Michael Rosenberger

Schöpfungsethik und Schöpfungsspiritualität

In den 70er Jahren wurden der Menschheit zum ersten Mal die "Grenzen des Wachstums" (so der Titel der 1974 erschienenen Studie des Club of Rome) bewusst: Ein immer weiter gehendes, quantitatives Wachsen der Wirtschaft in den Industrieländern überfordert bei weitem die natürlichen Grundlagen unseres Planeten Erde. Seitdem ist die Umweltthematik (und mit gewisser zeitlicher Verzögerung auch die Tierschutzproblematik) zum Standard öffentlicher Diskussion wie politischen Handelns geworden. Auch die theologische Ethik beteiligt sich rege am Diskurs. Jedoch bewegen sich die meisten AutorInnen in der Nähe zweier Pole: Während die einen kaum eigene, originär theologische Akzente in die Debatte bringen, sondern im Mainstream säkularer Umweltethik mit schwimmen und diesen nur mit theologischen Begriffen unterfüttern, neigen andere zu einer romantischen, naiven, technik- wie wirtschaftsfeindlichen Verklärung einer vormodernen Lebensweise.

Das Defizit, das sich in dieser Beobachtung bemerkbar macht, liegt in dem nahezu völligen Ausfall einer eigenen, theologisch reflektierten Schöpfungsspiritualität: Was heißt es eigentlich für unseren Umgang mit der Welt, dass wir diese als Schöpfung Gottes sehen? Diese Frage soll in dem Forschungsvorhaben wissenschaftlich bearbeitet werden. Dabei müssen Grundsatzfragen wie ein fundiertes dogmatisches Verständnis von "Schöpfung" oder die Frage nach einem eigenen Wert bzw. einer geschöpflichen Würde der nichtmenschlichen Kreatur geklärt werden. Die biblisch einschlägigen Texte zum Thema wie auch ihr epistemischer Status im Rahmen theologischer Ethik bedürfen eingehender Diskussion. Insbesondere aber werden Grundeinstellungen, Haltungen wie Demut, Ehrfurcht, Empathie und Verzichtbereitschaft auf ihr spezifisch religiöses Potential hin untersucht. So kann am Ende (unter Voraussetzung des hinlänglich bestimmten Verhältnisses von Glaube und Vernunft) ein normatives Gesamtkonzept für einen gläubigen Umgang mit der Schöpfung im Wahrnehmen und Handeln skizziert werden, das pointierte Akzente setzt und doch im gesamtgesellschaftlichen Diskurs kommunikabel bleibt. Siehe dazu auch den Forschungsschwerpunkt des Instituts: www.ku-linz.at/theologie/institute/moraltheologie/forschung/

Determinismus und Willensfreiheit

Ist der Mensch in seinem Denken und Handeln frei? Oder ist er durch physikalische, chemische, genetische, soziale und neurophysiologische Prozesse und Gegebenheiten vollständig festgelegt – gleichsam als Marionette seiner Dispositionen? Seit dem Beginn moderner, d.h. methodisch reflektierter naturwissenschaftlicher Forschung im 17. Jh. wird diese Frage immer neu mit großer Schärfe gestellt. Philosophie und Theologie versuchen entsprechend, manchmal souverän, manchmal nahezu verzweifelt, die These vom freien Menschen zu retten. Denn mit ihr steht und fällt die Rede von Verantwortlichkeit und ethischem Handeln, von Zurechnungsfähigkeit und Schuld, von Menschlichkeit und Liebe.

Mit der methodischen Grundannahme des Kausalitätsprinzips als des naturwissenschaftlichen Schlüsselprinzips hat die Naturwissenschaft große Erfolge in der Erklärung innerweltlicher Vorgänge erzielt. Mit diesem Prinzip verknüpft sich freilich auch ihre Existenzberechtigung. Macht es da Sinn zu behaupten, nicht alle innerweltlichen Vorgänge liefen nach dem Prinzip der (Wirk-) Ursächlichkeit ab? Wäre damit die Idee der Freiheit nicht nur ein vorläufiger Lückenbüßer für jene Naturprozesse, die bisher (!) nicht naturwissenschaftlich erklärbar sind?

Unter der Voraussetzung, dass empirische Wissenschaften und Geisteswissenschaften beide die gesamte Wirklichkeit im Blick haben und sich nicht durch ihr Materialobjekt, sondern ausschließlich durch ihr Formalobjekt, also ihre Herangehensweise unterscheiden, könnte sich allerdings eine Kompatibilität zwischen Freiheits- und Determinismusthese herstellen lassen. So will das Projekt einerseits geistesgeschichtliche Ansätze der Vermittlung oder Entgegensetzung von Freiheit und Determinismus unter dieser Perspektive untersuchen, andererseits unter Einbezug neurowissenschaftlicher Erkenntnisse der letzten beiden Jahrzehnte ein neues Verständnis der Rede von (sittlicher) Freiheit vorschlagen.

Neurowissenschaften und spirituelle Theologie

In der spirituellen Tradition des Christentums, insbesondere in der Lehre von der Unterscheidung der Geister, wurde stets die Wichtigkeit der Gefühle betont: ChristInnen erkennen ihre einmalige Berufung durch Gott einzig „aus dem Bauch heraus“. Und dies, obwohl ansonsten die christliche Theologie stark den philosophischen Impulsen der griechischen Antike folgte, welche die Gefühle als „Affekte“ und „Leidenschaften“ eher negativ bewertete und sie unter die ordnende und mäßigende Herrschaft der Vernunft stellte. Im Rationalismus der Aufklärung, der auch in der christlichen Ethik bis heute nachwirkt, fand diese Tendenz ihren Gipfel.

Allerdings machen uns bedeutende Neurowissenschaftler wie Antonio Damasio heute eindrücklich darauf aufmerksam, dass ethische Wertungen und Entscheidungen ohne die kognitiven Inhalte der Gefühle nicht denkbar sind. Menschen, denen durch Hirnschäden die Benutzung ihrer Emotionen unmöglich wird, können sich nicht mehr verantwortlich verhalten. Hier deutet sich eine große Nähe der Gehirnforschung zu den Grundeinsichten christlicher Spiritualität an – und zugleich eine gemeinsame Plattform der Kritik an einseitig rationalistischen Ethik-Konzepten.Lassen sich evtl. auch im Detail Brücken zwischen Hirnforschung und Spiritualität schlagen? Könnte es sein, dass die stark erfahrungsgestützte Spiritualität des Christentums durch aufmerksame Beobachtung innerer Prozesse Erkenntnisse gewonnen hat, denen man in den letzten Jahrzehnten wenig Aufmerksamkeit schenkte, die aber jetzt empirisch nachweisbar und naturwissenschaftlich erklärbar werden? Und wenn ja: Könnte deren empirische Untermauerung nicht auch neue Querverbindungen und Vertiefungen spiritueller Theologie und Ethik ermöglichen? Schließlich: Müsste nicht der traditionellen Anthropologie auf Grund dieser Resultate eine neue Komponente eingetragen werden?

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