Schlussvorlesung Universitätsprofessor Franz Gruber: "Theologie des und".

"Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“ – das Kant-Zitat, mit dem Rektor Michael Fuchs seine Begrüßung einleitete, war ein wiederkehrendes Motiv des Festakts. Darin spiegelt sich einerseits Franz Grubers lebenslanges Interesse an der Astronomie, vor allem aber seine vielfachen Verknüpfungs- und Verbindungsleistungen, die Rektor Fuchs würdigte: in der theologischen Wissenschaft, in seinem jahrzehntelangen Wirken an der KU Linz, auch in diözesanen Kontexten der Bildung und Fortbildung. Namentlich während seines Rektorats von 2014 bis 2020 habe er eine entscheidende Phase des Ausbaus und der Konsolidierung der Universität gestaltet. Dass zahlreiche Kolleg:innen, Freund:innen und Wegbegleiter:innen aus Wissenschaft, Bildung, Kirche, Politik und Gesellschaft der Einladung zur Schlussvorlesung gefolgt sind, unterstreiche die Wertschätzung und Anerkennung, die Franz Gruber entgegengebracht werde.
Performative Dogmatik: Ein theologisches Programm
Ist das Wort „Gott“ heute an ein Ende gekommen – und mit ihm auch die Theologie? Diese virulente Frage stand hinter Grubers Skizzierung seiner Idee einer Systematischen Theologie und ihrer Aufgaben. Ausgehend vom Schlüsselbegriff der Performativität entfaltete er daraus das Konzept einer Performativen Dogmatik.
Mit Walter Kern, Gottfried Bachl, Karl Rahner und Walter Raberger prägten ihn Persönlichkeiten, die Dogmatik als kritische Theorie des Glaubens und Lebens vermittelten. Vor allem Raberger sei mit seinen Ansätzen gespeist aus der Kritischen Theorie, der Kommunikationstheorie von Jürgen Habermas und den großen philosophischen und theologischen Traditionen des Abendlandes für Grubers Denkweg maßgeblich gewesen. Die brennenden Themen der 1980er Jahre – wie Friedens- und Ökobewegung, Säkularisierungsdebatten, Befreiungstheologie und Feminismus – forderten besonders heraus: Was kann Theologie und Kirche hier produktiv beitragen? Wie kann Systematische Theologie praktisch werde?
Spätestens seit dem II. Vatikanum müsse sich, so Gruber, die „Reflexionsgroßbaustelle“ Systematische Theologie einem Prozess stellen, der heute die Situation der gesamten Theologie bestimme: dem Plausibilitätsverlust theologischer bzw. religiöser Rede in einer zunehmend säkularen Welt. Diesen gelte es anzuerkennen und zu verstehen. Er verschärfe den klassischen Ausgangspunkt der Dogmatik – Wie von Gott theologisch sprechen? – zur Frage: Kann von Gott theologisch noch gesprochen werden? Mit Anton W. Houtepen und Hans-Joachim Höhn öffne sich darin aber auch ein Raum, in dem Gott und Menschen frei werden können: Gerade indem Gott „zwecklos“ und „umsonst“ werde, nicht mehr „funktional“, sondern als „Ja zum Menschen“ verstanden, sei der Mensch frei, sich als Zweck an sich selbst anzuerkennen und in Freiheit selbstgesetzte Zwecke zu verfolgen. Das Wissen von der existenziellen Zweckfreiheit von Welt und Mensch bezeichnete Gruber als spezifische Wissensform der Theologie, als „Heilswissen“.
Ebenso spezifisch sei die Performativität religiöser Sprache: Beim Sprechen stellen wir nicht nur Behauptungen auf, sondern schaffen Wirklichkeiten und stoßen Handlungen an – dabei gehe es weniger um wahre oder falsche Aussagen, sondern um das Gelingen von performativen Sprechakten. Die Gleichnissprache Jesu etwa sei durchsetzt von performativem Sinn; jenseits wörtlicher Bedeutung evoziere sie Entscheidungssituationen: „Und wie verhältst du dich dazu?“ Performativität erschließe den Sinn religiöser Rede und lasse weiter denken: Setzt ein gelingender Sprechakt, setzt der Glaube an das Heilsversprechen die Existenz Gottes voraus? Und nach welchen Kriterien sind performative Äußerungen ethisch-moralisch rechtfertigbar? Vor diesem Hintergrund und angesichts einer Geschichte des „Gottes-Missbrauchs“ müsse ein authentischer Gebrauch des Wortes „Gott“ immer wieder neu bedacht, befragt und plausibilisiert werden – unter steter Reflexion von existenziellen, gesellschaftlichen, geschichtlichen und kulturellen Kontexten.
Mit der Kategorie der Performativität erweise sich die Frontstellung von naturwissenschaftlichem Weltwissen und religiösem Heilswissen ebenso wie die Entgegensetzung von göttlicher Gnade und menschlicher Autonomie als Verkennung des Charakters religiöser Rede und theologischen Denkens. Im Gottesbegriff verdichte sich die Einheit von Denken und Glauben; es sei mit Rahner gesprochen jenes Wort, das uns erst zu dem macht, was wir sind: Lebewesen, die fähig sind, über sich selbst, über alles hinaus zu denken und sich von einem absoluten Anderen her bestimmen zu können. Ein solcher Gedanke sei in der heutigen säkularen Welt fast schon wirkungslos geworden. Und er lasse sich auch nicht durch eine trotzige oder gar verbissene Rede von Gott restaurieren. Aber der Mensch selbst frage, indem er nach sich selbst fragt, letztlich auch nach Gott – und gerade das sei die Voraussetzung dafür, dass wir auch in Zukunft davon sprechen werden, „worüber wir nicht schweigen können".
Liebe und Denken: Eine Festschrift für Franz Gruber
Beim Festakt hob Magnus Cancellarius Bischof Manfred Scheuer die Verdienste Franz Grubers um die Positionierung der KU Linz in der (ober-)österreichischen Hochschullandschaft und der Gesellschaft hervor und betonte auch sein Mitwirken am Zukunftsweg der Diözese Linz. Altlandeshauptmann Josef Pühringer dankte in Vertretung von Landeshauptmann Thomas Stelzer für Grubers Rolle in der wichtigen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem „Haus der Geisteswissenschaften im Land“ und dem Land Oberösterreich.
„Theologie des und“ – unter dieses Motto stellte Mitherausgeber Ansgar Kreutzer, ehemals Universitätsprofessor für Fundamentaltheologie an der KU Linz, die Überreichung der Festschrift „Lieben und Denken. Emotionalität und Rationalität in der Theologie“. Ein vielfaches „und“ sei das Kennzeichnende im Denken Grubers: ein „und“ von Theologie und Naturwissenschaft, von Theologie und heutiger Welt, auch von wissenschaftlichem Schreiben und sprachästhetischem Anspruch. So sei die Festschrift ein Buch „für Gruber“, aber auch eines „verursacht von Gruber“ und eines „über Gruber“ – als Dank für seine Anregungen und Beiträge, für viele Begegnungen und Diskussionen. Die Mitherausgeberinnen Universitätsassistentin Martina Resch und Universitätsprofessorin Isabella Guanzini (beide Institut für Fundamentaltheologie und Dogmatik der KU Linz) schlossen mit wertschätzenden studentischen Statements über den „Lehrer Franz Gruber“ und mit einem kollegialen Dank für seine wissenschaftliche Leidenschaft, seine Beweglichkeit im Denken und seine feine, die Welt in ihren Widersprüchlichkeiten einholende – und aushaltende – Ironie.
Für die musikalische Gestaltung des Festakts sorgten Rudolf Habringer und Otto Kaltseis.
Univ.-Prof. Dr. Franz Gruber. Geboren 1960 in Vöcklabruck, Studium der Katholischen Theologie (Studienrichtung Fachtheologie und Selbständige Religionspädagogik) an der Katholisch-Theologischen Hochschule Linz (heute: Katholische Privat-Universität Linz) und an der Universität Innsbruck, 1991 Promotion zum Doktor der Theologie in Linz, ebenda 1997 Habilitation für Dogmatische und Ökumenische Theologie mit der Arbeit „Von Gott reden in geschichtsloser Zeit. Zur symbolischen Sprache eschatologischer Hoffnung“. 1985–2000 Universitätsassistent am Institut für Fundamentaltheologie und Dogmatik der heutigen KU Linz, 1996 Senior Fellow am Institute for the Advanced Study of Religion der Divinity School an der University of Chicago, 2001–2007 Gastprofessor an der Südböhmischen Universität Budweis.
Seit 2001 Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der KU Linz, 2003–2012 Chefredakteur der von den Professor:innen der KU Linz herausgegebenen Theologisch-praktischen Quartalschrift (ThPQ). 2014–2020 Rektor der KU Linz.
Franz Gruber wird mit 30. September 2025 als Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie emeritiert.
25.6.2025/RK/HE











