Vortragsreihe Stoffwechsel - Einzelvorträge

Islamische Kleidervorschriften als Herausforderung.

Über „Mode, Selbstinszenierung und zeitgenössische Kunst mit Blick auf den Iran“ kamen Künstlerin Michaela Ortner und Julia Allerstorfer bei der Vortragsreihe STOFFWECHSEL ins Gespräch.

Es war kein rein akademisches Gespräch, das sich am 29. April 2015 bei STOFFWECHSEL. Mode zwischen Globalisierung und Transkulturalität entwickelte: Sowohl Michaela Ortner als auch Julia Allerstorfer kennen Iran, insbesondere Teheran, aus eigener Erfahrung – und dementsprechend zeigten sich das wissenschaftliche Interesse und die theoretische Reflexion der Gesprächspartnerinnen durchdrungen von direktem Erleben: der Religion, Kultur, der Menschen. Immer wieder wurde auf dieses Erleben rekurriert, nicht zuletzt in den Fragen des Publikums.

Künstlerin Michaela Ortner arbeitete im Sommer 2014 im Rahmen des „Artist in Residence“-Programms des österreichischen Kulturforums in Teheran. Dort sind die Arbeiten „Kleider machen Frauen“ und „Dior in Teheran“ entstanden als Untersuchung über Mode(n) und ihre Schnittstelle(n) zur Kunst. Denn welche modischen Erscheinungsformen kann es in einem Land geben, in dem die Verhüllung der Frau vorgeschrieben ist? Sie sei mit dem Vorurteil nach Iran gekommen, dass alle Frauen unterschiedslos in schwarze Tschadors gehüllt seien (und dieses Vorurteil spiegelte sich auch im mitgebrachten Konzept für eine konkrete Arbeit) – nur war das Bild mit der Realität nicht in Einklang zu bringen, genauso wenig wie das vorbereitete Konzept dieser gerecht werden konnte.

In der Konfrontation mit der Lebenswirklichkeit von Frauen, die die Reglementierungen des Verschleierungsgebots sehr individuell umsetzen, entstanden die beiden vorgestellten Arbeiten. Für „Kleider machen Frauen“ bat Ortner Frauen, sich von ihr fotografieren zu lassen; zwar waren dazu bei weitem nicht alle bereit, entstanden ist dennoch eine Serie eindrücklicher Porträtaufnahmen, die selbstbewusste und die religiösen und kulturellen Bedingungen gestaltende Frauen zeigen.

Mit der Anordnung der Fotografien wollte Ortner zusätzlich eine bloß dokumentarische Lesart der Arbeit aufbrechen. Ausgehend von einem Zitat der Juristin und Frauenrechtsaktivistin Shirin Ebadi, das die rigide Praxis des Verhüllungsgebots Mitte der 1990er Jahre festhält, legt sich eine Zeitachse über die zu einem „Individualitätscluster“ zusammengeführten aktuellen Porträts – in denen sichtbar wird, wie sehr sich die Praxis (trotz weiterhin vorkommender Bestrafungen) geändert hat – hin zum Porträt eines jungen Mädchens. Die Zukunft ist in viele Richtungen offen, so könnte man lesen: Wie wird die Praxis aussehen, wenn das Mädchen das verschleierungspflichtige Alter erreicht?

Für „Dior in Teheran“ griff Ortner das Gebot auf, wonach in der Moschee ein Gebetsschleier zu tragen sei – was bedeutet, dass bereits verschleierte Frauen einen zweiten Schleier überwerfen müssen. In Fotografien, die diese Szenen bei der Imam-Zade-Moschee in Tajrisch dokumentieren, fügt Ortner Abbildungen von verschleierten Dior-Models ein, deren Hautpartien und Haare in den offiziell angebotenen Zeitschriften schwarz übermalt sind – die doppelt verhüllten realen Frauen am Eingang der Moschee wandeln so neben und zwischen den doppelt verhüllten Models. Dass im Internet diese Zensur trotz entsprechender Versuche nicht greift und man bei ein wenig technischer Findigkeit alles auch ungeschwärzt betrachten kann, ist nur eine der Beobachtungen, die Michael Ortner und auch Julia Allerstorfer in Iran immer wieder machten.

Schleier als Projektionsfläche

In die von radikalen Brüchen gekennzeichnete Geschichte der Verschleierung und in die vielen verschiedenen Arten des Schleiers führte Julia Allerstorfer ein. Wie kaum bekannt oder bewusst ist, dass sich in der Geschichte Irans Schleiergebote und Schleierverbote abwechselten – mit immer wieder ganz ähnlichen Reaktionen, Sanktionen und Bestrafungen, nur unter umgekehrten Vorzeichen –, so ist auch die Wahrnehmung des Phänomens Schleier im „Westen“ eine sehr eindimensionale. Tschador, Hijab, Manteau, Roosari und noch andere Schleierarten gibt es, und jeder Schleier kann auch als modisches Statement getragen und gestaltet werden, mit jeder dieser Schleierformen lässt sich – in mehr oder weniger weitem Rahmen – individuell spielen, lässt sich etwas Persönliches formulieren – und das auch jenseits religiöser, ideologischer oder politischer Motive. „Der Schleier“ nimmt so die Funktion einer vielgestaltigen Projektionsfläche an – nicht nur für Trägerinnen, sondern auch für die Wahrnehmung von außen; wenn dieses Außen kulturell und geografisch sehr weit weg ist, bleibt von dieser Vielgestaltigkeit freilich meist wenig übrig.

Im letzten Teil des Gesprächs wurden künstlerische und modische Strategien des Umgangs mit dem Schleier vorgestellt: Junge iranische Modedesignerinnen legen, durchaus in bewusster Bezugnahme auf Traditionen, Schleier und Verhüllung neu aus, buchstabieren die Gebote auf eigene Weise – und unterlaufen mit flüchtig-dynamischen Vertriebswegen in den Sozialen Medien und privaten Modeschauen Kontrolle und Einflussnahme. Fast völligen scheinen öffentlich und privat auseinandergetreten, scheinen die Räume abgekoppelt – und hier, im Privaten, zeigt sich mitunter das Bild einer ganz anderen jungen Generation in einem ganz anderen Iran. Künstlerisch findet diese kulturelle und auch gesellschaftliche Spannung Ausdruck in Arbeiten wie Amirali Ghasemis Serie „Party“ (2005) und in Shirin Aliabadis Serie „Miss Hybrid“ (2008).

Beim nächsten Termin der Vortragsreihe STOFFWECHSEL am 20. Mai 2015 (18:00–19:30 Uhr) sprechen Cornelia und Holger Lund zum Thema: „Zwischen Tribalismus und Globalität – Mode-Performance im zeitgenössischen afrikanischen Musikvideo“.

Romina Tischberger / Reinhard Kren

5.5.2015/he