Aschermittwoch: Kirchenhistorikerin Ines Weber im ORF-Interview über das Fasten.

Der Aschermittwoch bildet den Auftakt der 40-tägigen österlichen Fastenzeit. Im Interview mit religion.ORF.at spricht Ines Weber, Professorin für Kirchengeschichte an der KU Linz, über Buße und Umkehr und darüber, wie sich das Fasten im Laufe der Zeit verändert hat.

"Butterbrief" und Säulenheilige: Auftakt zur Fastenzeit

14.2.2024. religion.ORF.at. Mit Aschermittwoch beginnt die vorösterliche christliche Fastenzeit – so weit, so bekannt. Die Art und Weise, wie gefastet wurde, veränderte sich über die Epochen hinweg: Von den Säulenheiligen der Antike über die "Butterbriefe" des Mittelalters bis zu Autoverzicht und Handyfasten unserer Tage war es ein langer Weg.

Das heute übliche Fasten unterscheidet sich nur scheinbar stark von den Praktiken früherer Zeiten: Weggelassen werden neben Nahrungsmitteln (unnötige) Fahrten mit dem Auto, klimaschädigendes Verhalten wird reduziert. Manche verzichten auf Internet und Handy, um sich auf sich selbst zu konzentrieren oder sich wieder mehr den Mitmenschen zu widmen. Diese erweiterte Dimension der Buß- und Fastenzeit ist aber viel weniger modern, als man denken würde, erklärt die Kirchenhistorikerin Ines Weber im Gespräch mit religion.ORF.at.

Denn in früheren Zeiten war das Fasten auch nicht alles: "Die Trias ‚Beten – Fasten – Almosengeben‘ kennt man aus dem Urchristentum, vor allem aber auch aus den jüdischen Kontexten", so Weber. "Diese Trias wird schon im Neuen Testament ergänzt um den Aspekt der Enthaltsamkeit, der auch sexuellen Verzicht bedeutete." Grundsätzlich stehen alle Formen im frühen Christentum mit der Buße und Umkehr des eigenen Lebens sowie dem Bekenntnis zum Christentum in Verbindung: Das ganze Leben sollte sich ändern, in Hinwendung zu Jesus und einem idealen christlichen Leben.

"Akt der Wiedergutmachung"

„Weil die Menschen sehr bald erkannten, dass sie nicht in der Lage waren, immerfort Gutes zu tun, entwickelten sich schon früh die unterschiedlichen Bußformate.“ In der alten Kirche sei das Fasten ein Bestandteil der Bußübungen als „Akt der Wiedergutmachung“ geworden, die im frühen Mittelalter weiter ausgearbeitet wurden, sagt die Professorin für Kirchengeschichte an der Katholischen Privat-Universität Linz.

In aus dem Mönchtum stammenden „Bußbüchern“ (Penitentialien) seien Vergehen und Buße gegeneinander aufgerechnet worden, so die Expertin. Bei den Auflagen wurde nicht nur die Schwere des Vergehens berücksichtigt, sondern auch nach sozialem Stand und Vorbildfunktion unterschieden: "Wenn Geldleistungen als Wiedergutmachung an den Geschädigten zu zahlen waren, wurde das Vermögen des Sünders mitbedacht. Ein Abhängiger hatte weniger zu zahlen als ein Adeliger." Neben der 40-tägigen vorösterlichen Fastenzeit und jener im Advent wurde noch an vielen weiteren Tagen im Jahr gefastet, etwa an jedem Mittwoch und Freitag.

Der Sinn der Buße war in früheren Zeiten viel stärker als heute mit einer geistigen Hinwendung zu Gott verbunden. Dem zugrunde liegt die Idee, "dass dadurch ein viel konzentrierteres Gebet möglich ist", so Weber. Zugleich hebt die Kirchenhistorikerin die Bedeutung der Almosen und damit den Dienst an den Nächsten hervor: So wurde in Mittelalter und Neuzeit das Essen, das durch das Fasten gespart wurde, an die Armen verteilt.

Der nackte Sohn des Tuchhändlers

Weber verweist auch auf den praktizierten Kleidungsverzicht – besonders Wanderprediger zogen schäbig, in abgerissener Kleidung umher, und vom heiligen Franz von Assisi (1181/82–1226) sagt man, er habe sich in aller Öffentlichkeit nackt ausgezogen, um seinen Verzicht auf weltliche Güter zu verdeutlichen. Fortan trug der Sohn eines reichen Tuchhändlers stets eine einfache Kutte mit Kapuze.

Public Domain/Wikipedia/https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3781430Darstellung eines Säulenheiligen

Aus heutiger Sicht extrem lebten die Säulenheiligen ihre Hinwendung zum Glauben aus: Diese verschrieben sich der Askese ganz und gar, sie zogen sich in die Einsamkeit zurück und errichteten Säulen, auf denen sie, ohne Ablenkung und der Welt sozusagen entrückt, ihre Hingabe an Gott pflegten. Symeon Stylites der Ältere (389–459) begründete diesen Trend, Überlieferungen zufolge soll er mehrere Jahrzehnte auf seiner Säule ausgehalten haben und dort auch gestorben sein.

Belagerte Säulenheilige

Das beeindruckte seine Mitmenschen, und so pilgerten bald Gläubige in Scharen zu dem Säulenheiligen, um sich von ihm segnen zu lassen – was naturgemäß seiner Askese abträglich war. Symeon war gezwungen, seine Säule immer höher zu bauen, sodass er wieder von der Welt abrücken konnte – es sei vielen Säulenheiligen so ergangen, erzählt Weber.

Aufgrund der asketischen Ausrichtung schrieben die Gläubigen den Asketen besondere Heiligkeit zu – durch Gebet und Enthaltsamkeit, aber auch Kasteiungen. „Dadurch erhielt das Mönchtum auch seine Bedeutung.“ Bußübungen konnten extreme Formen annehmen: "Schlafentzug, stundenlanges Stehen im kalten Fluss, Schlafen auf dem harten Boden" seien bei vielen Asketinnen und Asketen üblich gewesen. Einige Heilige gingen so weit, dass sie gesundheitlich gefährdet waren, etwa Franz von Assisi und auch der Reformator Martin Luther, der sich während seiner Zeit als Mönch fast zu Tode hungerte.

Ausnahmen durch "Butterbriefe"

Vom Fasten ausgenommen waren und sind Kranke, Alte und Arme sowie Schwangere. Eine besondere Ausnahme stellten die als "Butterbriefe" bekannt gewordenen päpstlichen Dispense dar, mit denen man von Fastenregeln befreit werden konnte. Katholische Gemeinden hatten im 15. Jahrhundert den Papst gebeten, vom Verzicht auf Milchprodukte – darunter auch Butter, die in wärmeren Ländern durch Pflanzenöl ersetzt wurde – entbunden zu werden.

Man könne, so argumentierte etwa die deutsche Stadt Nürnberg, weiter im Norden nicht so leicht auf Ersatz in Form von Olivenöl zurückgreifen, wie das im Süden möglich sei. Gegen eine Ersatzzahlung waren Ausnahmen von den Fastenauflagen möglich, häufig gab es auch Dispense für Ärmere. Papst Innozenz VIII. (1432–1492) lockerte schließlich die Fastengebote. Luther kritisierte die „Butterbriefe“, die in seinen Augen ein Fall von Ablasshandel waren.

Almosen "heute unterbeleuchtet"

Der Bereich der Almosen und damit Formen der Caritas sei „heute unterbeleuchtet, weil nur auf die eigene, persönliche Verzichtsleistung geschaut“ werde, so die Historikerin. Almosen werden nicht mehr selbstverständlich mit dem Fasten in Verbindung gebracht. Durch Verzicht auf Fleisch wegen des CO2-Ausstoßes, das Autofasten und Ähnliches entstehe aber eine "neue Ausrichtung auf etwas Größeres, das Mitmenschen und Gesellschaft wieder in den Blick nimmt".

Denn "beim Bußgedanken geht es nicht allein darum, sich klarzumachen, wie fehlerhaft und sündhaft man selbst ist, sondern im Gegenteil festzustellen: ‚Eigentlich wollte ich gut leben, mich um mich selbst und andere sorgen und auf Gott ausrichten. Weil ich erkenne, dass ich das nicht immer tue, kehre ich um und strebe neu nach dem Guten, nach einem tugendhaften Leben.‘ Das kann zur inneren Heilung führen."

Ein wichtiger Aspekt des Fastens und Verzichts ist die Freiwilligkeit: Das Auto stehen zu lassen geht schließlich nur, wenn man auch ein Auto hat. „Im Falle sozial Schwächerer ist der Verzicht heute oft ein erzwungener“, so Weber. "Die Inflation macht weniger Konsum möglich. Gestiegene Energiepreise zwingen dazu, weniger zu heizen. Fasten muss man sich leisten können. "Wenn aber diejenigen, die sich den Verzicht ‚leisten können‘, das Ersparte an sozial Schwächere weitergeben, ist man dem Gedanken des Almosengebens und der Sorge um den Nächsten wieder nahe."

Quelle: Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

14.2.2024/HE