Humanität in der Krise? Dialog über Gegenwart und Zukunftsperspektiven.

"Humanität in der Krise" lautete der Titel der mittlerweile dritten Veranstaltung im Rahmen 350-Jahr-Jubiläumsreihe der KU Linz. Philosoph Michael Fuchs (KU Linz), Abt Reinhold Dessl (Forum Humanismus Wilhering) und Direktor Chris Müller (Tabakfabrik Linz) erörterten am 3. November 2022 in der Linzer Tabakfabrik Bedeutungen des Begriffs Humanismus, Gründe und Folgen der Krise der Humanität sowie Perspektiven, wie wir darauf heute und in Zukunft mit unserem Handeln antworten können.

Nach einleitenden Worten von Hermine Eder (KU Linz) ging es im Vortrag von Professor Michael Fuchs (Institut für Praktische Philosophie / Ethik, KU Linz) zunächst um begriffliche Klärungen: Was ist unter Humanismus zu verstehen? Wie hat sich der Begriff entwickelt? Und welche unterschiedlichen Lesarten findet er in unterschiedlichen Denkmodellen?  

Von Cicero, über die Humanisten der Renaissance und Johann Gottfried Herder bis zu Bildungstheoretikern und -praktikern des 19. Jahrhunderts und Positionen des 20. Jahrhunderts spannte Fuchs den historischen Bogen und arbeitete dabei heraus, dass die Ideen von Humanität und Humanismus nicht abgeschlossene Beschreibungen eines Ist-Zustandes sind oder als Blindheit gegenüber Grausamkeit, Schwäche oder Machtgier zu verstehen seien, sondern vielmehr in Reaktion auf diese Realitäten immer Selbstkultivierung fordern bzw. Ansätze dazu aufzeigen. Insofern, so betonte Fuchs mehrfach, seien auch "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" kein Anlass, auf den Begriff Humanität zu verzichten. 

Anhand aktueller Enhancement-Debatten und den Beispielen der Verabreichung von Wachstumshormonen und der Somatischen Gentherapie entwickelte er das Problemfeld des "physischen", "intellektuellen" und "moralischen" Enhancements. 

Zum Verständnis von Humanismus

Der zweite Teil des Vortrags nahm die Denkmodelle Transhumanismus, Posthumanismus und Metahumanismus in den Blick und analysierte deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verständnis von Humanismus. Der Transhumanismus etwa lasse sich mit der Rede vom Menschen als Mängelwesen in Verbindung bringen. Der technologische Posthumanismus dagegen ziele auf etwas Neues, das nicht mehr notwendig als Nachfolgemodell des Menschen gedacht werde, sondern als Superintelligenz, die im Prinzip auch andere Vorläufer haben könne. Der Kritische Posthumanismus schließlich halte den Humanismus selbst für ein falsches Verständnis des Menschen. Demgegenüber hob Michael Fuchs hervor, dass die humanistische Tradition gerade der philosophischen Anthropologie vom ständigen Versuch geprägt sei, Bezüge zu und Unterscheidungen von anderen Wesen (selbst)kritisch zu reflektieren. Denn, so schloss Fuchs, "unsere Bedeutung als Moralsubjekte zu unterstreichen, ist keinesfalls ein Ausdruck von Selbstgefälligkeit oder Arroganz: Der Mensch ist das Wesen, das nicht nur Schamgefühl hat, sondern das sich auch zurecht schämt".

Diskussion: Krise als Aufruf zu neuem Denken und Handeln 

In der von Redakteur Michael Schäfl (Oberösterreichische Nachrichten) geleiteten Diskussion stand bei aller Kenntnisnahme der Probleme das Motiv des Handelns und damit auch Zuversicht im Mittelpunkt. Michael Fuchs stellte nachdrücklich heraus, dass "Humanitas" ein Gegenmodell zu erlebten Krisen sei, sich insbesondere der Brüchigkeit des menschlichen Lebens und Zusammenlebens bewusst sei und sich darin immer wieder neu entwickle. Sich nicht den (technischen) Entwicklungen bloß ausgeliefert zu sehen, dafür plädierte Chris Müller: Die Digitalisierung etwa sei ein Werkzeug und wie jedes Werkzeug positiv und negativ einsetzbar – wie wir das Werkzeug verwenden, liege in unserer Hand. An die Forderung eines "Neuen Humanismus" von Papst Franziskus, die auch von der Offenheit für Transzendenz getragen sei, erinnerte Abt Reinhold Dessl; dafür müsse man vor allem auch andere Ideen und Vorstellungen, andere Menschenbilder und Gemeinschaftsbilder berücksichtigen, wie sie z.B. außereuropäische Traditionen vermitteln, wie sie aber auch immer wieder neu in Diskussionen und Aushandlungsprozessen in pluralistischen Gesellschaften artikuliert werden. 

Zur steten Neubelebung der Humanität bedürfe es, so das abschließende Fazit, offener Gespräche, des gemeinsamen Nachdenkens sowie einer Bildung, die im Selbstverständnis Zusammenhängen und Vernetzungen verpflichtet ist – und auch der alten und gleichzeitig immer neuen philosophischen Frage danach, was das "Gute" sei. Eine Fortsetzung des Dialogs zu den brennenden Fragen von Gegenwart und Zukunft ist geplant. 

4.11.2022/RK/HE