Jürgen Hörletzeder an der Abo Akademi in Turku, Finnland.
Wie wohl weitbekannt ist, hat der Coronavirus Anfang März Einzug in Europa gehalten. Hektisch wurde an allen Fronten darüber berichtet, nach Österreich zu kommen und aus dem Ausland abzureisen. Es war auch schwer an Informationen zu kommen, da niemand wirklich wusste was passieren wird, oder noch immer nicht weiß. Nach Telefonaten mit der österreichischen Botschaft in Helsinki und dem österreichischen Außenministerium, habe ich aber gegen ihren Ratschlag beschlossen, hier in Turku Finnland zu bleiben und bin in Retroperspektive auch sehr froh darüber.
Während der ersten Woche, nachdem die Universität geschlossen hatte, war es für mich schwierig, einen Tagesablauf festzulegen und ich konnte mich noch gut an die Aufgaben halten, die ich vom Anfang des Semesters übrighatte. Ich denke, zu sagen dass der Lockdown eher ein Klassenproblem als ein allgemeines Problem ist, hat einiges an Wahrheit. Mir ist in den Wochen seit dem Lockdown nie langweilig geworden und ich hatte ohne Probleme immer etwas für die Universität in Finnland zu erledigen.
Auch schon vor dem Virus war ein gewisser Teil des finnischen Studienprogramms auf online-Betrieb ausgelegt. Die Arbeiten waren selbständig abzuhalten und konnten von zu Hause ohne Probleme fertiggestellt werden. Auch wurden sehr schnell die Sitzungen mit Zoom abgehalten und es kehrte im Laufe von zwei Wochen eine neue Routine ein. Mir fiel somit nicht sehr schwer meine Hochschultätigkeiten fortzusetzen, wobei mir schon sehr bewusst wurde wie sehr die Qualität an einer solchen Distanz leidet. Ich denke das gemeinsame Lehren und Lernen mit psychischer und physischer Anwesenheit erlaubt einen Austausch auf höherer Qualität. Es wurde auch sehr schnell klar, dass Probleme mit den Onlinemedien vorhanden waren, obwohl diese hier schon stark in den Alltag integriert waren.
Zum Alltag in Finnland hat sich aus meiner Meinung nicht so viel geändert. Es haben öffentliche Orte geschlossen und auch Restaurants etc., aber es hat nie dieses Gefühl der Angst in der Bevölkerung geherrscht, welches in Österreich allgegenwärtig war und ich auch über meine Familienmitglieder und Freunde mitgeteilt bekommen habe. Dazu muss man sagen, dass in Finnland schon von sich aus eine Kultur herrscht, in der dem anderen Individuum Respekt gezeigt wird, indem man ihm oder ihr seine Autonomität lässt. Es wurden vom Staat Tipps gegeben und die Menschen haben sich auch im Großteil darangehalten.
Ich denke, was mir nach sehr kurzer Zeit klar geworden ist, ist wie privilegiert ich war. Ich lebe hier in Turku in einem alten Krankenhaus, welches nun ein Studentenheim ist. Im Moment lebe ich mit 6 Personen in einem Stockwerk, letztes Semester waren es sogar 16. Ich fühlte mich nie allein und konnte die Abende mit meinen Freundinnen verbringen und mir wurde auch sehr bald klar wie wichtig und essentiell dies für meine Gesundheit ist, denn um ehrlich zu sein, nagt dauerndes Lernen sehr an meiner Substanz. Und im Studium der Philosophie und Kunstwissenschaft kann dies ein sehr einsames Leben sein. Das Miteinander mit meinen Mitbewohnerinnen hat einen größeren Stellenwert erhalten und die nun eingeführten Fernsehabende waren etwas, worauf ich mich sehr gefreut habe. Normalerweise wäre ich in der Stadt gewesen, hätte Akrobatik gemacht oder getanzt oder wäre in die Sauna gegangen, doch dieser Alltag war mir leider nicht mehr zugänglich.
Der zweite Pfeiler, der mir sehr in dieser Zeit geholfen hat, war die Natur. Turku beherbergt 200 000 Einwohner und doch findet sich in dieser Stadt mehr Natur als man für eine Stadt wohl möglichhalten würde. Ich kann von meinem Wohnort in einer dreiviertel Stunde ans Meer gehen und es ist keine Seltenheit, dass mir auf diesem Weg Eichhörnchen, Rehe oder Hasen begegnen. Finnland verfügt über ein ausgebautes Netz an Wanderwegen, welche auch durch die Stadt führen. Fast täglich benutzte ich diese, um meinen Kopf frei zu bekommen. Es war wichtig für meinen Ausgleich.
Die meisten Menschen haben sich hier freiwillig zurückgezogen, obwohl dies schon vorher ein Teil der finnischen Kultur war. Ich muss sagen, dass mir als Student, der Förderungen bekommt, sehr schnell klar wurde, dass ich mit weniger Sorgen als viele ÖsterreicherInnen zu kämpfen hatte. Ich hatte nicht das Gefühl hilflos zu sein, ich war abgesichert und meinen Freunden in Finnland ging es ähnlich, selbst ein befreundeter Restaurantbesitzer hat mir versichert, dass das finnische Sozialsystem ihm helfen wird.
Ich bin froh hier geblieben zu sein, wo der Umgang mit der Krankheit, nicht von Angst dominiert wurde und ich die Möglichkeit gehabt habe mit Menschen gemeinsam diese Zeit zu überstehen. Auch muss ich sagen, dass ich meine Erfahrungen aus einer speziellen Blase sehe, da ich zu dieser Zeit fast nur mit anderen Erasmus-Studentinnen verkehrt habe und wenig, wenn dann digital mit Finninnen und Finnen, kommuniziert habe. Was mir aber schnell bewusst wurde, ist eine Akzeptanz der Menschen zu den Maßnahmen und selbstverantwortliches Handeln für alle Beteiligten. Es wurde aber auch versucht, den Menschen noch Freiheiten zu lassen und die Natur blieb ein vielbesuchter Ort wo man wieder Kraft tanken konnte.
Jürgen Hörletzeder studiert im 3. Semester des BA-Studiums Kunstwissenschaft und Philosophie an der KU Linz und war im Studienjahr 2019/20 in Turku, Finnland.
11.5.2020/pk, kd