Enzykliken vertretenen Positionen und dergleichen) einerseits und das in Gemeinden, Verbänden und Vereinen, im politischen Katholizismus und in der Zivilgesellschaft gelebte katholische Selbstverständnis andererseits zur Moderne verhalten bzw. auf die Moderne zubewegt haben. Als "Moderne" wird dabei - im Bewusstsein der Vorläufigkeit und Angreifbarkeit dieser Definition - jener Typ der "westlichen" Moderne verstanden, der, grob skizzierend gesprochen, strukturell von funktionaler Differenzierung und Arbeitsteilung, normativ von Liberalisierung und Demokratisierung geprägt ist.

 

Strukturelle vs. normative Modernisierung

Schon auf den ersten Blick fällt eine Ungleichzeitigkeit der strukturellen und der normativen Modernisierung der katholischen Kirche und des Katholizismus ins Auge: Während gerade die im Kontext des neuscholastischen Antimodernismus forcierten strukturellen Veränderungen - einschließlich des päpstlichen Jurisdiktionsprimats an der Spitze einerseits und der Ausdifferenzierung der unterschiedlichsten Vereine und Verbände an der Basis andererseits - eine enorme, eben strukturelle Modernisierungsentwicklung darstellen, lehnte in eben dieser neuscholastischen Epoche insbesondere das Lehramt das normative Projekt der Moderne, namentlich die Freiheitsrechte, darunter selbstverständlich die Religionsfreiheit, massiv ab. Man könnte sagen: Der neuscholastische Antimodernismus war ein normativer, bezogen auf die eigenen Strukturen aber eigentlich kein struktureller Antimodernismus.

Religionsfreiheit und Pluralismus

Das Spektrum der offiziellen Haltungen der katholischen Kirche zur Religionsfreiheit reicht von deren strikter Ablehnung bis zu ihrer entschiedenen Verteidigung: Einerseits schließt eine strikt antimodernistische Haltung die nahezu brachiale Ablehnung der Religionsfreiheit ein, andererseits schließt eine entschiedene Befürwortung von Menschenrechten und Demokratie die nachdrückliche Befürwortung der Religionsfreiheit ein. Als Zeitpunkt der Wende von der Ablehnung zur Befürwortung der Religionsfreiheit wird dabei der Regel das Zweite Vatikanum betrachtet. Die Frage ist: Wie konnte es zu einer solchen »kopernikanischen Wende« (E.-W. Böckenförde) kommen? Welcher »Lernprozess« führte – an der katholischen Basis bzw. im katholischen Milieu, in der wissenschaftlichen Theologie sowie in der Amtskirche – zu einem Umdenken in der Frage der Religionsfreiheit? Und inwieweit handelt es sich überhaupt um eine "Wende", wo sind die Diskontinuitäten, wo die Kontinuitäten zwischen den beiden Positionen? Der Band "Religionsfreiheit und Pluralismus" dokumentiert eine große internationale Fachtagung zu diesen Fragen, die wir im Rahmen des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Universität Münster durchgeführt haben.

Karl Gabriel, Christian Spieß, Katja Winkler (Hg.), Religionsfreiheit und Pluralismus. Entwicklungslinien eines katholischen Lernprozesses, Paderborn u.a.: Schöningh 2010 (Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt Bd. 1). Organisation: Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster (D).

Mit Beiträgen von Roman Anton Siebenrock, Silvia Scatena, Urs Altermatt, Wilhelm Damberg, Rudolf Uertz, Antonius Liedhegener, Hans Maier, Joseph A. Komonchak, Klaus Unterburger und Hartmann Tyrell.

Wie fand der Katholizismus zur Religionsfreiheit?

Die Monographie "Wie fand der Katholizismus zur Religionsfreiheit?" ist unser wichtigster eigener Forschungsbeitrag zum Thema. Hier werden "Faktoren der Erneuerung der katholischen Kirche" vorgestellt, erörtert und ausgewertet, und zwar jene Faktoren, die den erstaunlichen - weil  gerade die katholische Kirche durch eine präzise Definition und strikte Kontinuität ihrer Lehre geprägt ist - Lernprozess der Kirche ermöglicht haben. Der Band folgt dabei der These, dass eine ganze Reihe unterschiedlicher –  innerkirchlicher wie äußerer – Faktoren die Erneuerung der Haltung der Kirche zum Verhältnis von Religion und Politik, von Kirche und Staat möglich gemacht haben. Letztlich handelt es sich um den Verzicht der Kirche auf politische Gewalt, um die Beschränkung auf eine zivilgesellschaftliche Rolle, die exemplarischen Charakter haben könnte für den Gewaltverzicht religiöser Traditionen über den Katholizismus und über das Christentum hinaus: Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen kann Religionsgemeinschaften ihre eigene Modernisierung gelingen?

Karl Gabriel/Christian Spieß/Katja Winkler, Wie fand der Katholizismus zur Religionsfreiheit? Faktoren der Erneuerung der katholischen Kirche, Paderborn u.a.: Schöningh 2016 (Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt Bd. 2).

Wir zeichnen in diesem Band die Textgenese der Erklärung über die Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil nach, die von schweren Kontroversen und Krisen geprägt war. Wir bestimmen die Begriffe der Moderne und der Religionsfreiheit und verorten Kirche und Katholizismus in der Moderne bzw. im Prozess der Modernisierung. Ein wichtiges Anliegen ist uns die Darstellung des Spannungsverhältnisses von Kirche und Katholizismus, weil die verschiedenen Gruppen innerhalb des Katholizismus in einer beachtlichen Pluralität zur normativen Modernisierung der Kirche beigetragen haben. Mann kann sicher sagen, dass die entscheidenden Impulse für die Anerkennung der Religionsfreiheit nicht aus dem kirchlichen Zentrum, sondern von der kirchlichen Peripherie kamen.

Einen Überblick über die Diskussion zur Frage, wie der Katholizismus zur Religionsfreiheit fand, bieten wir mit der Darstellung unterschiedlicher Positionen von Autoren, die dieser Frage nachgegangen sind. Das Spektrum reicht dabei von der Auffassung, dass ein "Bruch" in der kirchlichen Lehre überhaupt nicht möglich ist bei A.F. Utz über die Differenzierung von unterschiedlichen Ebenen (nämlich einer theologischen und einer verfassungsrechtlichen Ebene) bei W. Kasper und die Darstellung eines normativen Wandels (nämlich einer "personalethischen Wende") bei R. Uertz bis zur These, dass es sich um einen glatten Traditionsbruch (um eine "Kopernikanische Wende") handele, bei E.-W. Böckenförde.

Unsere eigene Position entwickeln wir dann im Rahmen der Analyse der bereits erwähnten "Faktoren der Erneuerung". Zu diesen Faktoren zählen der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechtserklärung und die Entwicklung der globalen Organisationen  (UN), die wirtschaftliche Entwicklung (das "goldene ökonomische Zeitalter" von 1950 bis 1973), die Blockkonfrontation und der kalte Krieg - bis dahin also "externe" Faktoren der Erneuerung der Kirche -, der US-amerikanische Katholizismus und insbesondere der Beitrag von John C. Murray, die oben bereits angedeutete katholizismusinterne Pluralität, der politischer Katholizismus, die katholischen Parteien und die Christdemokrati, das katholische Vereins- und Verbandswesen sowie schließlich die Konzilsdynamik und das päpstliche Charisma (übrigens nicht nur von Johannes XXIII., sondern auch von Paul VI.) - also "interne" Faktoren der Erneuerung.

Wir gehen abschließend davon aus, dass die Anerkennung der Religionsfreiheit durch die katholische Kirche das Ergebnis eines zweistufigen Lernprozesses war: Zunächst näherten sich Teile des Katholizismus der Idee der Religionsfreiheit an. An der - vom kirchlichen Zentrum aus gesehen - Peripherie vollzog sich eine praktische (etwa in den Verbänden und Vereinen) und eine theoretische (in verschiedenen katholischen Theologien und theologischen Ethiken) Affirmation an das normative Projekt der Moderne. Diese Zustimmung zu Freiheitsrechten und zur Demokratie als Staatsform sowie zur Trennung von Religion und Politik konnte dann während des Zweiten Vatikanums in das römische Zentrum getragen werden, wobei die US-amerikanische Theologie, namentlich John C. Murray, und die US-amerikanischen Konzilsväter eine bedeutende Rolle spielten. Dass der Argumentationsdruck der kirchlichen Peripherie so groß wurde, dass das Konzil schließlich der Anerkennung der Religionsfreiheit zustimmte, ist sowohl auf plausible und geschickte Argumentation der Befürworter der normativen Modernisierung der Kirche zurückzuführen (insofern beispielsweise dieser Schritt gerade nicht als Traditionsbruch, sondern als in der Kontinuität der kirchlichen Tradition stehend dargestellt wurde) als auch auf die äußeren Umstände, also auf externe "Faktoren der Erneuerung".

Schwierig zu beantworten ist die Frage, ob aus den Ergebnissen Annahmen über die normative Modernisierung von Religionsgemeinschaften im Allgemeinen abzuleiten sind. Einerseits erscheint das möglich: Religionsgemeinschaften dürften eher Anschluss an der modernen Verfassungsstaat, an Demokratie und Menschenrechte finden, wenn sie positive Erfahrungen in solchen Verfassungsstaaten machen. Insoweit erscheint es kontraproduktiv, Religionsgemeinschaften unter Druck zu setzen und zur normativen Modernisierung zu trennen; erfolgversprechender erscheint es vielmehr, im säkularen Staat weite Spielräume für die Religionsausübung zu schaffen sowie die Beteiligung der religiösen Akteure an zivilgesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen, zu fördern und zu begrüßen. Andererseits bietet die besondere Struktur des Katholizismus die außergewöhnliche Chance, dass eine normative Neuorientierung zentral beschlossen und dann in der ganzen Religionsgemeinschaft gewissermaßen "vollzogen" wird. Hier zahlt sich der katholische Zentralismus einmal positiv aus. In weitläufiger organsierten Religionsgemeinschaften ist ein solcher "Akt" der Anerkennung der Religionsfreiheit nicht möglich. Deshalb ist der Vorbildcharakter der Anerkennung der Religionsfreiheit durch die katholische Kirche für ähnliche Prozesse in anderen Religionsgemeinschaften begrenzt.

Gewaltverzicht religiöser Traditionen

Die Thematik des "Gewaltverzichts" religiöser Traditionen dreht sich natürlich in erster Linie um den Verzicht auf politische Gewalt, also um die Frage, in welcher Weise Religion und Politik, religiöse Organisationen und der Staat aufeinander zu beziehen sind, ob sie getrennt sind oder ob es Verbindungen gibt, auch darum, welche Privilegien Religionsgemeinschaften gegebenenfalls in einem politischen Gemeinwesen genießen sollen. Gerade in dieser Hinsicht könnte der "katholische Lernprozess" zur Anerkennung der Religionsfreiheit wichtige Hinweise bieten für die Frage, wie auch andere Religionsgemeinschaften den Weg zur Anerkennung des säkularen Staates vollziehen können - auch wenn die Bedingungen im Katholizismus mit seiner zentralistischen Organisationsform, die eine konsequente Neupositionierung zu einem bestimmten Zeitpunkt ermöglicht, vermutlich unter den Religionsgemeinschaften einmalig sind.

Religion - Gewalt - Terrorismus

Nicht weniger brisant oder in unseren Tagen gar noch brisanter ist das Problem der physischen Gewalt, die mit Berufung auf die Religion bzw. auf eine religiöse Orientierung ausgeübt wird. Insbesondere der Terrorismus ist eines der prägenden Phänomene vieler Gesellschaften der Gegenwart und der internationalen Beziehungen. Der Zusammenhang von Religion und Gewalt gehört zu den umstrittensten Fragen der gegenwärtigen Diskussion. Die Anschläge islamistischfundamentalistischer Terroristen oder Terrornetzwerke werden zum Teil sehr eng mit religiösen Motiven in Verbindung gebracht – und zwar nicht zuletzt von den Tätern selbst. Wie es einerseits nicht angemessen erscheint, "die Religion" oder bestimmte Religionsgemeinschaften als grundsätzlich gewaltaffin zu bezeichnen, dürfte andererseits der schlichte Hinweis darauf, dass Religion mit Gewalt überhaupt nichts zu tun habe, auch nicht stichhaltig sein. In welchem Verhältnis also stehen Religion und Gewalt - und warum können sich gewaltausübende Personen auf religiöse Motive berufen?

Die Beiträge des Bandes "Religion - Gewalt - Terrorismus" gehen neben der Frage nach der Verbindung von Religion und Terrorismus auch dem Problem der nationalen und internationalen Terrorbekämpfung nach und diskutieren die Motive für Terrorismus und verschiedene Wege der Terrorismusbekämpfung (sozial)ethisch. Aus der Verbindung religionswissenschaftlicher, religionssoziologischer und sozialethischer Perspektiven resultiert ein differenziertes Bild der gegenwärtigen Debatte.

Karl Gabriel, Christian Spieß, Katja Winkler (Hg.), Religion - Gewalt - Terrorismus. Religionssoziologische und ethische Analysen, Paderborn u.a.: Schöningh 2010 (Katholizismus zwischen Religion und Gewalt Bd. 3).

Mit Beiträgen von Hans G. Kippenberg, Christian Spieß, Johannes J. Frühbauer, Verena Voigt, Wolfgang S. Heinz, Sebastian Schilling, Christoph Baumgartner, Hans-Gerd Angel, Katharina Klöcker und Wolfgang Palaver.

Modelle des religiösen Pluralismus

Die Gegenwart ist geprägt von einer Pluralität religiöser Bekenntnisse sowie anderer Weltanschaungen und Lebensmodelle. In einigen westlichen Gesellschaften verlieren religiöse Orientierungen und Artikulationsweisen, Symbole und Semantiken an Bedeutung, in anderen vollzieht sich keine Abnahme, sondern ein Wandel der Religiosität. Tatsächlich scheint sich in globaler Perspektive die »Säkularisierung« weniger als Rückgang der Religiosität insgesamt, sondern als zunehmende Pluralisierung des Religiösen zu vollziehen. Politische Gemeinwesen sind herausgefordert, das Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen und Religionen im Rahmen einer Religionspolitik zu gestalten. Der Band "Modelle des religiösen Pluralismus" versammelt neben empirischen Analysen der religiösen Pluralität und des Umgangs mit dieser Pluralität systematische Perspektiven aus rechtswissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher und politisch-philosophischer Sicht, die verschiedene Möglichkeiten der Gestaltung des religiösen Pluralismus repräsentieren. Auch das Christentum und sogar der Katholizismus, der häufig als Paradebeispiel einer einheitlichen, in Hinsicht auf das eigentliche religiöse Bekenntnis im Grunde homogenen Gemeinschaft dienen muss - war und ist geprägt von einer beachtlichen inneren Pluralität und hat früh Konzeptionen des Zusammenlebens in religiös pluralen Gesellschaften entwickelt, wie Beispiele aus dem frühen Christentum und aus dem Mittelalter zeigen.

Karl Gabriel, Christian Spieß, Katja Winkler (Hg.), Modelle des religiösen Pluralismus. Historische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven, Paderborn u.a.: Schöningh 2012 (Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt Bd. 5).

Mit Beiträgen von Martin Ebner, Christoph Auffahrt, Wilfried Loth, Karl Gabriel, Christian Spieß, Detlef Pollack/Nils Friedrichs, Judith Könemann/Ansgar Jödicke, Volkhard Krech, Christian Walter, Ulrich Willems, Hermann-Josef Große Kracht, Thomas Gutmann, Katja Winkler und Thomas M. Schmidt.

 

Die wichtigsten Texte zur Interpretation der Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil

Die Anerkennung der Religionsfreiheit durch die katholische Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist nicht zuletzt eine Lerngeschichte, die im Spiegel von Texten nachvollzogen und interpretiert werden kann. Vor allem mit der Erklärung »Dignitatis humanae - Über die Religionsfreiheit« verabschiedet sich die Kirche von der Vorstellung eines »katholischen Staates« und bestätigt damit lehramtlich die Trennung von Religion und Politik. In älteren lehramtlichen Texten vor allem des 19. Jahrhunderts wird dagegen eine andere Position vertreten und auch ein recht harscher Ton angestimmt. In dem Band "Die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Texte zur Interpretation eines Lernprozesses" werden (teilweise lat./dt.) ältere Texte neueren Texten gegenübergestellt - auch um eine leicht zugängliche Diskussionsgrundlage bereitzustellen, denn nicht selten fährt sich die Debatte schon in der Frage fest, was denn eigentlich genau in den entscheidenden Dokumenten zu lesen sei.

Nachdem die katholische Kirche im 19. Jh. und bis weit in das 20. Jh. hinein bestimmte Freiheitsrechte, wie eben die Religionsfreiheit, entschieden abgelehnt und an der Idee eines konfessionellen Staates festgehalten hat, war der Schritt zu ihrer Anerkennung eine enorme Herausforderung. Dies nicht zuletzt, insoweit die Frage der Kontinuität der kirchlichen Lehre im Raum stand: Gewiss auch vielen Konzilsvätern galt die Vorstellung als nahezu monströs, dass die Kirche jahrhundelang das Falsche gelehrt haben könnte (oder von nun an das Falsche lehren sollte). Wie also lassen sich Aussagen, die zueinander in einem offensichtlichen Widerspruch stehen, in die Vorstellung einer zumindest grundsätzlichen Kontinuität der kirchlichen Lehre integrieren? Auch zu diesem Problem versammelt der Band Texte aus recht unterschiedlichen Perspektiven. Die Beiträge können vielleicht als Schlüsseltexte für das Verständnis dieses erstaunlichen Lernprozess der katholischen Kirche, für ihren Schritt der Affirmation an das normative Projekt der Moderne dienen.

Nachdem die katholische Kirche im 19. Jh. und bis weit in das 20. Jh. hinein bestimmte Freiheitsrechte, wie eben die Religionsfreiheit, entschieden abgelehnt und an der Idee eines konfessionellen Staates festgehalten hat, war der Schritt zu ihrer Anerkennung eine enorme Herausforderung. Dies nicht zuletzt, insoweit die Frage der Kontinuität der kirchlichen Lehre im Raum stand: Gewiss auch vielen Konzilsvätern galt die Vorstellung als nahezu monströs, dass die Kirche jahrhundelang das Falsche gelehrt haben könnte (oder von nun an das Falsche lehren sollte). Wie also lassen sich Aussagen, die zueinander in einem offensichtlichen Widerspruch stehen, in die Vorstellung einer zumindest grundsätzlichen Kontinuität der kirchlichen Lehre integrieren? Auch zu diesem Problem versammelt der Band Texte aus recht unterschiedlichen Perspektiven. Die Beiträge können vielleicht als Schlüsseltexte für das Verständnis dieses erstaunlichen Lernprozess der katholischen Kirche, für ihren Schritt der Affirmation an das normative Projekt der Moderne dienen.

Karl Gabriel, Christian Spieß, Katja Winkler (Hg.), Die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Texte zur Interpretation eines Lernprozesses, Paderborn u.a.: Schöningh 2013 (Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt Bd. 4).

Der Band enthält die Enzyklika Quanta cura (lt./dt.), die Konzilserklärung Dignitatis humanae (lt./dt.) und die Toleranzansprache von Pius XII. sowie dreizehn erläuternde Texte der Herausgeber, außerdem Beiträge von Benedikt XVI., John C. Murray, Reinhold Sebott, Walter Kasper, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Arthur-Fridolin Utz, Josef Isensee, Pietro Pavan und Augustin Bea.