Heft 1/2013: Postsäkular

Der Blick vom Hradschin auf die Prager Stadtsilhouette zeigt ein historisch gewachsenes, homogenes Panorama mit dominierenden Kirchtürmen, Kuppeln und Klostergebäuden in Harmonie mit Profanbauten unterschiedlichster Epochen. Der pittoreske Postkartenblick auf eine organisch gewachsene, urbane Landschaft aus Profan- und Sakralarchitektur hat allerdings mit der gesellschaftlichen Realität nur wenig zu tun. Tschechien gilt nicht erst seit den Dekaden des Kommunismus als eines der am stärksten säkularisierten Länder Europas. Die „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) hat hier früher begonnen und ist weiter fortgeschritten als in anderen Teilen des europäischen Kontinents. Zwei Autostunden östlich der tschechischen Hauptstadt eröffnet sich eine ganz andere Welt: Menschenleer und gottverlassen erscheint das ehemalige Sudetenland, wo man nur dann und wann verlassenen und verfallenden Dörfern mit Kirchenruinen begegnet. Genau in diesem Gebiet hat sich aber erstmals in Tschechien der Schweigeorden der Trappisten niedergelassen. Mit dem Bau der neuen Kirche und des Klosters haben sie mit John Pawson einen Architekten beauftragt, der sich bis dahin ganz profanen Bauaufgaben, wie den Flagship- Stores der Modekette Calvin Klein gewidmet hatte. Seine Kirche im tschechischen Nový Dvůr ist inzwischen zu einer der Inkunabeln von Re-Sakralisierungstendenzen im Kirchenbau am Beginn des 21. Jahrhunderts geworden. – Haben diese Phänomene miteinander zu tun, oder sind sie nur Ausdruck einer zufälligen Koinzidenz?

Vorwort und Inhalt