Buchpräsentation - Jüdische Familien im Salzkammergut

Am 18. Juni 2024 präsentierte Nina Höllinger vom Zeitgeschichte Museum Ebensee das Ergebnis einer umfangreichen Forschungsarbeit zum Leben jüdischer Familien im Salzkammergut bis zu deren Verfolgung durch den Nationalsozialismus.

Im Gespräch mit Andreas Schmoller und Verena Lorber vom FFJI zu Beginn der Buchpräsentation betonte Nina Höllinger, dass es ihr besonders um jene Menschen ging, die relativ unbemerkt in der Region gelebt und verwurzelt waren und kaum Spuren hinterlassen hatten. Aus dem Bemühen heraus, nicht nur die Geschichte notabler Familien und deren Rolle für die Sommerfrische zu schildern, entstand eine 564 Seiten umfassende Gesamtdarstellung des jüdischen Lebens im oberösterreichischen Salzkammergut, das sich ausführlich den Verfolgungsformen im Nationalsozialismus widmet. Wie sah ihr Schicksal nach der Machtergreifung 1938 aus? Wurden sie deportiert, ermordet, haben sie Konzentrationslager überlebt oder sind sie emigriert? Bemühten sie sich aus dem Exil um Rückstellung ihres Besitzes? Existieren Fotos vor 1938 und nach der Emigration? Nina Höllinger hat mittels Recherchen in Archiven und aufwendigen Familienrecherchen 160 Namen und Biografien im Buch rekonstruiert und dokumentiert.

In ihrer Präsentation nahm sie die Zuhörer*innen mit in die Verästelungen von einzelnen Familien, die durch die Ereignisse vielfach auseinandergerissen wurden, im Exil oft über mehrere Kontinente verstreut waren oder Angehörige in den Konzentrations- und Vernichtungslagern verloren. Auffällig ist an den Biografien auch, dass sie immer von Menschen handeln, die sich in der Region vielseitig engagierten und am sozialen Leben partizipierten. Meist waren sie schon in der Region geboren, oder stammten aus Osteuropa, von wo sie aus ärmlichen Verhältnissen mit Stationen in Wien oder Linz flohen. Überwiegend waren sie im Gewerbe tätig, wie die Familie Dachinger im Textilgewerbe. Sie waren in ihren Gemeinden gut integriert und angesehen, politisch in der Sozialdemokratie oder der Christlich-sozialen Partei aktiv und engagierten sich in Gesangsvereinen oder Sportclubs. Als Adolf Federmann, der „Goiserer Jud“ 1928 starb, war sein Begräbnis am Ortsfriedhof ein Großereignis in Goisern, an dem nicht nur die Geistlichkeit der christlichen Konfessionen teilnahm, sondern über das auch zahlreiche Zeitungen berichteten.

Das Buch schildert nicht nur die Schicksale der Verfolgten, sondern beleuchtet auch die Täter bei „Arisierungen“, Ausschreitungen und Denunziationen. Beklemmend ist auch die Präsenz des Antisemitismus in den Jahrzehnten vor dem Nationalsozialismus. So führten viele Vereine eigene „Arierparagraphen“ in ihren Statuten, um jüdische Mitgliedschaften zu unterbinden und die christlich-soziale Salzkammergut-Zeitung machte wiederholt pauschal oder gegen einzelne Jüdinnen Stimmung.

Das Buch Nina Höllingers stößt im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl auf große Resonanz. Es ist über die Region hinaus von Interesse für das Verständnis jüdischen Lebens in Österreich und dessen radikalen Abbruch 1938. Erfreulich ist, dass die Autorin bereits während der Arbeit an der Publikation Akzente in der regionalen Erinnerungskultur setzen konnte. Die Stadtgemeinde Bad Ischl fasste im Oktober 2023 den Beschluss neun öffentliche Plätze nach Frauen zu benennen. Auf Vorschlag Höllingers war unter den Neubenennungen auch der Name von Betty Kohn, die im Alter von 69 Jahren in Treblinka ermordet wurde.

Nina Höllinger: „Habt ihr meiner vergessen?“ Das Leben verfolgter jüdischer Familien im Salzkammergut. Ebensee 2024. 564 Seiten, € 29,90 (bestellbar über museum[at]utanet.at)