Siglinde Lang an der Yerevan State Academy of Fine Arts, Armenien.
Als eine der ältesten Hochkulturen sind es Jahrtausende bewegter Historie, ein unglaublicher Reichtum an Kunstschätzen und architektonischen Bauten sowie der – vor allem auch in der Kunst des 20. Jahrhunderts vielfältig thematisierte - Genozid, der das katholische (Hoch)Land mit seiner landschaftlichen Schönheit prägt. Mit ihrer Gastfreundschaft vermitteln mir Mitarbeiterinnen und Studierende der Yerevan State Academy of Fine Arts ein unmittelbares Gefühl der Herzlichkeit und Offenheit – und eine Fülle an Momenteindrücken lässt mich die Atmosphäre dieses Landes erahnen.
Ob ich denn nicht doch ein wenig russisch oder zumindest französisch sprechen würde, werde ich täglich mehrmals gefragt. Viele junge Armenier und Armenierinnen lernen zwar Englisch in der Schule, doch auch an der State Academy of Fine Arts Yerevan, an der ich für eine Woche zu Gast bin, sind Sprachbarrieren vorhanden. Trotz aller Bemühungen der großartigen und English fließend sprechenden Naira, die im International Office meine Ansprechperson ist, richtet sich meine erste Guest Lecture über Participatory Art in Public Spacean ein überschaubares Publikum. Doch dies stellt sich als Glück heraus. Denn so lerne ich Mary und Lusine, zwei bezaubernde, sympathische und engagierte junge Armenierinnen kennen. Die beiden sind Dozentinnen am Department für Art Studies und planen noch in diesem Studienjahr einen Gastaufenthalt an der KU Linz. An zeitgenössischer Kunst, meinem Vortrag und einem Austausch sehr interessiert, stellen die beiden viele Fragen zu den Forschungs- und Lehraktivitäten der KU Linz. Gemeinsam mit der aus Tschechien stammenden Austausch-studentin Linda, die wiederum hohes Interesse an Public Art hat, diskutieren wir intensiv in kleiner Runde.
Am Rückweg zum Hotel – und von dem langen Tag und Besuchen der Statue Mutter Armenia und der einzigartigen Blauen Moschee eigentlich schon recht müde– erlebe ich noch einen Kunstgenuss der besonderen Art: Ein Straßenmusiker interpretiert mit seinem Saxophon gängige Popsongs und bietet mir und den umstehenden Passant*innen ein eindrucksvolles Musikkonzert. Ich nehme – rein spekulativ - an, dass er einer der vielen jungen Russen ist, die derzeit in Yerevan leben. Zuvor war er wohl in einem klassischen Orchester professionelles Ensemblemitglied, denn er spielt auf höchstem Niveau. Seine Liebe zur Musik und Freude am Musizieren ist spürbar und zaubert all jenen, die - ob nur kurz oder doch länger – stehenbleiben ein Lächeln ins Gesicht. Es wird getanzt und es wird geklatscht.
Mit Mary, Lusine und Linda bin ich am nächsten Tag zum Mittagessen verabredet, um anschließend das Martiros Saryan Museum zu besichtigen. Denn Mary unterrichtet Kunstgeschichte, wobei ihr Fokus auf der modernen Kunst Armeniens sowie der Avantgarde der 60er/70er Jahre liegt. Martiros Saryan (1880-1972) kann wohl als bekanntester russisch-armenischer Maler bezeichnet werden. Nicht nur die Leuchtkraft seiner Bilder, die Farbfülle und die Techniken seiner Malerei beeindrucken mich, auch seine Biografie weist ein umfassendes Schaffen auf. So wurden auf seine Initiative hin die Kunstakademie und das Nationalmuseum in Jerewan gegründet. Mary empfiehlt mir noch einen Besuch der National Art Gallery, sodass ich dort einen guten Überblick über die künstlerischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts bekomme. Auf Anraten von Lusine besuche ich danach die temporäre Ausstellung In the heart of the instance des in Yerevan lebenden Fotografen Gagik Harutyunyan. Mit seinen Schwarz-Weiss Fotografien dokumentiert er Alltagsszenen der armenischen Zeitgeschichte – und bewegt mich sehr.
Mit seinen Bildern im Kopf setze ich mich auf eine Bank bei den Kaskaden – und erfreue mich in der Abendsonne am Blick über die Stadt und auf den Berg Ararat. Eine ältere Dame spricht mich an und will mir ein Glas ihres selbstgemachten Honigs verkaufen – sie hat Tränen in den Augen, ihre Hände zittern und sie hat merkbar Hunger. Die staatliche Pension in Armenien beträgt rund 60€ im Monat. So viele alte Menschen, die mir in diesen Tagen begegnen, wollen mir einen Strauß Blumen, ein paar Weintrauben, eine Handvoll Nüsse verkaufen – oder sie fegen den Eingangsbereich vor den chicen Stadtcafes blank. Es ist ihre Würde, nicht um Geld zu bitten oder zu betteln.
Bei meiner zweiten Guest Lecture können Mary und Lusine aus zeitlichen Gründen leider nicht dabei sein. Doch sie haben ihre Studierenden davon überzeugen können, sich keine Sorge wegen etwaiger sprachlicher Hürden zu machen. So ist mein Talk über Art matters: Renegotiating Urban Life & Civic Engagement viel besser besucht. Ich blicke in stets aufmerksame und freundliche Gesichter, bin mir jedoch beim Vortragen nicht sicher, ob die präsentierten Inhalte tatsächlich von Interesse sind. Umso mehr berühren mich die Fragen und Rückmeldungen der Studierenden– denn sie scheinen begeistert zu sein, wollen noch mehr Kunstprojekte kennenlernen, stellen viele Fragen und bedanken sich mehrfach auf´s Herzlichste für mein Kommen und meinen Vortrag. Von einer Studentin bekomme ich erneut zwei tolle Tipps, sodass ich im Anschluss noch das Museum über den georgisch-armenischen Dichter, Schriftsteller und Übersetzer Hovhannes Tumanyan aufsuche. Dieser ist vor allem aufgrund seiner Märchen, etwa auch einer Übersetzung des Grimm´schen Rotkäppchens, in Armenien sehr beliebt. Von dort aus spaziere ich in das sogenannte Kond-Viertel. Dieses ist mit seinen kleinen Steinhäusern nicht nur einer der ältesten Teile Yerevans, sondern auch für seine Street Art bekannt.
Am Folgetag besuche ich das Museum des Völkermordes, wobei mir mehrfach der Rat mitgegeben worden ist, mir dafür Zeit – auch im Anschluss – zu nehmen. Das 1995 anlässlich des 80-jährigen Gedenkens errichtete Museum dokumentiert in über 35 Stationen die politischen Entwicklungen, Ursachen und Auswirkungen des Genozids zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung ist exzellent aufbereitet und mit umfassenden Dokumenten und Bildmaterial um sachliche Vermittlung bemüht – und erschüttert zutiefst. Nach einem langen Spaziergang an der frischen Luft entscheide ich, nun auch noch in das Historische Museum zu gehen, da ich es mich drängt, mehr über die Geschichte Armeniens zu erfahren.
An meinem freien Tag möchte ich noch unbedingt den Sonnentempel in Garni, der im Jahre 77 erbaut und zwischen 1965 und 1975 aus verbliebenen Resten und - einem Erdbeben im 17. Jahrhundert geschuldet - Trümmern wieder errichtet wurde, besuchen. Die meisten Touristen buchen hierfür ein Taxi, ich entscheide mich die öffentliche Buslinie 266 zu nehmen. Der Minibus ist übervoll, ich zwänge mich auf einen Platz in der letzten Reihe. Während der 40-minütigen Fahrt lerne ich mit Hilfe meiner Sitznachbarin – und meines Reiseführers - die wesentlichen Buchstaben der armenischen Schrift, die aufgrund ihrer Einmaligkeit ebenfalls eine Besonderheit darstellt, kennen. Bei meiner Ankunft vor Ort kann ich nun zumindest Garni entziffern. Nicht nur, dass unser Gespräch viel Heiterkeit erzeugt hat, war ich von der etwa vierjährigen Tochter meiner Sprachlehrerin zutiefst beeindruckt. Trotz geringem Platz und zahlreicher Schlaglöcher war das Mädchen die gesamte Fahrt über vollkommen ruhig gestanden - mit einem Lächeln im Gesicht und ohne jegliches Quengeln.
Der Besuch in Garni hat mir auch Einblicke in die atemberaubende Landschaft Armeniens erschlossen – und ich wandere mit Blick auf teils schneebedeckte Berge durch das enge Tal am Fluss Azat, bevor ich mit dem Minibus wieder nach Yerevan zurückkehre. Leider geht sich an diesem Abend kein Treffen mit meinen Kolleginnen mehr aus. Ich schreibe noch Mails – um zumindest auf diese Weise meine Dankbarkeit und meineVorfreude, bald Kolleginnen aus Armenien in Linz begrüßen zu dürfen, zum Ausdruck bringen zu können.
Link zum Bericht auf der Homepage der State Academy of Fine Arts of Armenia.