Martin Sturm über Perspektiven der Kunstarbeit in Linz

"Kunstarbeit in Laborsituationen" stellte Martin Sturm, künstlerischer Leiter des Oberösterreichischen Kulturquartiers, im Gespräch mit Martin Hochleitner im Rahmen des dritten und letzten Teiles der Gesprächsreihe am 26. Jänner 2015 vor.

Nach Stella Rollig (Lentos) und Gabriele Spindler (Landesgalerie Linz) war am letzten Abend der Gesprächsreihe Perspektiven der Kunstarbeit in Linz mit Martin Sturm der Leiter einer Kultureinrichtung zu Gast, die im Vergleich zu einem Museum einen ganz eigenen institutionellen Charakter trägt.

Im OK, dem Offenen Kulturhaus in Trägerschaft des Landes Oberösterreich, findet Kunst statt – hier wird Gegenwartskunst produziert, präsentiert, transformiert. Kunst wird hier aber nicht deponiert: das OK sammelt nicht und kauft nicht an; es stellt seit seiner Gründung im Jahr 1991 Produktionskompetenz zur Verfügung. Diese „Laborsituation“ ermögliche, so Martin Sturm, eine Fokussierung auf die je aktuellen Projekte. Und sie bedeute auch eine ganz spezifische Entlastung: Man baue keine gegenständliche Geschichte auf – wenn, dann eine vermittels der je zu ihrer Zeit realisierten Projekte; man müsse nicht mit einer Sammlung arbeiten – denn jede Sammlung will kuratorisch bearbeitet werden; man könne so auf eine ganz andere Art ins Offene sich entwickeln als in einem klassischen musealen Kontext.

In einem Gang durch die Geschichte der Einrichtung, beginnend beim O.K. – Centrum für Gegenwartskunst, dem Sturm seit 1992 vorsteht und dessen Bezeichnung sich auch immer wieder leicht geändert hat, bis hin zur Etablierung des Oberösterreichischen Kulturquartieres, dessen künstlerische Leitung er seit 2012 innehat, gab Martin Sturm Einblicke in sich wandelnde Bedingungen, Erwartungen und Herausforderungen der Kunstarbeit im urbanen Raum.

Nachhaltig gewandelt habe sich beispielsweise die Erfordernis, zur Realisierung medienbasierter Kunstprojekte Einrichtungen zur Verfügung zu stellen: Was in den frühen 1990er Jahren für Künstler/innen eine Notwendigkeit war – die Schaffung realer Räume, wo technisches Equipment für eine Umsetzung vorhanden ist, auf einer noch grundlegenderen Ebene aber die Schaffung von Atelierraum überhaupt –, hat sich räumlich gewissermaßen aufgelöst und zerstreut: Es wird netzbasiert und in unterschiedlichsten „beweglichen“ Kontexten gearbeitet, jeder durchschnittliche Laptop bietet Möglichkeiten, die vor wenigen Jahren utopisch waren – und mittlerweile sind „Residencies“, bei denen Künstler/inne/n Atelierräume zur Verfügung gestellt werden, eine so etablierte Praxis, dass auch dieser Raumbedarf gemindert erscheint.

Ebenso gewandelt habe sich, mit Blick auf Institutionen und Formate, die Durchlässigkeit: Heute etwa seien Projekte auch im Museumsbereich gang und gäbe, die vor 20 Jahren nur in einer Einrichtung wie dem O.K. umgesetzt worden wären. Im Übrigen sei, Martin Sturm betonte es ebenso wie zuvor Stella Rollig und Gabriele Spindler, die gute Zusammenarbeit der Linzer Kunst- und Kulturinstitutionen eine besondere Qualität der Arbeit vor Ort.

„Art into the City“ war der programmatische Titel einer kurzen Präsentation der Projekte Schaurausch (2007), Tiefenrausch (2008) und Höhenrausch (2009). Bei aller Geschichtslosigkeit der Institution und auch trotz des bewussten Gegenentwurfs zum klassischen Museum wollte man von Anfang an ein Programm entwickeln, das jenseits bloß beliebiger Offenheit die Institution definiert: Gegenwartskunst, insbesondere installative und mediale Arbeiten sollten in der „Laborsituation“ des Hauses einen Raum finden. War das ursprünglich überwiegend ein Innenraum, so hat sich das O.K. – und als neue Dachmarke das Oberösterreichische Kulturquartier – zu einem Labor im urbanen (Außen-)Raum weiterentwickelt. Oder anders gesagt: Die künstlerischen Projekte haben auf den urbanen Raum ausgegriffen und definiert diesen immer wieder neu. Virulente Fragen der Stadtentwicklung werden dadurch ebenso aufgenommen und reflektiert wie die Diskussionen über Kunst im öffentlichen Raum, über den Kunstbegriff als solchen, nicht zuletzt aber auch über Begriff und Vorstellung des öffentlichen Raumes selbst.

Dass mit der „Rausch-Trilogie“ ein Nerv getroffen wurde, spiegelt sich nicht nur in beeindruckenden Besucherzahlen und der auch internationalen Rezeption der Ursprungsprojekte. Es zeigt sich auch darin, dass der Höhenrausch im wahrsten Sinne des Wortes in weiteren Projekten gipfelte – und die Gipfelbildung noch nicht abgeschlossen ist: An Höhenrausch.2 Brücken im Himmel (2011), Höhenrausch.3 Die Kunst der Türme (2013) und Höhenrausch 2014 Bewegte Räume lässt sich ganz konkret ablesen (und noch konkreter ergehen), wie der öffentliche Raum schrittweise gestaltet, umdefiniert, neu verstanden, ja durch Kunst auch „besetzt“ wird – etwas, das in diesem Format weiter ausgebaut und durchgespielt wird, wie der Ausblick Sturms auf mögliche Erweiterungen deutlich machte.

 

Im lebendigen Gespräch zwischen Martin Sturm und Martin Hochleitner, an das sich auch ein Austausch mit dem Publikum schloss, wurde eines ganz besonders spürbar: Die Begeisterung und die Energie Sturms, mit der er „Kunst in die Stadt“ bringt, und das seit Jahrzehnten. Wenn Martin Hochleitner in der Anmoderation an die gemeinsame Zeit in der Kulturabteilung des Landes Oberösterreich erinnerte und den Zuhörer/innen verriet, dass Martin Sturm für ihn damals „der wilder Hund“ gewesen sei, konnte man die Verve ermessen, mit der Martin Sturm in Linz und Oberösterreich jahrelang kulturelle Basisarbeit geleistet hat – und wie viel davon er in die Institution Kulturquartier mitgenommen hat.

Und das lässt mit Spannung erwarten, welche Projekte unter seiner künstlerischen Leitung in die Stadt gebracht werden … vielleicht wird – man kann und darf in Institutionen bekanntlich durchaus langfristig denken – ein konzeptueller künstlerischer Sprengsatz aus dem OK bei der Landesgartenschau Wilhering Linz: „Stadt-Land-Fluss: Neue Wege – Neue Ziele“ (2021) unverhofft eine ganz neue „Natur“ im urbanen Raum freilegen …
 

Martin Sturm, geboren 1957, studierte Germanistik, Erwachsenenbildung und Amerikanische Kulturkunde, war nach einer Tätigkeit in der Kulturförderung ab 1992 Direktor des O.K. Centrums für Gegenwartskunst und ist seit 2012 künstlerischer Leiter des Oberösterreichischen Kulturquartiers.

Bildnachweis: KTU

29.1.2015/rk/he