Heft 2/2023: Interspiritualität. Die Kunst der (Ver-)Wandlung

In seiner Offenheit und Ungebundenheit ist der Begriff Spiritualität weit über das religiöse Feld hinaus anschlussfähig – und kann so auch dort ganz neue Impulse geben, wo Konzepte von Interreligiosität und Ökumene ihre Wirkkraft verloren haben. Dass eine solche Spiritualität jenseits aller konfessionellen Vereinnahmungen Interesse und Neugierde weckt, zeigt sich im gegenwärtigen Boom des Themas in Kunst, Museen und Galerien. Das aktuelle Heft von "kunst und kirche" fragt nach Entwicklungen und Phänomenen zwischen Entspiritualisierung und Respiritualisierung und zeichnet ein Bild von Interspiritualität als Labor und Möglichkeitsraum mit Zukunft.

Vorwort

"Wir sind alle aus dem gleichen Sternenstaub gebildet", erinnerte Anselm Grün seine Instagram-Gemeinde. Anlass war die 'Gebetswoche für die Einheit der Christen' Anfang 2023. Den interstellaren Geist möchten wir in dieser Ausgabe des Magazins kunst und kirche zur Interspiritualität aufgreifen. Mit interreligiösen Dialogen und der ökumenischen Bewegung waren im 20. Jahrhundert hochfliegende Erwartungen verbunden; Hoffnungen sogar, dem globalen Frieden näherzukommen. Inzwischen haben die Begriffe und Konzepte an Glanz eingebüßt. Dafür besitzt der Ausdruck Spiritualität weit über das religiöse Feld hinaus Strahlkraft.

"Spirituality is superinteresting", erklärte mir ein Kunststudent in einer Ausstellung von Evan Ifekoya in Zürich. Dies war einer der Anstöße, dem gegenwärtigen Boom des Themas Spiritualität in Kunst, Museen und Galerien nachzugehen.

Der Charme von Spiritualität liegt in ihrem Potenzial, durch Entgrenzung zu verbinden. Spiritualität lässt sich nicht vereinnahmen. Sie ist nicht konfessionell, auch nicht religiös genug dafür. Spiritualität ist wie Kunst ein überdeterminierter Begriff. Das semantische Schillern und ihre Verwandlungskraft machen Spiritualität auch für Künstler:innen spannend.

Interspirituality ist ein Neologismus, der bisher vor allem im angelsächsischen Religionsdiskurs diskutiert wird. Geprägt hat den Begriff der amerikanische katholische Mönch Wayne Teasdale (1945–2004). Er war Schüler des interreligiösen Pioniers Bede Griffiths (1906–1993). Griffiths verband in den 1960er-Jahren in Indien christliche, hinduistische und buddhistische Elemente in hybrider Praxis und sprach auch religionsferne Menschen an. In diesem Heft schlagen wir vor, Interspiritualität als Labor und Möglichkeitsraum zu betrachten, wo jenseits identitärer Verengungen oder strenger Appropriationsverbote alte Vorurteile abgebaut und neue Verbindungen gestiftet werden. Die versammelten Beiträge lassen sich auch als unterschiedliche Antwortversuche auf die Frage verstehen, welche Spiritualität wir im 21. Jahrhundert brauchen.

Die nigerianisch-britische Soundkünstlerin Evan Ifekoya schafft als "energy worker" heilende Resonanzräume aus traditionellen Klängen der Yoruba und binauralen Beats. Das interreligiöse Lassalle-Haus wirkt mit seiner auf menschlichen Maßstäben basierenden Architektur harmonisierend auf Besucher:innen.

Als Ort für nach Afrika heimkehrende sakrale Gegenstände und neuer Museumstyp ist das 'Maison Gbégbé' in Togo konzipiert. Die Initiative ist aus einer Kooperation des schamanischen Priesters Messanh Amedegnato und der niederländischen Künstlerin Mathilde ter Heijne erwachsen.

Die Philosophin, Künstlerin und Ökofeministin Elisabeth von Samsonow denkt über die Figur der animal-machine nach, die zugleich technisch und organisch ist. Der Religionswissenschaftler Jørn Borup gibt Einblicke in die Komplexität des zeitgenössischen globalen Buddhismus und die reformierte Theologin Claudia Kohli Reichenbach stellt das Spiritual Innovation Lab vor, wo es um zukünftige Möglichkeiten spiritueller Praxis geht.

Historisch begründete Blockaden lösen sich. Auf Entspiritualisierung folgen Respiritualisierung und erfinderischer Mut!

Johanna di Blasi (Heftredaktion)

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