Anna Minta und Veronika Müller an der University of Donja Gorica, Montenegro

"Architektur der radikalen Umbrüche. Baukulturen zwischen Tradition und Reformwillen" lautete das Seminarthema, das Univ.-Prof.in Dr.in Anna Minta und Univ.-Ass.in Mag.a arch. Veronika Müller an der Polytechnischen Fakultät der Universität von Donja Gorica vom 30. Oktober bis 2. November 2023 in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, anboten.

Dabei kann das Land, das erst 2006 unabhängig wurde, auf zahlreiche politische, kulturelle und religiöse Zäsuren zurückschauen. Auf antike und byzantinische Herrschaften folgten serbische und osmanische Regenten, etablierten sich Fürstbischöfe, unterwarf die österreichische Monarchie das Land, das wiederum mit dem russischen Zarenreich paktierte, bis infolge der Balkankriege und Weltkriege das Territorium Montenegros 1918 in das Königreich Jugoslawien integriert und nach 1945 unter Tito Bestandteil der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien wurde. Nach dem Tot Titos 1980 erlangten die Teilrepubliken politische Souveränität, Serbien und Montenegro bildeten als "Restjugoslawien" einen Staatenbund, aus dem 2006 zwei souveräne Staaten hervorgingen. Die politischen Umbrüche hatten territoriale Grenzverschiebungen sowie kulturelle und religiöse (orthodox, katholisch und moslemisch) Durchdringungen zu Folge, die sich in den verschiedenen Baukulturen und hauptstädtischen Planungsentwicklungen (zunächst Cetinje, ab 1946 Titograd/Podgorica) widerspiegeln.

Ziel der Lehrveranstaltung war es, in die Betrachtung von Architektur als politisches und soziokulturelles Ausdrucksmittel einzuführen. Folgende Fragen standen bei unseren methodisch-theoretischen sowie praktisch-exemplarischen Besichtigungen vor Ort im Zentrum: Wie versuchen politische Systeme, Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie andere zivile Planungsprojekte, revolutionäre oder reformorientierte Situationen in Architektur und Denkmälern auszudrücken? Wie beziehen sie sich auf die (nahe und ferne) Geschichte? Wie bringen sie ihre Konzepte für die Zukunft zum Ausdruck? Wie werden nationale Narrative und Visionen in die Architektur und Ikonographie integriert? Wie werden neue Konzepte sozialer Strukturen in neuen Visionen der Stadtplanung und Raumgestaltung dargestellt?

An den ersten beiden Tagen wurden Methoden und Theorien in Blocksitzungen erläutert und anhand der Linzer Architekturgeschichte exemplifiziert.

An den beiden nachfolgenden Tagen ging es ging es raus, vor Ort in die Stadt Podgorica und Umgebung. Angeleitet durch studentische Präsentationen folgten Diskussionen zu sowjetischen Regierungseinrichtungen (Abb.), Reformprojekten im Wohnungsbau (Abb.) sowie institutionellen, repräsentativen Einrichtungen der Erziehung (Abb.), der Kommunikation (Abb.), des Sports (Abb.) und des Tourismus (Abb.) und des Glaubens (Abb.).

Die brutalistischen Monumente, technoiden Konstruktionen und strukturalistischen Konzepte stehen für eine turbulente politische Geschichte und das Bedürfnis nach Repräsentation von Reform und Modernität sowie soziopolitischen Visionen in der Architektur, die oft rücksichtslos in vorhandenen Stadt- und Landschaftsstrukturen implantiert wurden. Die Architektin Svetlana Kana Radević hingegen versuchte, mit den von ihr entwickelten vernakularen Formen und Bezügen in der Architektur, zwischen dem Aufbruchswillen und lokalen/regionalen Traditionen und natürlichen Gegebenheiten zu vermitteln. Das denkmalgeschützte Hotel Podgorica (Abb.) und die Gefallenendenkmal Lješanska nahija, in Barutana bei Podgorica (Abb.) sind eindrucksvolle Beispiele dafür.

Für die Studierenden einer stark praxisorientierten Polytechnischen Fakultät war es zunächst ungewohnt, nach historischen Referenzen, politischen Konzepten und symbolischen Qualitäten zu fragen und deren ästhetische, konzeptionelle Umsetzung in die Architektur zu analysieren. Die Vor-Ort-Besichtigungen haben dann aber zu einer aufgelockerten und diskursiven Atmosphäre und fruchtbaren Auseinandersetzung geführt.

Text und Fotografien AM/VM