Andreas Schmoller am Titus Brandsma Institut, Nijmegen
Das Titus Brandsma Institut (TBI) wurde 1968 an der katholischen Universität Nijmegen gegründet und ist ein Zentrum für die wissenschaftliche Erforschung der Grundlagen, Geschichte und Bedeutung jüdischer und christlicher Mystik und Spiritualität. Titus Brandsma (1881-1942) ist der bekannteste niederländische Märtyrer aus der Zeit des Nationalsozialismus. Als Karmelit, Theologe und Philosoph beschäftigte er sich eingehend mit der Geschichte der Mystik. Während der deutschen Besatzung gelang es ihm, katholische Zeitungen und Zeitschriften davon zu überzeugen, keine Anzeigen von Organisationen anzunehmen, die der nationalsozialistischen Ideologie nahestanden. Er tat dies mit Zustimmung und auf Geheiß von Erzbischof Jan de Jong. Dies führte zu seiner Verhaftung im Jänner 1942. Nach einer Haft in Scheveningen, Amersfoort und Kleve wurde er schließlich in das Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er am 26. Juli 1942 ermordet wurde.
Während seines einwöchigen Aufenthalts hat sich Dr. Schmoller mit Forscher*innen des TBI getroffen, um in Gesprächen Näheres über die Institution und Forschungsprojekte zu erfahren. Dabei wurde er von TBI-Leiter Dr. Herman Westerink, Prof. für Philosophie und philosophische an der Radboud Universität, herzlich als Visiting Scholar willkommen geheißen und betreut. Im Austausch mit ihm kamen überdies die organisatorischen und institutionellen Abläufe zur Sprache. Dies betrifft Hintergründe zur Geschichte des TBI, der Entwicklung der Forschungsausrichtung, Finanzierungsfragen, der Status an der Universität, sowie historische und gegenwärtige Beziehung zu den Orden und kirchlichen Einrichtungen. Die Gründung der Radboud Universität 1923 im Rahmen der katholischen Emanzipation in den Niederlanden als katholische aber vom Staat finanzierte Universität ist hierbei von Bedeutung. Titus Brandsma war ab dem Gründungsjahr Professor an der Universität und 1932/33 ihr Rektor.
Spiritualität und Widerstand
In sämtlichen Treffen mit Forscher*innen des TBI informierte sich Dr. Schmoller über Zugänge in der Spiritualitätsforschung. Den Hintergrund bildet das Anliegen, Spiritualität auch als Kategorie in der Erforschung von Widerstandsformen im Nationalsozialismus zu entwickeln. So wurde erörtert, ob es international bereits Ansätze einer vergleichenden Forschung in diesem Bereich gibt. Aus diesem Austausch entstand die Idee, eine vergleichende Forschung durch eine Kooperation zwischen dem FFJI und dem TBI anzustoßen. In einer gemeinsam organisierten Tagung soll zunächst der Status Quo erhoben werden, aus dem heraus eine weiterführende Forschung geplant werden soll.
Interessante Perspektiven brachte hierzu Assoz. Prof. Dr. Inigo Bocken, ehemaliger Leiter des TBI und Religionsphilosoph, ein. Er stellt soeben eine „intellektuelle Biografie“ zu Titus Brandsma fertig. Darin wirft er auch die Frage auf, wie eine Biografie über Heilige im 21. Jahrhundert beschaffen sein kann und soll. Wie ist das Verhältnis einer modernen Biografie, die sich der intellektuellen Ressourcen und Entwicklung eines Heiligen widmet, zur Hagiografie? Bei Brandsma überschneidet sich die Frage nach dem Intellektuellen mit jener nach dem Spirituellen, da sich Spiritualität durch sein ganzes Denken und seine Praxis zieht. Prof. Bocken hat sich in früheren Arbeiten auch bereits intensiv mit dem katholischen Philosophen Alois Dempf beschäftigt, dessen Schriften und Handeln zum geistigen Widerstand im katholischen Milieu gezählt werden. Für das FFJI ist Dempf ebenfalls kein Unbekannter mehr, da zu einer in Linz lebenden Enkelin Dempfs Kontakte bestehen und Alois Dempf im Rahmen der Ausstellung „Galerie der Gerechten“ im Jahr 2022 an der PHDL besondere Erwähnung fand.
Editionsprojekte am TBI
Im Verlauf des Aufenthalts erhielt Institutsleiter Schmoller auch Einblick in Editionsprojekte zu Titus Brandsma. Elisabeth Hense, Assoz. Professorin für Spiritualität an der Theologischen Fakultät der Universität Radboud gibt die „Collected Works of Titus Brandsma“ heraus. Dabei handelt es sich um ein Editionsprojekt, das eine thematische Herausgabe ausgewählter Werke und Schriften Brandsmas in englischer Sprache zum Ziel hat. Vier von sieben Bänden sind bislang erschienen und haben seither wichtige Impulse für eine internationale Forschung zu Brandsma angestoßen. Neben Informationen zur Konzeption und dem Workflow in der Edition kreiste der Austausch auch um Praxiserfahrungen hinsichtlich der Organisationsform von Studienkreisen. Hense ist Initiatorin eines Titus Brandsma Circles, in dem internationale Forscher*innen vernetzt sind und aus dem heraus in einem zweijährigen Zyklus Fachtagungen an wechselnden Orten organisiert werden. Link
Ein weiteres Fachgespräch fand mit Dr.in Anne-Marie Bos statt. Sie forscht zu Spiritualität und Erziehung sowie zu Titus Brandsma. Zusammen mit Susan Verkerk-Wheatley gibt sie seit 2014 die Schriften von Titus Brandsma im Rahmen einer kritischen Online-Edition heraus. Brandsma schrieb etwa 700 Artikel für verschiedene Publikationen, aber das Archiv enthält auch Tausende von unveröffentlichten Artikeln, Reden, Notizen und Briefen. Die Herausgeberinnen kommentieren diese und übersetzen ausgewählte Texte ins Englische. Die Werke sollen so für die Lektüre und das Studium breiter zugänglich gemacht werden. Link
Vorlesung am TBI
Im Rahmen des Gastaufenthalts wurde Dr. Schmoller auch zu einer Gastvorlesung am TBI eingeladen. Diese diente insbesondere dazu, Jägerstätter in die Spiritualitätsforschung einzubeziehen und dazu Impulse zu erhalten. Im Mittelpunkt der Vorlesung am 23. Jänner standen Leben, Texte und Rezeption Jägerstätters. Link
Des Weiteren traf Schmoller auch die derzeitige Dekanin der Fakultät für Theologie, Philosophie und Religionswissenschaften, Univ.-Prof.in Dr.in Heleen Murre van den Berg, zu der schon eine langjährige Bekanntschaft über die Forschung zum orientalischen Christentums besteht. Link
Gedächtnisorte in Nijmegen
Schließlich war es unumgänglich, auf den Spuren Titus Brandsmas an seinem Wirkungsort Nijmegen zu wandeln. Aufschlussreich und beeindruckend war dabei insbesondere der Besuch der Titus Brandsma Gedächtniskirche, das zugleich Titus Brandsma Zentrum ist. Die ehemalige Jesuitenkirche wurde zwischen 2010 und 2015 in einen Gedächtnis- und Ausstellungsraum mit zahlreichen Kunstprojekten in- und außerhalb des Kirchengebäudes umgewandelt. Link
Text und Fotos: Andreas Schmoller/FFJI